Kein Skandal mehr

12. März 2025

Österreich ist knapp an einem FPÖ-Kanzler vorbeigeschliddert

Fünf Monate nach den Nationalratswahlen in Österreich, aus der die extrem rechte Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) erstmals als stärkste Kraft hervorging, haben sich die konservative ÖVP, die sozialdemokratische SPÖ und die liberalen NEOS Ende Februar nun doch im zweiten Anlauf auf eine »Koalition der Mitte« verständigt. ÖVP-Chef Christian Stocker wird Kanzler, und SPÖ-Chef Andreas Babler übernimmt den Posten des Vizekanzlers.

Im Januar waren erste Gespräch an Einsparungen bei Pensionen und der Ablehnung neuer Steuern gescheitert. Der bisherige Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) trat mit den Worten zurück, man werde kein Programm unterschreiben, »das wirtschaftsfeindlich, leistungsfeindlich und wettbewerbsfeindlich ist«. Verantwortlich dafür soll der Industrie- und Wirtschaftsflügel der ÖVP gewesen sein, der lieber die eigene Partei als Steigbügelhalter für den »Volkskanzler« Herbert Kickel (FPÖ) in Stellung bringen wollte, als gemeinsame Sache mit dem Wahlverlierer SPÖ zu machen. Obwohl durch den Wahlkampf hindurch die Konservativen eine Zusammenarbeit mit den extremen Rechten ausgeschlossen hatten, gab es Anfang des Jahres Koalitionsgespräche zwischen ÖVP und FPÖ. Diese scheiterten vor allem an außenpolitischen Fragen, wie der Unterstützung der Ukraine und der internationalen Einbindung Österreichs, die unter dem FPÖ-Versprechen »Festung Österreich« sicherlich gelitten hätte.

Die nun verhandelte Mitte-Koalition ist also eher dritte Wahl und folgt dem Aufruf des Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen Kompromisse einzugehen. Erwartbar ist, dass die SPÖ ihre Kernforderungen aus dem Wahlkampf (Arbeitszeitverkürzung und Vermögenssteuern) aufgeben und auch die Erhöhung des Renteneintrittsalters sowie die Kürzungen bei den Gehältern von Lehrenden und im Gesundheitswesen mittragen wird. Doch was bedeutet der Wahlsieg der FPÖ für Antifaschist*innen?

Nach zwei FPÖ-Regierungsbeteiligungen (in den Jahren 2000–2005 sowie 2017–2019), die an parteiinternen Streitigkeiten bzw. an einem plumpen Skandal (Ibiza-Affäre) auseinanderfielen, haben sich die Positionen der extremen Rechten gegen Minderheiten, Gleichstellung und für den Rückbau des Sozialstaats etabliert. In den letzten Jahren hinzugetreten ist eine offene Politik und Repression gegen außerparlamentarische Linke sowie die öffentlich-rechtlichen Medien. Proteste dagegen erreichten nur punktuell und nie nachhaltig breite Teile der Zivilgesellschaft.

Auch die Skandalisierbarkeit der Zusammenarbeit der FPÖ mit Neonazis, der NS-Relativierung durch FPÖ-Vertreter*innen oder des Geredes von massenhaften Deportationen (»Remigration«) nimmt stetig ab – von der Mobilisierungskraft bei weniger spektakulären Veränderungen wie der Beschränkung der Medien, Kürzungen bei Bildung, Sozialleistungen oder demokratiepolitischen Projekten ganz zu schweigen.

Die Normalisierung des Skandals und Gewöhnung an die FPÖ manifestiert sich in den Koalitionen, die schon länger auf Landes- und kommunaler Ebene bestehen: Die FPÖ sitzt in drei von sieben Landesregierungen und hat in den vergangenen Jahren auf dieser Ebene sowohl mit der ÖVP als auch mit der SPÖ koaliert. Um nur wenige Beispiele zu nennen: Subsidiär Schutzberechtigte haben im schwarz-blau regierten Niederösterreich weder Anspruch auf Sozialleistungen noch freien Zugang zum Arbeitsmarkt, die Bezahlkarte für Asylsuchende wurde eingeführt, und in regierungsabhängigen Institutionen und Behörden wurde das »Gendern« verboten.

Diese Entwicklung verweist auf eine Ambivalenz der Skandalisierung als antifaschistischer Strategie: Sie setzt auf eine – vermeintlich oder real existierende – antifaschistische Zivilgesellschaft, die durch das Aufzeigen des extrem rechten Charakters der FPÖ mobilisiert werden und die Regierung sowie politischen Parteien zum Handeln zwingen kann. Das kann – insbesondere kurzfristig – durchaus erfolgreich sein und bleibt selbstverständlich eine Notwendigkeit. Dennoch eine »Routine« der Skandalisierung, die sich abnutzt: Die wiederholten Verweise auf die Verbindungslinien zwischen der FPÖ und den sogenannten Identitären haben nicht zu einer zunehmenden Distanzierung oder Abgrenzung beigetragen. Stattdessen wird sich heute offen aufeinander bezogen. In der langfristigen Perspektive verweist die Entwicklung des konservativen bis linksliberalen (Parteien-)Spektrums darauf, wie brüchig und ideologie-theoretisch falsch das einheitsstärkende Bild der von rechts außen bedrohten, antifaschistischen »Mitte« ist.

Eine antifaschistische Bewegung muss sich leider mit der Frage konfrontieren, wohin sie ihre Energie fließen lässt. Mit wieviel Aufwand reagieren wir auf den nächsten öffentlich geäußerten Tabubruch, mit dem Risiko, dass er leider schon lange keiner mehr ist und Großteile der österreichischen Bevölkerung, wenn nicht zu Applaus, nur zu einem müden Schulterzucken verleitet? Und wieviel Energie widmen wir der Bearbeitung des teilweise unterbeleuchteten Alltags und darauf, was die extreme Rechte in Regierungen mit den Facetten der individuellen Lebensbewältigung anrichtet?

Der Beitrag beruht auf einem Gastbeitrag der Plattform Radikale Linke im Antifaschistischen Infoblatt (Ausgabe 144, 3/2024) und wurde redaktionell mit den aktuellen Entwicklungen ergänzt. Siehe antifainfoblatt.de und radikale-linke.at