Ein »Familienkongress«

geschrieben von Lisa Mangold

20. Mai 2019

Antifeministische und homofeindliche Kräfte vernetzen sich europaweit

Die Anti-Choice-Bewegung ist in den letzten 20 Jahren in Europa sichtbarer geworden und vernetzt sich. Das weltweit größte explizit antifeministische und homofeindliche Netzwerktreffen von Politikern, Lobbyisten, Verbänden, Zivilgesellschaft und staatlichen Institutionen ist der »Congress of Families« (WCF), an dem in diesem Jahr nach Presseberichten ca. 1500 Menschen teilnahmen. Er vernetzt extrem rechte und ultra-konservative christliche Akteure. Eine Untersuchung von openDemocracy.net zeigt, dass zahlreiche Politiker und Politikerinnen aus Europa, darunter Bürgermeister, Abgeordnete, Minister, Botschafter und Staatschefs im Laufe der Jahre als Redner beim WCF gelistet waren. Fast die Hälfte von ihnen kam aus rechtsextremen Parteien in Ungarn, Italien, Polen, Serbien und Spanien. 1997 fand der WCF erstmals statt; seit 2012 tagt er jährlich in verschiedenen Ländern. 2017 lud Ungarn ein; Premier Viktor Orbán war Schirmherr. Und auch in diesem Jahr (29. bis 31. März) fand der Kongress mit Italien in einem EU-Land statt. Das Motto »The Wind of Change: Europa und die globale Bewegung für die Familie« klingt diffus bis harmlos, doch schon die Wahl des Austragungsortes zeigt, mit welchen Positionen die Akteure sympathisieren: die Stadt Verona nennt sich selbst »Stadt des Lebens«. 2018 beschloss der Stadtrat Abtreibungen zu verhindern und Mutterschaft zu fördern. Sponsor des diesjährigen Kongresses war u.a. CitizenGo, dessen Präsident, Ignacio Arsuaga, als Redner auftrat. In Deutschland unterstützt CitizenGo die »Demo für alle«.

Die meisten Akteure beim WCF geben sich menschenfreundlich und schmücken sich damit, sich für die Stärkung der Familie und für Kinder- und Frauenrechte einzusetzen. Freundlich ist ihre Politik jedoch zu Wenigen: als Familie gilt nur der Zusammenschluss aus einer verheirateten Cis-Frau und einem Cis-Mann mit (möglichst vielen) Kindern. Kinderrechte meint vor allem Geburtenförderung und den »Schutz des ungeborenen Lebens«, also u.a. die Ablehnung von Schwangerschaftsabbrüchen. Frauengesundheit interessiert eher im Zusammenhang von Zeugungsfähigkeit und Frauenrechte umfassen den Verzicht der Frau auf ihr Recht am eigenen Körper zugunsten des »Rechts«, Mutter zu sein.

In diesem Jahr nahmen u.a. die ungarische Staatsministerin für Familie, Katalin Novak, und Polens Botschafter, Konrad Glebocki, teil. Die antifeministische Initiative Familien-Schutz suggerierte in ihrem Tagungsbericht, der italienische Innenminister Matteo Salvini sei Hauptredner gewesen. Die Recherche von Patricia Hecht (taz) zeigt, dass Salvini jedoch nicht, wie angekündigt, die Tagung eröffnete, sondern lediglich ein Podium am Samstag ergänzte. Salvini sprach über die Förderung von Nachwuchs; das Abtreibungsrecht und die Ehe für alle wolle er jedoch beibehalten.

Der zunächst angekündigte Präsident des Europäischen Parlaments, Antonio Tajani, nahm nicht teil. Tajani hat sich immer wieder gegen Abtreibung und die Ehe für alle geäußert. Die Absage kann am Protest verschiedener Europaabgeordneter liegen, u.a. vernetzt in der LGBTI Intergroup.

Auch in der Zivilgesellschaft regte sich Protest. Patricia Hecht berichtet für die taz, dass innerhalb weniger Tage mehr als 100.000 Menschen eine Petition unterzeichneten, in der sie die italienische Regierung aufforderten, den Kongress nicht zu unterstützen. Dies sind nur kleine Hoffnungsschimmer, da viele weitere Rednerinnen und Gäste an der Konferenz teilnahmen. Doch sie zeigen, dass der Protest wirkt. Und unbedingt notwendig ist.

So wenig zukunftsweisend die Positionen klingen mögen, die Akteure sind gut vernetzt und mächtig. Der WCF ist nur eines von vielen Beispielen für mächtige antifeministische Bündnisse. Im Europaparlament sind die antifeministischen und Anti-Choice-Akteure seit 2000 sichtbarer geworden, und zwar sowohl Abgeordnete, als auch erzkonservative und christlich-fundamentalistische Lobbyorganisationen. Lobbyorganisationen streuen gezielt Fehlinformationen und polarisieren Debatten durch Social-Media-Kampagnen und öffentliche Petitionen. Abgeordnete und ihre rechten Zusammenschlüsse beeinflussen die Verabschiedung von EU-Resolutionen sowie Empfehlungen des Europarates und versuchen, EU-Projekte zu reproduktiver und sexueller Gesundheit, Frauenrechten und Gender-Mainstreaming zu blockieren.

Es ist wichtig, dass sich Protest gegen die reaktionären Netzwerke regt. Eine Skandalisierung, wie jetzt beim WCF geschehen, kann ein Mittel sein, gegen die Normalisierung homo- und frauenfeindlicher Bündnisse vorzugehen.