»Ausländer raus« straffrei?

geschrieben von P.C.Walther

5. September 2013

Verfassungsgericht gibt Naziparolen weiterhin
»Meinungsfreiheit«

Mai-Juni 2010

»Hoch umstritten«

Eingestellt hat die Staatsanwaltschaft Görlitz (Sachsen) das Verfahren um NPD-Wahlplakate mit polenfeindlichem Inhalt. Unter Berücksichtigung entsprechender Urteile des Bundesverfassungsgerichts (siehe nebenstehenden Text) bleibe offen, heißt es in der Erklärung der Staatsanwaltschaft, ob und in welchem Umfang der Plakattext (»Polen-Invasion stoppen!«) den Tatbestand der Volksverhetzung erfülle. Den Beschuldigten habe der dafür erforderliche Vorsatz nicht nachgewiesen werden können. Zudem bleibe die Frage, ob der Plakattext durch Meinungsfreiheit gedeckt sei, »hoch umstritten«.

Die Plakate mit den polenfeindlichen Aussagen wurden von der NPD auch in Mecklenburg-Vorpommern aufgehängt. Das dort von Kommunen ausgesprochene Verbot (und Abhängen) der Plakate, wurde vom Oberverwaltungsgericht Greifswald als rechtmäßig bestätigt und eine Beschwerde der NPD vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen.

Während das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluss vom 4.11.09 dem von Neonazis beanspruchten Grundrecht der Meinungsfreiheit erfreulicherweise Grenzen setzte, insbesondere dann, wenn das Nazisystem gebilligt, verherrlicht oder gerechtfertigt werde (siehe antifa März/April 2010), geht das Verfassungsgericht mit einer neuen Entscheidung (BVR 369/04 vom 2.2.10) wieder einen Schritt auf altes Terrain zurück. Es gesteht Neonazis ausdrücklich das Grundrecht der Meinungsfreiheit zu.

Der Entscheidung zugrunde liegt eine Verfassungsbeschwerde gegen Urteile des Amts- und Landgerichts Augsburg. Darin wurden Mitglieder des neonazistischen »Augsburger Bündnisses Nationale Opposition« wegen Volksverhetzung zu Geldstrafen verurteilt. Sie hatten mit großformatigen Plakaten für sogenannte Aktionswochen geworben. Darauf wurde eine »Aktion Ausländer-Rück-Führung – Für ein lebenswertes deutsches Augsburg« proklamiert. Amts- und Landgericht sahen darin eine Beschimpfung und Verächtlichmachung der Ausländer, die sich gegen deren Menschenwürde richte. Mit den Parolen werde unterstellt, dass Augsburg erst dann »lebenswert« sei, wenn alle Ausländer »rückgeführt« sind. Auch das Bayerische Oberste Landgericht bestätigte, dass mit den Parolen »den in Augsburg lebenden Ausländern das Recht abgesprochen werde, in dieser Stadt zu leben«.

Demgegenüber erklärt das Bundesverfassungsgericht, dass »auch rechtsextremistische Meinungen« unter den »Schutz der Meinungsfreiheit« fallen. Sie würden »diesen Schutz auch dann nicht verlieren, wenn sie scharf und überzogen geäußert werden«.

Allerdings sei das Grundrecht der Meinungsfreiheit »nicht vorbehaltlos gewährleistet«; es finde »seine Schranken u.a. in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze«, zu denen auch der StGB-Paragraph 130 (Volksverhetzung) gehöre. Außerdem müsse die Meinungsfreiheit »stets zurücktreten, wenn die Äußerung einer Meinung die Menschenwürde eines anderen antastet«. Schließlich sei »die Menschenwürde als Wurzel aller Grundrechte … mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig«.

Dies alles müssten jedoch die Gerichte sorgfältig prüfen und in ihrer Beurteilung ausreichend begründen. Im vorliegenden Fall sei das nicht geschehen. Die Parolen des Augsburger Vereins hätten »zwar eine ausländerfeindliche Stoßrichtung«, das Gesetz stelle »aber nicht schon ausländerfeindliche Äußerungen als solche unter Strafe«; es müssten »konkrete Begleitumstände« (z.B. »die Mittel« der »Rückführung«, »Anreiz oder Zwang«) hinzukommen.