Wie eine Fliege ausspucken

geschrieben von Thomas Hacker

8. September 2024

Seit dem Krieg gegen die Ukraine radikalisiert sich die russische Politik nach rechts

Mit Beginn des Eroberungskrieges am 24. Februar 2022 hat sich die russische Politik deutlich radikalisiert. Neben geostrategischen Argumenten ließ das Regime von Anfang an keinen Zweifel an seiner Mission der Wiederherstellung alter imperialer Größe und seiner Zuständigkeit für die »Russische Welt« (russki mir). Revanchismus und völkisches Gedankengut wurden stets klar kommuniziert. Wie eine Fliege ausspucken weiterlesen »

Klasse ist überall

geschrieben von Peps Gutsche

8. September 2024

Vom Klassenunbewusstsein zur Gemeinwohlorientierung

Die Schwarze Journalistin Ciani-Sophia Hoeder beschäftigt sich in diesem Buch damit, wie Klassenunterschiede alle Lebensentscheidungen, die wir treffen, beeinflussen, wobei gleichzeitig wenig über Klasse gesprochen wird. Die aktuellen Debatten rund um Klassismus als Diskriminierung aufgrund des sozialen Status ergänzt Hoeder durch einen strukturellen Blick auf den Kapitalismus und das dahinter stehende Menschenbild.

Dabei kombiniert die Autorin politische Analyse und Interviewauswertungen mit ihrer persönlichen »Klassenreise« vom Aufwachsen mit einer alleinerziehenden Mutter hin zur aktuellen, akademisierten Mitte. In verständlicher Sprache und mit prägnanten Sätzen macht sie deutlich, wie unterschiedlich das Verhalten von Menschen bewertet wird, je nachdem, welcher Klasse sie zugehörig sind. »Klasse ist überall«, so Ciani-Sophia Hoeder und reitet dabei in den unterschiedlichen Kapiteln durch Themen wie Bildung, Dating, Essen, Sorgearbeit und Umgang mit Geld. Sie unterteilt dabei in fünf Klassen: die prekäre Klasse, eine aktuelle Mitte (studierte Personen mit neu entstandenen Berufsfeldern oder Wissenschaftler_innen), eine klassische Mittelklasse (mit traditionellen Werten und Berufen), eine wohlständige Klasse und die Überwohlständigen (aka Superreiche). Immer dabei im Blick: das Wechselverhältnis und das Zusammenspiel von Klasse, Geschlecht und Race. Klasse ist überall weiterlesen »

Profitiert und stabilisiert

geschrieben von Ulrich Schneider

8. September 2024

Katholische Perspektive auf Zwangsarbeiter

Es ist schon etwas Besonderes, wenn eine katholische Kirchengemeinde ein Buch über Zwangsarbeit in der Nazizeit herausgibt. Tatsächlich gibt es – nach der Aufarbeitung in den verschiedenen Bistümern – einzelne Werke zu diesem Thema. Auch in den Einrichtungen der katholischen Kirche waren Zwangsarbeiter eingesetzt.

Das vorliegende Buch der St.-Gallus-Gemeinde in Frankfurt am Main fällt dennoch aus dem Rahmen. Die Gemeinde fühlt sich seit vielen Jahren mitverantwortlich für die Aufarbeitung des Schicksals der mehreren tausend Zwangsarbeiter, die für den Rüstungsbetrieb Adlerwerke nach Frankfurt zuerst gelockt, dann verschleppt wurden und unter schlimmen Bedingungen als Sklavenarbeiter tätig sein mussten. Das Buch ist insofern ein »Gemeinschaftswerk«, als neben historischen Darstellungen Berichte ehemaliger Zwangsarbeiter und anderer Zeitzeugen in diesen Band aufgenommen wurden. Profitiert und stabilisiert weiterlesen »

»Remigration« als Ziel

geschrieben von Janka Kluge

8. September 2024

Die Correctiv-Recherchen zum Treffen von Rechten bei Potsdam nun als Buch erhältlich

Gut ein halbes Jahr ist seit der aufsehenerregenden Recherche von Correctiv zu dem Treffen von Konservativen, AfDlern und »Identitären« am 25. November 2023 bei Potsdam inzwischen vergangen. Dort war nicht zuletzt im Hinblick auf extrem rechte Machtoptionen durch sich weiter abzeichende AfD-Wahlerfolge über massenhafte Deportationen von Teilen der Bevölkerung diskutiert worden. Nun veröffentlichte der Investigativjournalist Markus Bensmann zusammen mit Correctiv das Ergebnis der Recherchen in umfangreicherer Form. Correctiv ist ein Medienunternehmen, das nach Eigenangaben »investigativen und aufklärerischen« Journalismus verbreitet. Es wurde 2013 gegründet und begann im Juli 2014 seine Arbeit. Ein Augenmerk, aber nicht der einzige, sind Recherchen zur AfD und anderen rechten Gruppen. Das jetzt veröffentlichte Buch hat den großen Vorteil, dass die Autor:innen auf viel Hintergrundwissen zugreifen können. »Remigration« als Ziel weiterlesen »

Im Widerstand gegen Nazis

geschrieben von Dorothee Schmitz-Köster

8. September 2024

Frauen bekämpfen die faschistische Diktatur. Eine großartige Ausstellung in Berlin

1994 erschien ein umfangreiches »Lexikon des deutschen Widerstands«. Neben Hintergrund-essays und einer Übersicht über die zahlreichen Widerstandsgruppen stellte das Buch Personen vor, die sich gegen die Nazidiktatur gewehrt hatten – und zwar 510 Männer und 47 Frauen. Unter ihnen viele, die als »Frau von …« bekannt geworden waren, als Ehefrauen, Lebensgefährtinnen, Schwestern. Hilde Coppi bekam im Lexikon nicht einmal einen eigenen Eintrag, sondern wurde unter dem Namen ihres Mannes mitaufgeführt. So war das 1994 – unglaublich, aber wahr. Im Widerstand gegen Nazis weiterlesen »

Architekt des Holocaust

geschrieben von Axel Holz

8. September 2024

Eichmann in Jerusalem: Hannah Arendts 1964 erschienenes Buch brachte eine Lawine ins Rollen

Als Banalität des Bösen charakterisierte Hannah Arendt als Reporterin beim Jerusalemer Eichmann-Prozess 1961 den Tätertyp Adolf Eichmanns. Dieser habe bei der »Endlösung der Judenfrage« eine geringere Rolle gespielt, als die Anklage unterstellt habe. Die Artikelserie erschien 1963 zunächst im New Yorker, im selben Jahr als Buch in den USA und 1964 auch in deutscher Sprache. Manche sehen in der Formulierung eine Phrase, andere eine Chiffre und ein Resümee des Buches, die nur im letzten Satz des Berichtes vorkommt und erst nachträglich in den Titel und das Vorwort des Buches aufgenommen wurde.

Der SS-Obersturmführer und Leiter des Judenreferats beim Reichssicherheitshauptamt, Adolf Eichmann, war nach dem Krieg nach Argentinien geflohen, lebte dort unter dem Namen Ricardo Klement und tauschte sich in Argentinien weiter mit Nazis aus, wie Tonbandprotokolle von Gesprächen mit dem niederländischen SS-Mann Willem Sassen belegen. Der israelische Geheimdienst hatte den Staatenlosen nach Hinweisen in Argentinien aufgespürt, 1960 festgenommen und nach Israel gebracht. Dort wurde Eichmann vom März bis Dezember 1961 der Prozess gemacht. Dieser endete mit einem Todesurteil, das im Juni 1962 vollstreckt wurde. Eichmann galt als Architekt des Holocaust. Hunderte Zeugen erschienen zum Prozess, der weltweit Aufmerksamkeit erzeugte und nicht ohne Grund auch Bonner Politiker in Unruhe versetzte. Denn anders als die Israelis befürchteten, kooperierte Eichmann umfangreich und konnte auch einflussreiche deutsche Politiker mit deren Nazivergangenheit belasten. Architekt des Holocaust weiterlesen »

Noch ein Antifafilm?

geschrieben von Markus Roth

8. September 2024

Eine bemerkenswerte Doku erzählt Geschichten autonomer Antifas

Das Filmkollektiv Leftvision hat pünktlich zu den Landtagswahlen in Ostdeutschland einen Dokumentarfilm zum autonomen Antifaschismus der 90er Jahre herausgebracht. Porträtiert werden fünf Personen, die rückblickend ihre damalige Praxis, die Risiken für Leib und Leben, die Militanz gegen Neonazis, die Repression des Staates gegen sie, die eigenen (analogen) Vorgehensweisen, die Erfolge und Begrenzungen dieser »Politik der Straße« diskutieren. Laura aus Ostberlin, die sich mit den Neonazis auch im Umland herumärgern musste; Navid, der in Göttingen dabei war als Conny Wessmann zu Tode kam; Kessy, die das Antifapressarchiv (apabiz) in Berlin mitaufgebaut hat; Torsten, der in Quedlinburg heute als Anwalt tätig ist und die wichtige Perspektive auf Antifa in nichturbanen Räumen mitliefert, und Nina, die in Hamburg bis heute aktiv ist und damals sehr viel auf Achse war, um auf dem Land zu intervenieren. Noch ein Antifafilm? weiterlesen »

Schleichender Beginn

geschrieben von Peter Nowak

8. September 2024

Forschungsprojekt zur Etablierung des Faschismus in Deutschland am Beispiel Pfungstadt

»Die freundliche Kleinstadt Pfungstadt befindet sich im Südwesten Deutschlands. Sie liegt zehn Kilometer südlich von Darmstadt, elf Kilometer östlich des Rheins, acht Kilometer westlich des Odenwalds und sechsundfünfzig Kilometer nördlich von Heidelberg.« Mit dieser geografischen Einordnung beginnt der US-amerikanische Historiker David E. Arns sein Buch über die Faschisierung in Deutschland am Beispiel der südhessischen Kleinstadt Pfungstadt, die heute knapp 25.000 Einwohner*innen zählt. Arns’ Forschungsprojekt, an dem er mehrere Jahre arbeitete, begann 1972.

»Die Demokratie starb in Pfungstadt aufgrund der kurzsichtigen Sichtweise der Mittelschicht, einer Kurzsichtigkeit, die durch die scheinbar unlösbare Wirtschaftskrise verursacht wurde« (S. 15), so Arns’ klare Analyse. Der Historiker beschreibt, wie die Faschisierung des Mittelstands in Pfungstadt schleichend beginnt. Schleichender Beginn weiterlesen »

Ausgabe Juli/Ausgabe 2024

4. Juli 2024

zeigt auf einem realistisch gemalten Werk von Susanna Storch den Blumenstrauß, den Susanne Hennig-Wellsow (Die Linke) am 5. Februar 2020 Thomas Kemmerich (FDP) in Erfurt vor die Füße warf. Der Protest richtete sich dagegen, dass sich Kemmerich mit der AfD zum Ministerpräsidenten Thüringens wählen ließ. © Storch

zeigt auf einem realistisch gemalten Werk von Susanna Storch den Blumenstrauß, den Susanne Hennig-Wellsow (Die Linke) am 5. Februar 2020 Thomas Kemmerich (FDP) in Erfurt vor die Füße warf. Der Protest richtete sich dagegen, dass sich Kemmerich mit der AfD zum Ministerpräsidenten Thüringens wählen ließ. © Storch

Editorial (Nils Becker)

Zeitgeschehen

Bei den EU-Wahlen bewahrheitete sich der vorhergesagte Aufschwung der extremen Rechten (Ulrich Schneider)

Der DGB und die AfD (Regina Girod)

Nothilfe in Gaza: Es fehlt an allem – sogar an Platz! (Cadus e.V.)

Zu den aktuellen Verschärfungen im Asylsystem. Ein Gespräch mit dem Anwalt Franz Spindler

Gedanken zur diesjährigen Befreiungsveranstaltung des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück (einige Mitglieder der Lagergemeinschaft Ravensbrück Freundeskreis e. V.)

Deutsche Gesellschaft soll »kriegstüchtig« werden – natürlich auch das Militär (Jörg Kronauer)

Camp »Kiel entwaffnen – Rüstungsindustrie versenken« in norddeutscher Hafenstadt (Peter Nowak)

Meldungen

Digitale Minigames sollen NS-Zeit mit Alltag Jugendlicher in Gegenwart verbinden

Angriffe auf Freiheiten: 75 Jahre Grundgesetz: »Demokratischer Ratschlag« in Bonn (Bernd Kant)

70.000 in Essen – antifaschistische Massenproteste gegen AfD-Bundesparteitag in NRW-Metropole

IfS-Verein aufgelöst: Kubitschek schützt sein »Werk« vor Verbot (Janka Kluge)

AfD bestreiken: Fit machen gegen die Machtübernahme (Markus Roth)

Heute gemeinsam! 1933 hätte durch solidarisches Handeln verhindert werden können. Aufruf von Nachkommen des Widerstands

Aus den Archiven

VVN in Nöten. Beitrag der Stuttgarter Nachrichten von 1949 zeigt Denken in neuer BRD auf (Bernd Kant)

Spezial

Aufschwung in Europa: Der Sommer des antifaschistischen Widerstandes 1944 (Ulrich Schneider)

Porträt

Max Oppenheimer: KZ, Exil – und danach stets aktiv (Ernst Antoni)

Geschichte

Vor 100 Jahren: Antifaschistischer Selbstschutz (Maria Krüger)

Die Verbrechen der Wehrmacht auf dem Balkan (Gerald Netzl)

Internationales

Eine internationale Delegation beobachtete die türkischen Kommunalwahlen (Leo Welsing)

Staatliche Duldung rechter Hardliner als Strategie in den USA und Osteuropa (Kevin Schal)

Kultur

Ein Buch zu den unter den Nazis als »Asoziale« und »Berufsverbrecher« Verfolgten (Kristin Caspary)

»Der Satz ist mehr als eine Lüge«. Die NS-Devise »Arbeit macht frei«. Ein Gespräch mit Nikolas Lelle

»Wichtiger als unser Leben«: Band zum Untergrundarchiv des Warschauer Ghettos (Janka Kluge)

Forschungsarbeit über Nürnberger NS-Zwangsarbeiterkinder und das Schicksal ihrer Mütter erschienen (Eva Petermann)

»Ob dieser Inspiration«. »Begegnungen« mit Erich Mühsam. Ein Gespräch mit Isabel Neuenfeldt

Rocco Artale: Vom Arbeitsmigranten zum Ehrenbürger (Axel Holz)

Wohin jetzt? Vorabdruck des Kapitels »Sieben Frauen« aus »Esthers Spuren« (Benet Lehmann)

Plädoyer für Antifaschist:innen: Solidarität, die Sorge füreinander als politisches Programm (Selina Arthur)

Bombenattentate in Südtirol und die frühe Bundesrepublik (Peps Gutsche)

»Arzt in den Höllen«: Zur Geschichte eines Buchs des Widerstandskämpfers Fritz Lettow (Cornelia Nenz, geb. Lettow)

editorial

geschrieben von Nils Becker

4. Juli 2024

So viel Deutschland war schon lange nicht mehr. Nach den Wahlen am 9. Juni – bei denen die Position »Germany First« einen deutlichen Schub bekommen hat –, wird sich bis zu den Landtagswahlen im September anscheinend nicht mehr abgeschminkt. Die Europameisterschaft verstärkt den Eindruck, dass die Farbkombination Schwarz-Rot-Gold, mit allem was ideologisch an ihr hängt, Konsens ist. Also nationale Souveränität auf allen Ebenen, Schließung nach außen – aber nur soweit, dass dem wirtschaftlichen Erfolg nichts im Weg steht – und die moralische Selbstdefinition als Friedensstifter und Diktatur-Aufarbeitungsweltmeister mit in den Schlaf nehmen.

Bei genauer Betrachtung sind sich die Parteien in der Parole des unsäglichen Sommerhits »Deutschland den Deutschen – Ausländer raus« leider viel zu einig. Konkurriert wird nur noch über die geeigneten Maßnahmen, um einer betont undefinierten Außengruppe das Leben hier madig zu machen. Mal sind nur irgendwie »Kriminelle« gemeint oder »religiöse Fanatiker«, und im nächsten Atemzug werden alle adressiert, die sich nicht am Vorankommen des Landes beteiligen. Die Choreografie dieser Kampagnen ist regelmäßig voraussehbar. Der Angriff auf Michael Stürzenberger in Mannheim, der mit einem toten Polizisten endete, war so ein gemeinsamer Kick für diese Postionen, bei denen alle Medien und Parteien mitgemacht haben und am Ende nur die AfD profitierte. Ganz so als verweigerten sie sich der intellektuellen Leistung, die Strategien der Rechten zu erkennen und gegenzusteuern.

Armin Laschet (war mal relevant für die CDU) erinnerte im Februar in Aachen bei einer vielbeachteten Rede daran, dass die Machtübernahme durch Adolf Hitler 1933 nur zwei Monate dauerte. Die Annahme, dass es mit der AfD »nicht so schlimm werde«, verbietet sich laut Laschet also. Seine Mahnung wird leider verhallen, denn in Dilemmasituationen ist der Konservatismus immer eingeknickt – ob nun historisch betrachtet oder aktuell in den Kommunalparlamenten und bei den Regierungsbildungen in den Nachbarländern.

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