»Aber tief im Lande…«

geschrieben von Hans Canjé

5. September 2013

Mai-Juni 2013

Da reibt man sich doch verdutzt die Augen bei diesem Bericht der »Schleswig-Holsteinischen Zeitung« vom 24. April 2013: Adolf Hitler und sein Gauleiter Hinrich Lohse, der in Vollstreckung der »Endlösung der Judenfrage« in den baltischen Staaten blutige Spuren hinterlassen hat, sind nicht mehr länger Ehrenbürger der schleswig-holsteinischen Stadt Nortorf. Am 23. April 2013 (!) haben das die Stadtverordneten einstimmig beschlossen. Der Zeitung zufolge, die den Aberkennungsbeschuss illustriert mit einem Foto des »Führers« vermeldete, hat es im Rat eine »jahrelange Diskussion über die Notwenigkeit einer solchen Entscheidung« gegeben und bis zum Vortag »lehnten die Christdemokraten öffentliche Stellungnahmen kategorisch ab«. Der Stein geriet erst ins Rollen, als ein Mitglied des »Bürgerforum Nortorf« die Runde fragte, ob die Stadt anstelle der Aberkennung womöglich eine Feier zum 80. Jahrestag der Verleihung der Ehrenbürgerschaft plane?

Nein, das wollte natürlich keiner und fern lag wohl auch der Gedanke, im Umfeld des »Führer«-Geburtstages am 20. April dem Beispiel der Fans des bulgarischen Fußballclubs »Lewski Sofia« zu folgen. Die hatten am 20. April bei einem Spiel des Spitzenclubs ein Spruchband aufgerollt mit der Aufschrift »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«. Dazu die in faschistischen Kreisen für Adolf Hitler gebräuchliche Kennungsziffer 18 und einige Hakenkreuz-Plakate.

»Aber tief im Lande, da leben sie noch«, heißt es in einem Lied des im vergangenem Jahr verstorbenen Liedermachers Franz Josef Degenhardt. Das zielte gleichermaßen auf die braunen Nostalgiker, die, ob sie als Stiefelfaschisten oder im feinen Habitus daher kommen, den alten Zeiten nachtrauern. Sie nennen das »Geschichtsbewusstsein«. Darum werden sie auch die Meldung aus dem »Delmenhorster Kreisblatt« vom 25. April erfreulicher finden als die Nachricht aus Nortorf. Ein Fachausschuss des Gemeinderates von Elmeloh hat einen Antrag der Grünen abgelehnt, die nach der Produzentin Kriegs- und Hitler bejubelnder Gedichte benannte »Agnes-Miegel-Straße« wegen deren »Nähe zum Nationalsozialismus« umzubenennen. Die Ostlandritter tief im Lande und in den Revanchistenverbänden werden zufrieden sein.