Der weite Weg zur Umkehr

geschrieben von Günter Wehner

5. September 2013

Vom überzeugten Nazioffizier zum Antifaschisten

Sept.-Okt. 2010

Hans-Peter Bruchhäuser: »Heinrich Abel – Eine deutsche Karriere« Mit einem Beitrag von Vladimir A. Vsevlodov. Mitteldeutscher Wissenschaftsverlag Magdeburg 2009, 637 Seiten

Der Autor, Prof. Dr. Hans-Peter Bruchhäuser, stellt mit seiner Publikation neue kaum bekannte Fakten zur Rolle und Bedeutung des Nationalkomitee »Freies Deutschland« (NKFD) und dem Bund Deutscher Offiziere vor. Er untersucht die bis heute scharf umstrittenen Organisationen der deutschen Zeitgeschichte aus der Sicht der Akteure der Bewegung »Freies Deutschland« ergründet ihre Motive und die Konsequenzen ihrer Handlungsweisen.

Anhand der Biografie des Berufspädagogen Dr. Heinrich Abel analysiert der Autor erstmals, wie sich dessen Wandlung vom überzeugten Anhänger des NS-Regimes zum führenden Mitarbeiter im Bund Deutscher Offiziere bis hin zum ersten Lehrstuhlinhaber für Berufs-, Wirtschafts- und Arbeitspädagogik in Westdeutschland vollzog.

Die breit angelegte faktenreiche Publikation ist in 17 Kapitel logisch gegliedert. H.-P. Bruchhäuser skizziert mit sorgfältig recherchierten Fakten treffend den Entwicklungsgang des Bürgersohnes Heinrich Abel, der sich zu einem führenden Funktionär der NS-Reichsjugendführung entwickelte. Der Autor verdeutlicht am Beispiel Abels, dass nicht wenige der führenden Funktionäre der NS-Diktatur aus der Mitte der Gesellschaft kamen und sich entsprechend ihrer Neigungen sowohl beruflich als auch politisch vorbehaltlos in das Regimes einordneten und ihm überzeugt dienten.

In den Kapiteln »Polen und Frankreich« weist Bruchhäuser nach, dass es Abel ein Bedürfnis war, an den Feldzügen gegen diese Länder teilzunehmen. Er schildert ihn als zutiefst politischen Soldaten und späteren Offizier. Auch in der darauffolgenden Zeit »… bis nach Stalingrad« änderte sich, so der Autor, wenig an der politischen Überzeugung von Abel. Selbst die bitteren Erfahrungen im Kessel von Stalingrad bewirken bei Abel kaum eine Veränderung seiner politischen Grundüberzeugung zum NS-Regime.

Im Kapitel 7, »Kriegsgefangenschaft«, erfährt der Leser, wie sich Abels geistige Haltung im Bezug auf sein bisheriges Leben veränderte. Er setzte sich mit den Geschehnissen in der Schlacht um Stalingrad auseinander. Sehr plastisch schildert der Autor die Gesprächssituationen zwischen Wilhelm Pieck und Heinrich Abel, den man für die Arbeit unter den Kriegsgefangenen gewinnen wollte.

Die Gründung des NKFD am 12. und 13. Juli 1943, seine Zusammensetzung, seine Aufgabenstellung und die Ergebnisse der vielfältigen Tätigkeit an der Front und in den Kriegsgefangenlagern beschreibt der Autor anhand zahlreicher persönlicher Gesprächsnotizen mit Zeitzeugen und neuen bisher unbekannten Fotos und Dokumenten. Sie spiegeln zugleich auch die Vorbehalte gegenüber dem NKFD und eine Reihe seiner inneren Probleme wider. Hier widerlegt H. P. Bruchhäuser auch bisherige publizistische Legenden über das NKFD.

Unter der Überschrift »Ein neuer Antifaschist« schildert der Autor präzise den absoluten biografischen Bruch Heinrich Abels, der nunmehr sein Wissen und Können als Angehöriger im Bund der Deutschen Offiziere im antifaschistischen Sinne einsetzte, doch auch den widersprüchlichen Umgang, den Abel durch die zuständigen Überwachungsorgane der UdSSR nach 1945 bis zu seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft erfuhr.

Auf den Seiten 473 bis 546 informiert H.-P. Bruchhäuser über den weiteren Lebensweg Abels, der am 24. April 1950 nach Osterrode zurückkehrt und eine bemerkenswerte Karriere zum ersten Lehrstuhlinhaber für Berufs-. Wirtschafts- und Arbeitspädagogik an der Technischen Hochschule in Darmstadt durchlief.

Die vorliegende Publikation ist ein wertvoller Beitrag zur Analyse des Wirkens des NKFD und des Bundes Deutscher Offiziere mit einer Fülle an neuen Erkenntnissen durch die Einbeziehung bisher unbekannter Fakten, Dokumente, Fotos und Berichte aus den Gesprächen mit den noch lebenden Zeitzeugen, die vom Autor recherchiert und zusammengestellt wurden. Neue Wege zur Erforschung der oben genannten Organisationen erschließt der Autor durch sein biografisches Herangehen zur Thematik der historischen Bedeutung des NKFD und des Bundes Deutscher Offiziere.

Leserfreundlich sind die umfangreichen Anmerkungen – immer am Ende eines Kapitels einsehbar. Bestechend ist die Fülle an Quellen und Literatur, die auf 56 Seiten aufgelistet wurde. Ein Abbildungsverzeichnis nebst Abkürzungshinweisen und ein Personenregister runden die informative Publikation ab, deren Lesbarkeit allerdings durch den akademischen Sprachstil etwas eingeschränkt wird.

Das Buch ist ein unverzichtbarer Baustein für die gegenwärtige Auseinandersetzung mit allen Spielarten des Rechtsextremismus.