Das Tabu, das es nie gab

geschrieben von Ernst Antoni

5. September 2013

Zur Internet-Präsentation der »Großen Deutschen
Kunstausstellungen« der Nazis

Nov.-Dez. 2011

Die neue Internetplattform kann aufgerufen werden unter

www.gdk-research.de

Erstellt wurde die Dokumentation der acht Ausstellungen mit insgesamt 12 550 Exponaten durch ein Team von Kunsthistorikerinnen und -historikern aus dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte und dem Haus der Kunst München und dem Deutschen Historischen Museum in Berlin.

Die wissenschaftliche Aufbereitung und damit verbunden die seit 20. Oktober kostenlos zugängliche Internet-Präsentation der »Großen Deutschen Kunstausstellungen«, die von 1937 bis 1944 jedes Jahr in München stattfanden, sorgte für Turbulenzen in einigen Feuilletons und für Irritationen bei antifaschistisch Engagierten. Nicht unwesentlich hatte dazu eine Schlagzeile über einem langen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beigetragen. »Ein Tabu wird gebrochen« stand da. In anderen Blättern kamen die Ankündigungen weniger gewaltig daher: »Ein Hirsch für Hitler« etwa (Süddeutsche Zeitung), oder »Nackt in den Untergang« (Frankfurter Rundschau).

»Die Datenbank sprengt natürlich eine Übereinkunft, die bis in die Gegenwart Gültigkeit hatte«, heißt es im FAZ-Artikel. »Nationalsozialistische Kunst wurde nach 1945 von deutschen Kunstmuseen nicht gezeigt.« So pauschal, wie es da steht, stimmte das »nach 1945« allerdings auch für Kunstmuseen nie.

Nützlich ist es, hier erst einmal Äpfel und Birnen zu unterscheiden. Eine Internet-Präsentation ist eine Medien-Dokumentation. Und eine Ausstellung in einem Museum ist eine Ausstellung in einem Museum. Zum Thema »Nazikunst im Museum« gab und gibt es bis heute Kontroversen. In der alten BRD erreichten sie ein beachtliches Niveau in den 80er-Jahren, als der Querbeet-Kunstsammler und Schokoladenfabrikant Peter Ludwig mit einem öffentlichen Vorstoß versuchte, den Kunstmarktwert des brauneren Teils seiner Bestände zu heben. Was ihm und anderen, auch wegen der heftigen Proteste, damals letztlich nur sehr eingeschränkt gelang.

In oft massenhaft verbreiteten Abbildungen in Print- und anderen Medien aber war »nationalsozialistische Kunst« (übernehmen wir den verschwommenen Begriff hier kurz einmal nur für Werke von Kunstproduzenten, die explizit an der Verherrlichung faschistischer Ideologie und Herrschaft, an Kriegsvorbereitung und Kriegspropaganda, an antisemitischer und rassistischer Hetze arbeiteten) seit 1945 stets präsent. Es gab und gibt viele Publikationen, in denen damit kritische Auseinandersetzungen mit NS-Kunst- und -Ideologie illustriert werden: hilfreiche Beiträge zumeist, auch zur Immunisierung Nachgeborener gegen solche Propaganda.

Es gab und gibt auch anderes: Publikationen, voll mit braunen Bildsignalen, ediert mit der Intention, das nachträgliche Verharmlosen und Verherrlichen der Nazizeit auch auf dem Kunstweg voranzubringen. Oft durchaus »populär«. Mit »Landser«-Heften etwa, deren Umschläge bis in die 70er-Jahre hinein anstelle der heute verwendeten quasi-dokumentarischen Fotos gemalte bunte Gefechtsszenen zierten. Blond-blauäugige Super-Landser zeigten es da bevorzugt den finster-untermenschlichen »Iwans«. Und es gibt nicht nur im neofaschistischen Verlagsspektrum aufwendig gestaltete Bildbände, in denen schon seit Jahrzehnten »Die Wiederkehr des Schönen« propagiert und Herausragendes von Hitlers Hofkünstlern gezeigt wird.

Deren Werke werden hier wiederum gerne mit anderem, »Unpolitischem«, zusammengestellt, das zwischen 1933 und 1945 entstanden ist und nicht von unmittelbar Naziverfolgten oder Künstlern aus dem Widerstand geschaffen wurde. Absicht ist, die angeblich heute verschmähten Hofkünstler einzugliedern in einen Reigen der Kunstvielfalt, deren unvoreingenommene Würdigung nach 1945 die bösen Alliierten zunichte gemacht hätten. Es folgt dann meist die Klage über Tabus und Veröffentlichungsverbote.

Dabei waren in vielen Ausstellungen seit 1945 in der alten Bundesrepublik zwar selten ganz eindeutige Propagandaplastiken und -bilder, aber ansonsten vieles von dem, was die einstigen Hofkünstler gemalt und gebastelt hatten, immer mal wieder zu betrachten – und zu kaufen. Und der öffentliche Raum ist bis heute gut bestückt mit zum Teil mächtigen Produkten aus den Hitlerschen Hofbildhauereien. Ergiebiges findet sich auch beim Blick auf Hausfassaden, in Areale von Banken, Versicherungen und Konzernen. Private Sammler waren stets mehr als genug vorhanden – und gerne setzten sich Prominente aus Politik und Wirtschaft einstigen NS-Propagandisten zum Porträt.

Tatsächlich meist verschlossen blieben den Kunstproduzenten und -profiteuren der NS-Zeit lange Zeit große und renommierte Kunstmuseen und Ausstellungshäuser. Daran etwas zu ändern, gibt es immer wieder Vorstöße. Beliebt sind seit langem die Werke von Arno Breker. Da wird dann mit Nachkriegs-Persilscheinen aus Frankreich gewunken und große »Qualität« (was immer die sein mag) attestiert.

Für solche Konfrontationen könnte die neue Web-Übersicht über die NS-Jahresausstellungen auch Antifaschisten eine Hilfe sein. Deren unsensationell-sachliche Präsentation, die damit verbundene Fülle von Detailinformationen – unter anderem auch über Käufer und Kaufpreise der damaligen Exponate – machen schon deutlich, dass da kein Spielplatz entstehen sollte für braune Nostalgiker, Neofaschisten und NS-Kunst-Vermarkter. Das zeigte sich auch beim kritisch-sachkundigen Symposium, das die Freischaltung der Internetplattform in München begleitete.