Ihr lebt weiter

geschrieben von Denise Torres

27. April 2024

Zwei Erzählungen von Betroffenen des rechten Terroranschlags in Hanau

»Passt auf euch auf, gebt auf euch acht, es wird mit Hanau nicht enden!«   Çetin Gültekin, 2020, Hanau

Als Said Etris Hashemi und auch Çetin Gültekin ihre Bücher zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorstellten, wusste ich sofort, dass ich sie lesen würde. Es handelt sich um persönliche Erzählungen von Betroffenen rechten Terrors, aus einem Ort ganz in der Nähe von Frankfurt am Main, meiner Heimatstadt. Beide Autoren habe ich persönlich kennengelernt und ihren Reden mehr als einmal zugehört. Der 19. Februar 2020 in Hanau, um den es in beiden Büchern geht, hat auch für meine Freunde, Familie und viele politische Wegbegleiter eine tief einschneidende Bedeutung, jedoch für jeden auf seine Weise. Denn Hanau hat durch die Fragen und Anklagen der Betroffenen und Überlebenden sowie der Hinterbliebenen eine erneute Debatte über den Polizeiapparat, Diskriminierungen und den rechten Terror in der BRD ausgelöst. Das macht die Bücher für Nichtbetroffene zugänglich und bietet einen neuen und sehr persönlichen Einblick in jenen 19. Februar. Ihr lebt weiter weiterlesen »

Furchtlos handeln

geschrieben von Else Laudan und Lisa Mangold

27. April 2024

Rechte und Publizistik: Große Handelsunternehmen entdecken nicht freiwillig ihr demokratisches Gewissen

Anfang 2024 nahmen Bahnhofsbuchhandlungen das extrem rechte Compact-Magazin aus dem Sortiment, das rassistische, antisemitische und verschwörungstheoretische Positionen verbreitet. Die Valora Holding mit 900 Verkaufsstellen in Bahnhöfen, Flughäfen, Tankshops und Kiosken tat den ersten Schritt, weitere Unternehmen folgten. Edeka hatte das Magazin schon letzten Sommer aus dem Zeitschriftenregal verbannt.

Nun entdecken große Handelsunternehmen nicht freiwillig ihr demokratisches Gewissen. Der Auslistung geht jahrelange Arbeit von politischen Gruppen und Recherchezusammenhängen voraus. Es brauchte Analysen der Rolle des Magazins als rechtes Bewegungsmedium, beteiligte Akteure und Netzwerke wurden aufgedeckt, Hetzkampagnen politisch eingeordnet. Schließlich, nach der Veröffentlichung der Correctiv-Recherche 1, unterzeichneten über 100.000 Menschen die Onlinepetition gegen das Compact-Magazin, was gezielt Druck auf die Bahnhofsbuchhandlungen machte 2. Furchtlos handeln weiterlesen »

Für inklusives Miteinander

geschrieben von Peps Gutsche

27. April 2024

Wie wir Diskriminierung von Menschen mit Behinderung abbauen können

Ableismus beschreibt die Diskriminierung von behinderten Menschen aufgrund von Vorurteilen zugunsten von Menschen, die ohne Behinderung leben. Der Begriff stammt aus dem Englischen und ist abgeleitet von dem Begriff »able«, also »fähig sein«.

Ableismus fußt auf der gesellschaftlichen Einteilung von Menschen in »gesund« und »krank« aufgrund ihrer körperlichen, kognitiven oder psychischen Gesundheit sowie der Vorstellung, dass behinderte Menschen nicht die gleichen Fähigkeiten besitzen wie Menschen ohne Behinderung. Dabei ist das Spektrum von Behinderungen breit: Es gibt Menschen mit Einschränkungen des Bewegungsapparates ebenso wie Personen mit sichtbaren und unsichtbaren chronischen Erkrankungen, neurodivergente Menschen mit Autismus oder ADHS und noch viele mehr. Für inklusives Miteinander weiterlesen »

Botschaft der Solidarität

geschrieben von Ulrich Schneider

27. April 2024

Zum Tod von Stefan Jerzy Zweig (1941–2024)

Die Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora/Freundeskreis und die LAG Buchenwald-Dora trauern um den Tod eines Zeitzeugen, Stefan Jerzy Zweig. Er war als »Buchenwald-Kind« einer der bekanntesten Überlebenden des KZ Buchenwald. Bruno Apitz hatte ihm mit dem Roman »Nackt unter Wölfen« quasi ein Denkmal gesetzt. Sein Überleben galt für Nachgeborene als symbolisches Zeichen für Humanismus und Überlebenswillen der Häftlinge.

Das Leben von Stefan J. Zweig war von Anfang an vom faschistischen Terror geprägt. Geboren wurde er im Januar 1941 im Ghetto von Krakau (heute: Kraków). Als das Ghetto liquidiert wurde, brachte ihn sein Vater Zacharias Zweig unter abenteuerlichen Umständen im August 1944 mit dem Transport nach Buchenwald. Dort nahmen sich die politischen Häftlinge Willi Bleichert und Robert Siewert seiner an und halfen in Abstimmung mit dem illegalen Häftlingswiderstand, dass Stefan nicht nach Auschwitz deportiert wurde. Er wurde mit elf anderen von der Transportliste gestrichen, die dann jedoch mit neuen Namen aufgefüllt werden musste – der Transportbefehl der SS musste erfüllt werden. Auf diese Weise kam der damals 16jährige Sinto Willy Blum auf die Liste. Er begleitete seinen jüngeren Bruder nach Auschwitz. Zu ihrem Schutz wurden Stefan und sein Vater anschließend im »kleinen Lager« untergebracht, da dort die SS seltener auftauchte. Tatsächlich überlebten beide und erlebten die Selbstbefreiung des Lagers am 11. April 1945. Stefan J. Zweig nahm als jüngster Häftling an dem Freiheitsappell am 19. April 1945 teil. Botschaft der Solidarität weiterlesen »

Verschwiegene Gegenwehr

geschrieben von Ulrich Stuwe

27. April 2024

Ulrich Schneiders neues Buch über »Arbeiterwiderstand im Dritten Reich«

Der Widerstand gegen das NS-Regime ist einer von nur wenigen Komplexen in der Geschichtswissenschaft, in dem so augenfällig ist, dass die dominierende historische Betrachtung eine Folge der jeweils aktuellen Haltung der Herrschenden ist. Während jahrzehntelang in der Bundesrepublik lediglich die Putschisten des 20. Juli 1944, der Kreisauer Kreis und die Aktivisten der »Weißen Rose« als Widerstand angesehen wurden, fokussierte sich die offizielle DDR-Historie auf den kommunistischen Widerstand.

Erst in den 1970er und 1980er Jahren gelang es, diesen Delegitimierungen von Widerstand durch Erweiterung der betrachteten Widerstandsgruppen und Anerkennung ihrer unterschiedlichen Gesinnungen entgegenzutreten. Auch diese Erkenntnisse müssen immer wieder in neue Generationen hineingetragen werden. Das Wissen um den Widerstand aus den Reihen der Arbeiterbewegung erreicht neuere Generationen von historischen Fachleuten und Laien kaum noch, da es an neueren Publikationen mangelt. So kommen die Literaturhinweise in Ulrich Schneiders neuem Buch häufig aus dem 20. Jahrhundert. Verschwiegene Gegenwehr weiterlesen »

Historische Pionierarbeit

geschrieben von Peter Nowak

27. April 2024

Helge Döhrings Buch zum Anarchosyndikalismus zwischen 1933 und 1945 in Deutschland

Wenn es um antifaschistische Widerstandskäm-pfer*innen geht, wird wenig an Anarchist*innen und Anarchosyndikalist*innen gedacht. Daher ist es umso begrüßenswerter, dass sich der Anarchismusforscher Helge Döhring in einem Buch mit dem Anarchosyndikalismus in den Jahren 1933 bis 1945 in Deutschland befasst.

Der Historiker fasst auf 244 Seiten kompakt die Geschichte des Anarchosyndikalismus in der Zeit der Naziherrschaft zusammen. Bisher gibt es darüber wenig Literatur, weil diese Strömung innerhalb der Arbeiter*innenbewegung in Deutschland nach einem kurzen Aufschwung in den Jahren 1919 bis 1921 schnell wieder an Bedeutung verloren hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sie nicht mehr an diese Stärke anknüpfen. Historische Pionierarbeit weiterlesen »

Verblüffende Kontinuität

geschrieben von Harry Friebel

27. April 2024

Ein Buch über die BRD-Bundespräsidenten und deren Nazivergangenheiten

Am 8. Mai 1985 – 40 Jahre nach dem Sieg der Alliierten über die Nazidiktatur – sagte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU, Amtszeit 1984–1994) vor dem Plenum des Bundestags: »Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.« Im Zusammenhang mit dem 8. Mai von »Befreiung« zu sprechen war kein Tabubruch mehr – auch der Vorvorgänger Weizsäckers, Walter Scheel (FDP), hatte dieses Wort bereits zehn Jahre zuvor zum 30. Jahrestag eingebracht. Dennoch blieb Weizsäckers Aussage nicht folgenlos: Das Bundespräsidialamt wurde gleichsam überschüttet mit Reaktionen der Bewunderung, des Einverständnisses, des heftigen Widerspruchs und des »Hasses der Rechten«. Verblüffende Kontinuität weiterlesen »

Verdrängung ganz nah

geschrieben von Axel Holz

27. April 2024

Der Film »The Zone of Interest« beschreibt das Familienleben des Auschwitzkommandanten Höß

Filme über KZs der Nazis gehören mittlerweile zum kulturellen und politischen Erbe, um an den Holocaust zu erinnern. Frank Beyers -DEFA-Film »Nackt unter Wölfen« hat in der DDR Schülergenerationen begleitet, die Verfilmung von Jurek Beckers »Jakob der Lügner« die Oskar-Nominierung eines DEFA-Films ermöglicht, und auch »Morituri«, Regisseur Eugen York, Produzent Artur Brauner, sorgte in der Alt-BRD für Aufsehen. Alle drei Filme spielen im KZ und zeigen die Sicht der Häftlinge.

Jonathan Glazers Film wechselt die Perspektive in Richtung Täter, und statt Grauen zu zeigen, macht er es hörbar. Er nimmt einen ungewöhnlichen Blickwinkel auf die Deutschen ein und betrachtet die ungeliebte Schwester des Vergessens, die Verdrängung. Die Verfilmung von Martin Amis’ Roman »Interessengebiet« betrachtet das Familienleben des Auschwitz-kommandanten Rudolf Höß hinter der Mauer des KZ – zusammen mit seiner Frau Hedwig, fünf Kindern, drei Angestellten und einem Hund. Verdrängung ganz nah weiterlesen »

Eindrucksvolle Sammlung

geschrieben von Maria Krüger

27. April 2024

Florence Hervé über europäische Frauen im Widerstand gegen Nazis und Krieg

Als Florence Hervé Ende März in der Halle 5 der Leipziger Buchmesse die Bühne betrat, um ihr neues Buch vorzustellen, waren die Plätze mit knapp 80 Zuhörerinnen gut gefüllt, auch einige wenige Männer hatten sich eingefunden. Sie erfuhren, warum sich die Herausgeberin – sie wurde am 17. April 80 Jahre alt – mit diesem Thema beschäftigte, und hörten Auszüge aus zwei Biografien des neuen Sammelbandes »Ihr wisst nicht, wo mein Mut endet«.

Florence Hervé hat im Jahre 2020 den ersten Sammelband mit Biografien von Frauen aus dem antifaschistischen Widerstand in Europa unter dem Titel »Mit Mut und List« veröffentlicht. Auf der Grundlage von biografischen Skizzen, die seit Jahren im feministischen Kalender »Wir Frauen« veröffentlicht werden, und weiteren Veröffentlichungen gelang es ihr mit Historikerinnen, Journalistinnen und anderen feministischen Autorinnen aus mehreren Ländern Europas, eine eindrucksvolle Sammlung von 75 Frauenporträts aus mehr als 20 Staaten vorzulegen. Mehrere dieser Biografien entstanden auf der Basis von Interviews und Gesprächen mit den porträtierten Frauen aus dem Widerstand. Die Autorinnen seien damit so etwas wie »Zweitzeitzeuginnen« geworden. Eindrucksvolle Sammlung weiterlesen »

Aufstieg zur Massenpartei

geschrieben von Jakob Knab

27. April 2024

Wie kam die NSDAP als einstige Splitterorganisation innerhalb weniger Jahre an die Macht?

Gerd Krumeich erkundet und erhellt die erstaunliche Geschichte des Aufstiegs des Nationalsozialismus von seinen Anfängen bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs. Für den kundigen Leser ist diese Neuerscheinung eine ungemein anregende Lektüre, denn der Autor beschreibt und deutet das Umfeld, in dem die unbewältigte Niederlage von 1918 zum Aufstieg der NS-Bewegung in Deutschland führte. Er gibt Antworten auf die Frage: Wie konnte aus einer gewalttätigen Splitterpartei innerhalb weniger Jahre eine verheerende Massenbewegung werden, die Adolf Hitler an die Macht brachte? Aufstieg zur Massenpartei weiterlesen »

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