5. November 2023
FIR zu kriegerischer Eskalation in verschiedenen Teilen der Welt
Im »Schatten des Krieges« in der Ukraine erleben wir in den vergangenen Tagen zwei größere Kriegsaktionen, die zeigen, dass das Mittel des Krieges zur Durchsetzung von politischen Interessen auf Kosten der Zivilbevölkerung trotz aller vollmundigen Erklärungen auf den internationalen Bühnen eingesetzt wird.
Mitte September überfiel die Armee von Aserbaidschan mit einer großen Streitmacht die unabhängige Provinz Berg-Karabach, in der eine überwiegend armenische Minderheit lebt, die sich vor drei Jahrzehnten im Streit um ihre Minderheitenrechte zu einem unabhängigen Staat erklärt hatte. Garantiert wurde deren Unabhängigkeit durch Russland, das eine 2.000 starke Friedenstruppe stellte, und unterstützt wurde die Bevölkerung von der armenischen Regierung. Durch die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf den Krieg in der Ukraine und einen Politikwechsel in Armenien, das sich von Russland in Richtung EU und USA orientierten, sah die aserbaidschanische Regierung, gestützt auf die Regierung in der Türkei, die Möglichkeit zur Eskalation. Zuerst wurden die Hilfslieferungen in die Provinz Berg-Karabach durch das Militär blockiert. Als nach Verhandlungen scheinbar eine Entspannung der Situation eintrat, marschierten die aserbaidschanischen Truppen wegen angeblicher Gewalttaten in die Provinz ein und entmachteten die Vertreter der armenischen Minderheit. Innerhalb weniger Tage flohen 100.000 Armenier aus Berg-Karabach in der Sorge vor einem drohenden Völkermord, den diese Bevölkerungsgruppe vor gut 100 Jahren im osmanischen Reich bei der Gründung der Türkei schon einmal erlebt hatte.
Trotz dieser militärischen Eskalation und gewalttätigen Vertreibung hörte man aus den europäischen Metropolen – außer tiefer Betroffenheit – keine klaren Worte, keine Sanktionen gegen Aserbaidschan oder Hilfsangebote für Armenien, nur Erklärungen ohne Konsequenzen. Selbst Medien kritisierten, wie die EU und die USA in dieser Situation einfach nur zuschauten. Das überrascht nicht, wenn man bedenkt, dass mehrere europäische Staaten als »Lösung« aus dem Energiedilemma nach den Sanktionen gegen Russland nun langfristige Verträge mit Aserbaidschan abgeschlossen haben – und einen solch wichtigen Rohstofflieferant will man nicht vor den Kopf stoßen.
Anfang Oktober wurde die Weltöffentlichkeit von dem gewalttätigen Wiederaufflammen des Nahost-Konfliktes erschreckt (siehe auch Erklärung der FIR auf der Web-Seite). Seit vielen Monaten eskaliert die extrem rechte israelische Regierung von Netanjahu die Konfrontation mit den Palästinensern sowohl im Gaza-Streifen, als auch in der Westbank, beginnend mit Militäraktionen, denen schon in diesem Jahr laut Zahlen der Vereinten Nationen mehr als 230 Palästinenser zum Opfer fielen, bis zur Vertreibung und Zerstörung angeblich »nicht genehmigter Bauten«, um Platz für ein Siedlungsprogramm radikaler israelischer Siedler zu schaffen. Der sichtbare Höhepunkt dieser Konfrontation war der Auftritt Netanjahus vor der UN-Generalversammlung, als er einen »Friedensplan« für den Nahen Osten vorstellte, in dem die Palästinenser überhaupt nicht mehr vorkamen. Deutlicher konnte man die Ignoranz gegenüber den Beschlüssen der UNO für eine Friedenslösung nicht zum Ausdruck bringen.
In dieser Situation begann die Hamas am letzten Wochenende – zum 50. Jahrestag des Jom-Kippur-Krieges – einen militärischen Schlag gegen Israel, der sich nicht auf vereinzelte Raketen auf israelische Ortschaften beschränkte, sondern weit in das israelische Siedlungsgebiet vorstieß und mehrere hundert Israelis tötete. Über 2500 Menschen sind verletzt worden. Auf Seiten der Palästinenser im Gazastreifen wurden über 1000 Menschen durch die israelischen Streitkräfte getötet und mehrere 1000 Zivilisten verletzt.
In Falle des Hamas-Angriffs ist die Reaktion der Weltöffentlichkeit sehr viel deutlicher. Politische Unterstützung und militärische Hilfsangebote für den Staat Israel kommen aus den USA, der EU und weiteren Staaten. Nur in der Stellungnahme der Vereinten Nationen war zu hören, dass auch dieser Konflikt nur gelöst werden kann, wenn es zu einer Friedenslösung gemeinsam mit den Palästinensern kommt, nicht durch militärische Dominanz der israelischen Armee, die – wie der Angriff der Hamas zeigt – trotz aller Hochrüstung nur eingeschränkt in der Lage ist, die Sicherheit aller Israelis zu schützen.
Die FIR bekräftigt deshalb in dieser Situation ihre Grundhaltung: Auch dieser Angriff der Hamas muss sofort gestoppt werden. Waffenstillstand und Verhandlungen für eine Friedenslösung auf der Basis der Entschließungen der Vereinten Nationen, die tatsächlich von beiden Seiten akzeptiert werden können, sind die einzige Lösung im Interesse aller Menschen in den Konfliktregionen.
Hinweis: In der Printfassung erschien eine gekürzte Fassung dieser Erklärung