»Beleidigende Kriegerdenkmale«

geschrieben von Heinrich Fink

5. September 2013

Ernst Barlachs künstlerische Denkzeichen gegen den Krieg

Sept.-Okt. 2011

»Inzwischen ist in Hamburg die Entfernung meiner Arbeit von dem Ehrenmal beschlossen. Wenn das geschehen, sind alle meine größeren Arbeiten abgetan und von dieser Zeit ausgetilgt. In Magdeburg, Lübeck, Kiel, Güstrow und Hamburg. Andere Arbeiten in Museen sind auch entfernt. Ich klage nicht an, aber ich bin nicht im geringsten reumütig oder gar gebessert.« Ernst Barlach an Hans Barlach, 9. Febr. 1938.

Durch die Aktion »Entartete Kunst« wurde von Barlach 381 Werke aus öffentlichen Sammlungen entfernt und beschlagnahmt, Geistkämpfer in Kiel und das Güstrower Ehrenmal abgebrochen.

Zum Weiterlesen: Ilona Laudan, Ernst Barlach. Das Denkmal des Krieges im Dom zu Magdeburg. Zum 800-jährigen Domjubiläum (Sonderheft)

Eine Sonderausstellung in Güstrow im Atelier Heidberg »Mythos und Zukunftstraum«, Texte und Bilder von Ernst Barlach: »Was der Mensch gelitten hat und leiden kann, seine Größe, seine Angelegenheiten (inklusive Mythos und Zukunftsraum), dabei bin ich engagiert.« Barlach an Ernst Bloch.

Ernst Barlachs Eintragung in sein »Kriegstagebuch« am 18.08.1914 klingt, als ob auch er sich dem vaterländischen Kriegstaumel nicht entziehen konnte: »Vaterland …, das erhalten werden muß, … das Land der deutschen Sprache, an dem man gestalten kann auf seine Weise, Mutterlaut, Vaterton, Kinderschmerz …!«

Mit 44 Jahren und herzkrank, gilt er als kriegsuntauglich. Erst bittere Erfahrungen nach seiner Einberufung als freiwilliger Reservist helfen ihm, das Kriegsgeschäft zu durchschauen: Dies »müssen, wollen, verbluten für eine Idee … dies verblödende Rechtsetzen seiner Völkerart gegen die fremde … ist eine selbstbefleckende Kulturlüge«.

Es entsteht die Plastik des stürmenden Berserkers mit dem Titel »Der Rächer«.

Der Berliner Galerist und Verleger Paul Cassirer (1871-1926) ist Barlachs Förderer und Freund geworden. Er gründet im Frühjahr 1916 eine Anti-Kriegszeitschrift, in der er selbst zu seinem Pazifismus zurückfindet. Max Liebermann, Max Slevogt und Ernst Barlach veröffentlichen auch in »Der Bildermann«, den der Pianist Leo Kestenberg redigiert. Das umfangreiche Wirken des religiösen Sozialisten Kestenberg als Mitbegründer der USPD und sein Einfluss auf Barlach sind durch Antisemitismus in einflussreichen Köpfen bis heute nahezu unbekannt. Seit 1916 leitete er den Verlag von Paul Cassirer und sorgt für die Veröffentlichung von Barlachs Dramen. Eine beispiellose Hetzkampagne zwingt ihn 1933 zur Emigration. Mit acht Lithografien ist Barlach in den 18 Folgen von »Bildermann« vertreten; auf zwei Blättern hat er dem »Friedensboten« die Gesichtszüge von Kestenberg gegeben.

Bereits 1916 denkt man im »Preußischen Ministerium der geistlichen-, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten« in Berlin über die Anfertigung eines Christus-Modells für Soldatenfriedhöfe im Osten nach; tatsächlich wird 1918 auch Barlach angefragt: Nach dem Sieg sollten Denkmäler als ein die Jahrhunderte überdauerndes Zeichen deutscher Tapferkeit den toten Helden dankbare Erinnerung erweisen. Jedenfalls wurde noch 1917 im Kunstgewerbemuseum Berlin eine ständige Ausstellung »Kriegerehrungen« eröffnet.

Ende der 20er-Jahre kritisieren die in der Weimarer Republik entstandenen Kriegervereine »Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten«, Kyffhäuserbund und monarchisch orientierte Gruppen , dass die Weimarer Republik keine heroischen Kriegerdenkmäler aufstelle. Barlach wehrt sich energisch gegen die Umdeutung der kriegerischen Menschenvernichtung und Kulturzerstörung in einen neuen Mythos nationaler Selbstverwirklichung. Er will »Denkzeichen« gestalten, die den unsinnig geopferten Soldaten in ehrendem Gedenken »Nie wieder Krieg« versprechen.

Weil er jeden Heroismus ablehnt, bringt er auch den Königin-Luise-Bund gegen sich auf. Und trotzdem bekommt er Aufträge: Die Domgemeinde Güstrow, in der Barlach Mitglied ist, bittet ihn zur 700-Jahr-Feier der Stadt um ein Ehrenmal. In nur einem Jahr erarbeitet er eine schwebende Figur als »Domengel«, die Gesichtszüge von Käthe Kollwitz trägt. Bei der Einweihung 1927 stößt das ungewöhnliche Mahnmal nur auf verhaltenen Widerspruch. Dass er das Werk seiner Wahlheimatstadt Güstrow schenkt, beeindruckt alle! Aber schon im April 1933 erhält der Oberkirchenrat die noch anonyme Forderung, das »beleidigende Kriegerdenkmal« zu entfernen.

Die im Dezember 1928 antisemitisch-nationalistischen Angriffe in Malchin kränkten Barlach sehr. Er zog seine Entwürfe zurück. Dem Werkmodell des Magdeburger Kriegermals verleiht er deshalb ausdrücklich Gesichtszüge nach der Totenmaske von Heinrich Heine und gibt den Kopfbedeckungen der Soldaten Merkmale von deutschen, französischen und russischen Uniformen.

In seiner Streitschrift: »Wider den Ungeist« (1929) ironisiert er seine Stigmatisierung als jüdischen und von Juden »gemachten« Bildhauer.

1930 berichtete der Rostocker Anzeiger, dass aus dem Schlossmuseum Weimar Barlach-Exponate wegen »ostischem und minderrassischem Untermenschentum« entfernt worden seien – Vorzeichen der Aktion »Entartete Kunst«.

»Am Ende mußte ich immer mehr erkennen, daß das Gesicht in allen Dingen sich nicht enthüllt, wenn man selbst nicht sein Gesicht zeigt.«

Warum blieb Ernst Barlach, der am 27. Oktober 1938 starb, als Antifaschist so lange unbekannt?