Bundeswehr nach Syrien?

geschrieben von Cornelia Kerth

11. Januar 2016

»Allianz gegen den Terror« ist nicht die Lösung, sondern Teil des Problems

 

Die Spuren der Attentäter von Paris führen direkt in die Pariser Vorstädte, z. B. nach St. Denis, und in den Brüsseler Stadtteil Molenbeek. Ihr persönlicher Background ist nicht der syrische Bürgerkrieg. Sie wurden in Frankreich oder in Belgien geboren, sie besuchten französische oder belgische Schulen und wuchsen auf französischen oder belgischen Straßen auf in dem Gefühl, dass das Land ihrer Geburt für sie nichts anderes bereithält als eine Zukunft zwischen Arbeitslosigkeit und miesen Jobs oder eine Karriere als Kleinkriminelle. Religion hat in diesen Milieus vor 9/11 eher keine Rolle gespielt. Erst der danach ausgerufene »Krieg gegen den Terror« und der damit in mehr oder weniger allen westlichen Ländern verbundene Generalverdacht gegen Muslime zwang viele dieser Jugendlichen, sich mit dem von ihnen gezeichneten Bild zu befassen. Wem die Macht fehlt, dem Klischee etwas entgegenzusetzen, dem bleibt, es anzunehmen und positiv zu besetzen. Das ist sicher nicht die einzige, aber eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass es Salafisten besonders leicht fällt, in Jugendknästen Nachwuchs zu rekrutieren.

Dezember 2015, Berlin: Demo gegen den Bundeswehreinsatz

Dezember 2015, Berlin: Demo gegen den Bundeswehreinsatz

»Ethnisierung der Sozialstruktur« nennen Sozialwissenschaftler den gesellschaftlichen Prozess, der solche Verhältnissen schafft und natürlich ist das grundlegende Problem der alltägliche, strukturelle und institutionelle Rassismus, der den bürgerlichen Gesellschaften Europas seit ihrer Entstehung im Zuge der europäischen Expansion zu eigen ist und der zugleich diese Expansion bis heute prägt. Wer oder was sich ihr in den Weg stellt, wird im Namen der Menschenrechte und des freien Welthandels niedergemetzelt.

Bei der Wahl der Mittel und Verbündeten war und ist man dabei nicht wählerisch. Es ist allgemein bekannt, dass die afghanischen Taliban ebenso wie Al Qaida ihre Ursprünge in der westlich unterstützten islamistischen Offensive gegen die afghanischen Kommunisten und die sie unterstützenden sowjetischen Truppen haben. Die Kooperation mit Saudi-Arabien, das dank der Ölgeschäfte seit Jahrzehnten seine extrem reaktionäre wahhabitische Variante des Islam in die gesamte muslimische Welt trägt, hat schon dort unheilvolle Früchte getragen. Dass der jetzt als ideologische Grundlage sämtlicher islamistisch- terroristischer Gruppierungen dienende Salafismus auf der saudischen Islam-Interpretation fußt, hindert weder die USA noch die deutsche Bundesregierung oder andere Verteidiger der europäischen Werte daran, das Saud-Regime als wichtigsten Verbündeten in der Region zu umgarnen und mit Waffensystemen aller Art auszustatten.

In Syrien trafen sich erneut die Interessen des »freien« Westens mit denen des Verbündeten aufs Vortrefflichste. Als in Tunesien und Ägypten die diktatorischen Regimes innerhalb kürzester Zeit vor den Massenprotesten kapitulierten und abtraten, war die Hoffnung groß, dass auch die syrische Protestbewegung erfolgreich sei. Anders als im Fall von Ägypten und Tunesien, beide fest mit den westlichen Bündnissystemen verbunden, hätte das gut gepasst, ist doch Diktator Assad mit Russland und Iran verbündet und stärkte so die iranische Position als Regionalmacht. Als sich nun herausstellte, dass die Protestbewegung nicht die gesamte Bevölkerung mobilisierte, sondern dass es durchaus Teile der multiethnischen und multireligiösen syrischen Zivilgesellschaft gab, die Assads Herrschaft dem Unbekannten – in Ägypten war der Einfluss der Muslimbrüder schon deutlich geworden – vorzogen, entstand Handlungsbedarf. NATO-Partner Erdogan unterstützte die »moderat-islamischen« Kräfte, durch die er sich eine Stärkung seiner Position in der Region versprach, und selbstverständlich sahen die Verbündeten am Golf ihre Chance gekommen und investierten in die sunnitischen Milizen und so nahm der Bürgerkrieg seinen Lauf und der »Islamische Staat« erhielt seine Grundlage.

Schon seit 2012 waren übrigens 250 Bundeswehrsoldaten mit dem Raketenabwehr-System Patriot an der türkisch-syrischen Grenze stationiert, die im August 2015 vorzeitig abgezogen wurden, nachdem Erdogan den Waffenstillstand mit der PKK beendete und nun wieder auf »sein eigenes Volk« schießt. Nun werden sie durch AWACS Luftaufklärungs-Systeme der NATO mit Bundeswehr-Besatzungen ersetzt. Ein Tankflugzeug der Bundeswehr ist schon im »Krieg gegen den Terror« im Einsatz, Tornado-Aufklärer, die die Ziele für die Bomber auswählen, werden folgen.

Probleme lösen wird das nicht, weder in Syrien noch in den einschlägigen Stadtteilen europäischer Städte. Völkerrecht und internationale Institutionen bleiben erneut auf der Strecke. Aber: Deutschland übernimmt »Verantwortung«, ganz wie von der Leyen, Steinmeier und Gauck es propagieren – für die Toten, auch die kurdischen, und für die, die weiterhin auf die Flucht getrieben werden.