Demokratie oder Rebellion

geschrieben von Warda Morzi

29. April 2023

Die Antiregierungsproteste in Israel zur Verteidigung des Rechtsstaats

Es ist zehn Uhr abends in Israels Kleinstadt Karkur am 10. April, dem zweiten-Pessach-Vorabend. Gesänge durchbrechen die Stille. Nach und nach füllt sich eine Kreuzung mit Menschen und Landesfahnen. Plötzlich schreit jemand in ein Megafon: »Busha, busha, busha« (hebräisch für »Schande, Schande, Schande«), andere wiederholen es. Der nächste prominente Ruf ist »Demokratie oder Rebellion«; enthalten ist eine Drohung: Wir sind nicht damit einverstanden, in einer Nicht-Demokratie zu leben. Wir werden rebellieren. Demokratie oder Rebellion weiterlesen »

Umkämpftes Feld

geschrieben von Sebastian Schröder

29. April 2023

»Iftach el bab!« (»Tür auf!«): Meron Mendels Buch »Über Israel reden«

Meron Mendel, der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, hat mit »Über Israel reden. Eine deutsche Debatte« einen gewichtigen Beitrag zu eben dieser Diskussion vorgelegt. Der israelisch-deutsche Historiker und Pädagoge hat das Ziel, ein »Plädoyer für Versachlichung und Differenzierung in einem umkämpften Feld, in dem sich Geschichte und Gegenwart sowie Real- und Moralpolitik vermischen« zu formulieren. Leider wird er diesem Anspruch nur in zwei von vier Kapiteln gerecht. Umkämpftes Feld weiterlesen »

Bitte keinen Krach

geschrieben von Juliet Schnabel

29. April 2023

Das Buch »Massenradikalisierung«: Von der Mitte, für die Mitte, über die Mitte

In ihrem neuen Buch »Massenradikalisierung« präsentiert Julia Ebner einen Überblick zu aktuellen rechten Entwicklungen – oft so ausführlich, dass die Lektüre für gut informierte Antifas ermüdend wirken kann. Sie stellt anschaulich ideologische Verbindungen der verschiedenen Bewegungen dar, von Incels über »white supremacists« bis hin zu Klimawandelleugner:innen und QAnon. An einer radikalen Analyse scheitert Ebner – vermutlich, um dem Vorwurf einer linken Positionierung vorzubeugen. Und so schreibt sie von, für und über die Mitte, ohne diese zu definieren.

Konfrontiert mit linken Positionen verwehrt sich die Autorin trotz offensichtlicher Sympathien einer Solidarisierung. So stellt Ebner dar, warum »Black Lives Matter« irgendwie schon recht hat – um kurz darauf zu mahnen, dass deren Aktivismus zu einer Polarisierung führe, die das Risiko eines rechten Backlashes und eines Zerreißens der Mitte berge. Implizit klingt der Ratschlag durch, beim Aufstehen gegen die eigene Unterdrückung bitte nicht allzuviel Krach zu machen. Eine Gesellschaft, die auf Ausbeutung aufgebaut ist, braucht jedoch revolutionäre Bewegungen und keine apathische Mitte. Abolitionist:innen und Suffragetten galten zu ihrer Zeit ebenfalls als radikal und spalterisch, und ihre Kämpfe waren weder leise noch unblutig. Bitte keinen Krach weiterlesen »

Zeugnis ablegen

geschrieben von Gerald Netzl

29. April 2023

Zwei Veröffentlichungen zu Erinnerungen aus den KZs

Der österreichische Schriftsteller Helmut Rizy hat in den beiden Bänden »Überleben – um Zeugnis abzulegen« aus gut 200 KZ-Erfahrungsberichten (z. B. aus Romanen, Tagebüchern usw.) Passagen entnommen und mit großem Wissen, Geschick und Einfühlung zusammengestellt. Herausgekommen ist ein Werk, das ein umfassendes Bild vom Leben in den KZs, aber auch danach, abgibt. Oftmals liest man Ergänzendes, wo an anderer Stelle vielleicht Fragen offengeblieben sind. Manches stößt einem auf, wie die Hierarchien (entlang der Nationalitäten oder der Religionen), wird aber an anderer Stelle wieder relativiert. Die Essays zeigen auch auf, wie entscheidend die Intentionen der Verfasser*innen waren. Wann und für wen wurde Zeugnis abgelegt? Gleich nach der Befreiung, oder erst als die Kinder und Enkelkinder danach gefragt haben? Zeugnis ablegen weiterlesen »

Naturaneignung

geschrieben von Nils Becker

29. April 2023

Klimakrise als möglicher faschistischer Mobilmacher

Als am 15. März 2019 im neuseeländischen Christchurch der Rechtsterrorist Brenton Tarrant zwei Moscheen angriff und dabei 51 Menschen tötete, bezeichnete er seine Tat als »ökofaschistisch«. Er wolle eine natürliche Ordnung – die Vorherrschaft und »Reinheit der weißen Rasse« – wiederherstellen. Sein Verständnis von Ökologie ist nicht auf die Umwelt und den Ressourcenverbrauch bezogen, sondern auf den demografischen Wandel. Er geht damit auf den rassistischen Diskurs einer vermeintlichen Überbevölkerung (»Der große Austausch«) ein, in dem behauptet wird, dass der Klimawandel durch brutale Geburtenkontrolle in den ärmeren Ländern des globalen Südens aufzuhalten sei, statt die ökologischen Folgen des westlichen Wirtschafts- und Lebensmodells (also meist des eigenen) als Problem anzuerkennen. Gleichzeitig wird die Natur von Rechten mystisch-spirituell aufgeladen, mit einem eigenen Willen ausgestattet (»der Planet wehrt sich«), und Naturkatastrophen werden als unabwendbare Versuche, ein »natürliches Gleichgewicht« wiederherzustellen, dargestellt. Die Maßnahmen, die die unterschiedlichsten rechten Strömungen gegen den Klimawandel vorschlagen, führen so von den tatsächlichen Ursachen weg, sind oft rassistisch begründet und auf politischem Weg (aktuell zumindest) nicht durchsetzbar, weshalb eben von manchen zu den Waffen gegriffen wird. Naturaneignung weiterlesen »

Zur Weltveränderung

geschrieben von Peps Gutsche

29. April 2023

Feministische Theorie als Ansage für den Umsturz. Ein Essayband vom Kollektiv MF 3000

Titel und Untertitel dieses Buches zeigen den kämpferischen Aspekt, der sich durch den kleinen Band zieht, bereits auf. Angelehnt an ein Zitat von Bertolt Brecht wird nicht das Individuum, sondern das unbestimmte feministische Kollektiv angesprochen, denn politische Kämpfe gelingen nur gemeinsam. Das Kollektiv MF 3000 verbindet dabei unterschiedliche linke Perspektiven, von Gewerkschafts- über Parteipolitik hin zu autonomer Organisierung. Zur Weltveränderung weiterlesen »

Das unbekannte Wesen

geschrieben von Bernd Kant

29. April 2023

Richard Rohrmosers »Antifa«-Buch: Hohe Ansprüche, banal in der Umsetzung

Im vergangenen Jahr veröffentlichte der renommierte C.-H.-Beck-Verlag unter dem anspruchsvollen Titel »Antifa – Porträt einer linksradikalen Bewegung« eine 200-seitige Veröffentlichung von Richard Rohrmoser.

Tatsächlich geht es Rohrmoser um sein Bild von »zivilgesellschaftlichem Engagement und radikaler Gewaltbereitschaft«, die er bei der Antifa heute sieht. Zum Verfasser heißt es, er sei Forscher zu Protestbewegungen und promovierter Zeithistoriker – »derzeit im Gymnasialdienst tätig«. Er ist also Lehrer. Ist das nicht »akademisch« genug? Das unbekannte Wesen weiterlesen »

Aufräumen mit einem Mythos

geschrieben von Christian von Gélieu

29. April 2023

Garantin einer rechtsstaatlichen Ordnung? Zwei Bücher zur Polizei

Keine staatliche Institution besitzt bei regelmäßigen Umfragen ein höheres Ansehen als die Polizei. Dennoch werden die Berufsverbände der Polizist*innen nicht müde zu beklagen, dass der Polizei nicht mit der genügenden Achtung begegnet wird und bedauerliches Fehlverhalten einzelner Beamt*innen zu einem Generalverdacht gegen die Polizei aufgebauscht werde. Dabei, so besonders die beiden großen Berufsverbände GdP und DPolG, bilde die Polizei doch jene »dünne blaue Linie«, die zwischen der rechtsstaatlichen Ordnung und dem Chaos stünde. Aufräumen mit einem Mythos weiterlesen »

Skrupulös komponiert

geschrieben von Janka Kluge

29. April 2023

Hans-Albert Walters Anthologie über deutsche Exilliteratur

Die Wissenschaftliche Buchgesellschaft (wbg) hat eine herausragende Anthologie über die deutsche Exilliteratur herausgegeben. Die drei Bände umfassende Sammlung mit Texten, die der Literaturwissenschaftler Hans-Albert Walter ursprünglich bereits 1999 im Verlag der Büchergilde veröffentlichen wollte, sollte den Abschluss der von ihm herausgegebenen Bibliothek der Exilliteratur bilden. Leider ist es zu der Veröffentlichung damals nicht gekommen. Skrupulös komponiert weiterlesen »

Ausgabe März/April 2023

geschrieben von Nils Becker

9. März 2023

Am 22.Februar entschied das Bundesverfassungsgericht, dass es keine neuen Ermittlungen wegen des Todes von -Oury Jalloh geben wird. Er war 2005 in einer Dessauer Polizeizelle, gefesselt an Händen und Füßen, verbrannt. Die Umstände bleiben weiterhin ungeklärt. Das Bild zeigt die diesjährige Demonstration an seinem Todestag 7. Januar (Foto: Umbruch-Bildarchiv)

Am 22.Februar entschied das Bundesverfassungsgericht, dass es keine neuen Ermittlungen wegen des Todes von -Oury Jalloh geben wird. Er war 2005 in einer Dessauer Polizeizelle, gefesselt an Händen und Füßen, verbrannt. Die Umstände bleiben weiterhin ungeklärt. Das Bild zeigt die diesjährige Demonstration an seinem Todestag 7. Januar (Foto: Umbruch-Bildarchiv)

Hauptthema dieser Ausgabe sind die lange Zeit verleugneten Opfer des NS, deren späte Anerkennung und die Konsequenzen, die daraus gezogen wurden (S. 3, S. 15, S. 32). Denn auch das Wissen darum, wie Diskriminierung und Verachtung nach 1945 fortlebt, sorgt noch nicht für die Beseitigung. Exemplarisch wird das in unserem Spezial deutlich, das sich mit dem vor eineinhalb Jahren erschienenen Antiziganismusbericht beschäftigt.

Zweites drängendes Thema ist der Ukrainekrieg. Ein Jahr dauert der nun schon, und die Opfer gehen in die Hunderttausenden (genaue Zahlen kennt niemand). Betroffen sind Millionen. Dass das gestoppt werden muss, ist allen klar. Aber zu welchen Bedingungen und mit welchen langfristigen Folgen – das scheint nicht so eindeutig. Eine nie dagewesene Uneinigkeit, hat auch unseren Verband erfasst. Was wir aktuell tun können, ist den Diskussionen dazu einen konstruktiven Rahmen zu geben. Das geschieht lokal auf Veranstaltungen (z. B. im Länderteil nachzulesen), auf einer internen Friedenskonferenz und auf größeren Online-Veranstaltungen, die sehr viele Menschen erreichen können. Einigkeit besteht darin, dass wir uns als VVN an friedenspolitischen Protesten beteiligen, die sich klar gegen rechts abgrenzen. Dass diese Abgrenzung funktionieren kann, zeigten jüngst die Demonstrationen gegen die »Münchner Sicherheitskonferenz«.

1933, das Jahr der Machtübergabe, ist 90 Jahre her. Auch darüber gibt es mehr zu sagen. Mehrere Beiträge beleuchten Einzelaspekte und wie diese Geschichte in all ihren Facetten (z. B. S. 13 zur bis heute nicht abschließend erfolgten juristischen Aufarbeitung) noch vermittelbar ist. Eine Ahung davon zu haben, wie es zur Durchsetzung des Faschismus in Deutschland kam – ist eine Notwendigkeit, um dem »Nie wieder« Rechnung tragen zu können. Die aktuellen Bedrohungen von rechts entsprechend analysieren und einordnen zu können, ist die eine Seite dieses Kampfes, zu der wir gern Hilfestellung geben. Dagegen dann aber auch gemeinsam aktiv zu werden, ist eine andere. Auch darüber muss mehr und intensiver gesprochen werden.

Inhalt

Zeitgeschehen
Niemanden auslassen – Erinnerung an queere NS-Opfer im Bundestag (Janka Kluge)
Rechtsterror bleibt unbestraft (Ferat Koçak)
In der Fläche verankert – Neonazistrukturen in Mecklenburg-Vorpommern (Interview von Axel Holz mit Mitch Dailey, RAA)
Divers aufstellen – Zur Erinnerungskultur in der postmigrantischen Gesellschaft (Interview von Maxi Schneider mit Denise Torres, VVN-BdA)
Kräfteverhältnisse verschoben – drei Jahre nach dem Attentat in Hanau (Saadet Sönmez)
Dem Frieden zugewandt? – Wie »dieBasis« versucht, neue Themen zu besetzen (Ulrich Peters)
In Richtung Finanzierung – Verfassungsgericht urteilt zur Desiderius-Erasmus-Stiftung (Gerd Wiegel)
Antisemitismus blüht mit Hilfe der Justiz (Bernadette und Joachim Gottschalk)
Meldungen (Ulrich Stuwe)
Rechtsterrorismus benennen – Zum versuchten Anschlag an einer Essener Schule (Paul Schmittker)
Zuviel und Zuwenig – Vor 70 Jahren wurde die VVN in der DDR verboten (Kristin Caspary)
Wegen Beihilfe … – Die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen bleibt lückenhaft (Christian von Gélieu)
Der grüne und der schwarze Winkel – Zur Gründungsversammlung des »Verbandes für das Erinnern an die verleugneten Opfer im NS« (Nicole Kaczmarek)

Aus den Archiven
Überlieferung ermöglichen – Archivsache: Zeitzeug:innen-Interviews auf Audiokassetten (Mecki und Julia Hartung)

Spezial
Bisher kaum Konsequenzen – Zum Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus, der im Juni 2021 erschien (Cornelia Kerth)
Man spricht immer von Teilhabe … (Interview von Andreas Siegmund-Schultze mit Arnold Weiß, Landesverein der Sinti in Hamburg e. V.)

Porträt
Statt eines Nachrufs – Zum Tod des Anwalts und Autors Heinrich Hannover, 1925–2023 (Kurt Nelhiebel)

Geschichte
Nach dem Reichstagsbrand – Der Weg ins Dritte Reich, Teil 4 (Ulrich Schneider)
Gesinnungsprognose – Zu 90 Jahren »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« (Michael Csaszkoczy)
Schutz der Republik – Gründung des Republikanischen Schutzbunds vor 100 Jahren (Gerald Netzl)

Internationales
Offene Diskriminierung – Polnischer Antisemitismus in den 1920er- und 1930er-Jahren (Anna Styczyńska)
Ersatzveranstaltungen – NS-verherrlichende Gedenkveranstaltungen in Budapest und Sofia (Florian Gutsche)
Festung Österreich – Wie sich auch in der Alpenrepublik der Rassismus breit macht (Heide Hammer/Diana Leah Mosser)

Kultur
Objekte der Forschung – Die Verbände der Überlebenden des NS werden immer interessanter (Ulrich Schneider)
Esthers Vermächtnis – Ihr letzte Interview gab sie zwei Studenten (Janka Kluge)
Vertrauen zerstören (Interview von Nils Becker mit Reiner Schneider von der Kampagne Entnazifizierung.Jetzt)
Piratin mit rotem Winkel – Eine Doku über zwei Frauen, die sich im KZ Ravensbrück lieben lernten (Hannah Geiger)
Pfadabhängigkeiten – Über den Paradigmenwechsel in der deutschen Rüstungsindustrie (Sebastian Schröder)
Darüber Sprechen – In einem Antifa-Jugendroman geht es vor allem um das Kommunizieren (Markus Roth)
Imaginierte Gefahr – Im Eliten-Diskurs geht die Angst um, gecanceld zu werden (Peps Gutsche)
Faschismus und Struktur – Sammelband zum 70. Geburtstag von Volkmar Wölk (Christian Meyer)

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