Auf nach Dresden

geschrieben von Die Fragen stellte Markus Bernhardt

5. September 2013

antifa-Gespräch mit Kerstin Sander über Sitzblockaden und andere
Proteste

Nov.-Dez. 2009

Kerstin Sander ist Sprecherin der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB). Die ALB beteiligt sich bereits jetzt an der Vorbereitung der antifaschistischen Proteste gegen einen Großaufmarsch von Neonazis im Februar 2010.

Mehr Informationen: www.antifa.de und www.no-pasaran.mobi

antifa: Die ALB beteiligt sich schon jetzt an der Mobilisierung gegen einen neofaschistischen Großaufmarsch in Dresden im Februar 2010. Warum ist Ihnen dieses Thema besonders wichtig?

Sander: Bei dem Naziaufmarsch in Dresden handelt es sich um eine der größten Zusammenkünfte von Alt- und Neonazis in ganz Europa. Für neonazistische Gruppierungen in der BRD ist der Aufmarsch von zentraler Bedeutung, da sie mit dem Thema »Gedenken an die deutsche Zivilbevölkerung« an geschichtsrevisionistische Positionen eines nicht zu unterschätzenden Teils der Bevölkerung anknüpfen können. Zudem hat der Aufmarsch eine starke Binnenwirkung für das zerstrittene Spektrum der Neonazis. Bei keiner anderen Veranstaltung gelingt das Zusammentreffen von NPD, sogenannten »freien« Kameradschaften mit Burschenschaften und Teilen der Vertriebenenverbände so unkompliziert wie in Dresden.

antifa: In den letzten Jahren demonstrierten Antifaschistinnen und Antifaschisten aus dem ganzen Bundesgebiet in Dresden, doch viele Dresdner Bürgerinnen und Bürger blieben den Protesten fern. Warum?

Sander: Tausende Dresdner beteiligen sich an den jährlichen Gedenkveranstaltungen für die deutschen Opfer der alliierten Bombardierung. Antifaschistische Proteste, die auch auf diesen Zustand hinweisen und die gesamte Gedenkpolitik in Dresden kritisieren, werden als störend empfunden. Einige »besonders demokratisch« gesinnte Kräfte versuchen, in einer Anti-Extremismus-Rhetorik Neonazismus mit antifaschistischen Protesten gleichzusetzen. Die Länderregierung von CDU und FDP plant zum Beispiel eine Verschärfung des sächsischen Versammlungsrechts, damit »Aufzüge von Extremisten« untersagt werden können.

Berücksichtigt werden muss jedoch auch, dass Teile des so genannten »antideutschen« Spektrums mehrere Jahre durch Parolen zur erneuten Bombardierung Dresdens nicht dazu beigetragen haben, ein breites Bündnis mit antifaschistisch gesinnten Dresdnerinnen und Dresdnern zu bilden.

antifa: Nur wenige Nazigegner haben in den vergangenen Jahren versucht, den Aufmarsch der Rechtsextremen konkret zu verhindern. Was ist im nächsten Jahr geplant?

Sander: Zunächst haben sich an der antifaschistischen Demonstration des Bündnisses »No Pasarán!« immerhin fast 5.000 Personen beteiligt – das ist nicht wenig. Das Problem ist eher, dass weitere 6.000 Nazi-Gegner weit abseits des Nazi-Aufmarsches protestiert haben, ohne auch nur den Versuch zu starten, den faschistischen Aufmarsch zu behindern. Für den 13. Februar 2010 hoffen wir, dass sich auch Kräfte außerhalb unseres Spektrums, von linken Parteien, Verbänden und nicht zuletzt von Gewerkschaften an Blockadeversuchen gegen den Nazi-Aufmarsch beteiligen. Wir arbeiten darauf hin, dass die Angst, etwa an einer Sitzblockade teilzunehmen, fällt. Denn das kostet im Zweifelsfall so viel wie einmal falsch Parken – in der Regel wird man jedoch einfach weggetragen. Als autonome Antifas versuchen wir, einen Schritt auf die anderen Kräfte zuzugehen und mit ihnen gemeinsam über Strategien und Praktiken von zivilem Ungehorsam und Blockaden zu diskutieren.

antifa: Inwieweit ist es den Neonazis bisher gelungen, mit ihrer geschichtsverfälschenden Propaganda bei sächsischen Bürgern zu punkten?

Sander: Erschreckend ist, dass vor einigen Jahren noch Dresdner Bürgerinnen und Bürger am Nazi-Aufmarsch teilgenommen haben. Das zeigt, dass die Nazis sehr geschickt das Thema des Gedenkens in Dresden aufgreifen und an aktuelle Debatten anknüpfen können. Brisant ist zudem, dass ein Teil des offiziellen Gedenkens inhaltliche Überschneidungen mit dem der Nazis hat und zum Beispiel bei den Opferzahlen der alliierten Bombardierung bis vor kurzem die Zahlen aus Goebbels Propagandaministerium vom Februar 1945 übernommen wurden.

anrtifa: Woran liegt es, dass die Rechtsextremen mittlerweile vielerorts in Sachsen als etablierte politische Kraft wahrgenommen werden?

Sander: In Sachsen gelingt es der NPD mancherorts, die Bürger mit rassistischen und nationalistischen Einstellungen anzusprechen. Die NPD verfügt inzwischen über gewachsene politische Strukturen in Städten, Dörfern und Gemeinden. Der Aufmarsch und die Propaganda der Nazis im Bezug auf die Bombardierung in Dresden – jetzt sind endlich auch mal Deutsche die Opfer vom Krieg – trägt einen Teil dazu bei, die NPD als normale Kraft im politischen Spektrum wahrzunehmen.