Ursprung und Ausweitung
12. März 2025
Mehr Sorgfalt beim Faschismusbegriff! Vom Schlagwort zur Analysekategorie
»Fascismo« – das Wort kommt von den 1919 in Italien gegründeten »Kampfbünden« (italienisch: Fasci di Combattimento). Diese ultranationalistischen, antidemokratischen und antisozialistischen Paramilitärs wählten die als »Bundismus« übersetzbare Bezeichnung für sich selbst, um die angestrebte Dynamik, Gemeinschaftlichkeit und Militanz ihrer Bewegung zu betonen.
Karriere des Wortes »Faschismus«
Anfang der 1920er-Jahre wurde der Faschismus zum Erfolgsmodell für die weltweite politische Rechte. Viele Gruppierungen benannten sich nach dem italienischen Vorbild oder bezogen sich zumindest positiv darauf. Zur selben Zeit begann die Karriere des Wortes »Faschismus« als Kampfbegriff. Gegner*innen des Faschismus übertrugen die Bezeichnung polemisch auf viele Phänomene, die aus ihrer Sicht dem Faschismus ähnelten oder ihm Vorschub leisteten. Ebenfalls schon früh wurde der Bolschewismus/Leninismus mit dem Faschismus gleichgesetzt, so von konservativer und liberaler, aber auch von anarchistischer und sozialdemokratischer Seite. Hier begann die Geschichte der Totalitarismustheorie, die sich bis zur offiziellen Extremismusdoktrin in der BRD zieht.
Die Ausweitung und Übertragung des Faschismusbegriffs, die Gleichsetzung anders gearteter Phänomene mit dem Faschismus – diese Praktiken lassen sich immer noch beobachten. Der Faschismusvorwurf ist in der politischen Polemik nach wie vor beliebt und nahezu beliebig verwendbar. Auch viele Leser*innen der antifa sind wahrscheinlich schon einmal als »Linksfaschisten«, »rotlackierte Faschisten«, »Meinungsfaschisten« oder ähnliches beschimpft worden.
Diese Verwahrlosung des Begriffs wird durch folgenden Umstand begünstigt: Nach über hundert Jahren der politischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Faschismus liegt eine unübersehbare sowie widersprüchliche Fülle von Analysen, Theorien und Definitionen vor. Die einschlägigen Kontroversen bilden alle politisch-ideologischen Konfliktlinien der modernen kapitalistischen Gesellschaft ab. In diesem Wust lassen sich fast immer Argumente finden, um einen Faschismusvorwurf zu stützen.
Während der Begriff also durch jahrzehntelange politische Polemik und Wissenschaftskontroversen so abgenutzt und geweitet ist, dass er sich über nahezu alles stülpen lässt, ruft er gleichwohl noch immer die Erinnerung an die schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte wach und taugt daher zur Skandalisierung und Alarmierung. Das Ergebnis ist eine Bagatellisierung des Faschismus, die historisch informierten antifaschistischen Kreisen nicht gefallen kann, aber leider irreparabel erscheint.
Profaschistische Begriffsmanipulation
Antifaschistischer Widerspruch sollte sich aber mindestens dann regen, wenn Faschismusvorwürfe eingesetzt werden, um ein Bündnis mit faschistischen und anderen extrem rechten Kräften zu rechtfertigen oder zu fordern. So wurden in der politisch diffusen, verschwörungsideologisch geprägten Protestbewegung gegen die Corona-Maßnahmen die Begriffe Hygiene-, Pandemie- und Corona-Faschismus geprägt. Um diesen entweder akut drohenden oder bereits aktuellen vermeintlichen Faschismus in letzter Minute zu verhindern, beziehungsweise Widerstand gegen ihn zu organisieren, sei das Bündnis auch mit »Reichsbürgern«, Neonazis, »Identitären« und AfD zwingend erforderlich.

Mathias Wörsching: Faschismustheorien. Überblick und Einführung. Schmetterling-Verlag, 2020, 240 Seiten, 15 Euro. Auch erhältlich im VVN-BdA-Shop: shop.vvn-bda.de
Ein anderes Beispiel lieferte der ehemalige Linkspartei-Politiker und Wagenknecht-Unterstützer Diether Dehm, und zwar in einem Interview zum Thema Querfront, das 2023 in Jürgen Elsässers extrem rechtem Compact-Magazin abgedruckt wurde. Dehm ist so zu verstehen, dass eigentlich die demokratisch-liberalen Führungsgruppen der westlichen Staaten, allen voran der USA (damals noch nicht unter Trump), die größte faschistische Gefahr von heute darstellen. Wer wahrhaft antifaschistisch sei, müsse sich mit nationalistischen und konservativen Kräften (also auch mit der AfD oder zumindest Teilen von ihr) gegen diese Gefahr verbünden – so wie früher antifaschistische Deutsche das Bündnis mit konservativen Gegnern des Naziregimes suchten.
Wie sind solche Vorstöße einzuschätzen in Zeiten, in denen quer durch alle gesellschaftlichen Bereiche um »rote Linien« und »Brandmauern« gegen die extreme Rechte gerungen wird? Es handelt sich um rhetorische Rammböcke gegen die verbliebene Widerstandsfähigkeit antifaschistischer und linker Milieus.
Mit dieser Einschätzung ist allerdings noch nichts inhaltlich zur Kritik der eben skizzierten Faschismusvorwürfe gesagt. Um diese Kritik zu leisten, und nicht selbst das Wort »Faschismus« nur als Kampfbegriff und Schlagwort einzusetzen, müssten wir faschismustheoretisch argumentieren. Dazu müsste zunächst geklärt sein, um welchen Aspekt, welche Bedeutungsebene des Faschismusbegriffs es gehen soll – Faschismus als (oppositionelle) Bewegung, Faschismus an der (Staats-)Macht, Faschismus als Ideologie und Herrschaftsprogramm, als Typ politischer Organisation und Praxis? Nicht nur als Schlagwort, auch als Analysekategorie ist der Begriff vieldeutig.
Dann sollten wir angeben, auf welche Faschismusdefinition wir uns beziehen. Erst wenn der theoretische und begriffliche Rahmen abgesteckt ist, können wir tatsächlich vergleichend analysieren, das heißt, Gemeinsamkeiten und auch Unterschiede eines Phänomens im Vergleich zum Faschismus festhalten.
Opposition wird gewaltsam zerschlagen
Gegen maßlos überzogene Faschismusvorwürfe an die Adresse kapitalistischer Demokratien und bürgerlich-liberaler Kräfte wäre aus faschismustheoretischer Sicht vieles einzuwenden. Ein Beispiel nur: Faschismus an der Macht bedeutet unter anderem »terroristische Diktatur« (so nannten es viele marxistische Forscher*innen) oder auch »totalitäre Herrschaft« (in den Worten vieler liberaler Gelehrter). Legale Opposition, gar System-opposition, ist unter dem Faschismus nicht mehr möglich, wird gewaltsam zerschlagen. Auch das Rechtssystem bietet Regimegegner*innen keine oder kaum noch Möglichkeiten, ihre Interessen zu vertreten.
Im Gegensatz dazu genießen rechtsoffene Coronaleugner*innen, rechtsextreme Demagogen wie Elsässer und auch Leute wie Dehm heute weitgehende Agitations- und Demonstrationsfreiheit. Häufig und bisweilen erfolgreich prozessieren sie gegen Behörden und politische Widersacher*innen. Die aus diesen Kreisen betriebene Diffamierung kapitalistischer Demokratien und liberaler Kräfte als faschistisch hat nichts mit einer berechtigten Kritik an autoritärer Formierung und Militarisierung von Staat und Gesellschaft zu tun.
Verbreitet sich eine solche Verwahrlosung des Faschismusbegriffs in linken und antifaschistischen Kreisen, so wird die faschistische Gefahr unterschätzt und die notwendige breite Bündnispolitik vernachlässigt. Schlimmstenfalls verirren sich Antifaschist*innen dahin, selbst ein Bündnis mit Teilen der extremen Rechten einzugehen und dieser somit den Weg in die eigenen Milieus und Strukturen zu bahnen.
Mathias Wörsching betreibt die Internetseite faschismustheorie.de und schrieb in der antifa-Ausgabe Januar/Februar über Unterschiede zwischen der historischen Epoche des Faschismus (1918 bis 1945) und der Gegenwart.