Der Zug der Tausend

geschrieben von Nils Wilscheid

5. September 2013

Jugendliche aus ganz Europa setzen Zeichen gegen Rassismus

Juli-Aug. 2012

»Alles in allem war der Zug der 1000 eine sehr bewegende Fahrt, die uns alle ein Stück reicher gemacht hat und die wir so schnell nicht vergessen werden.« Benjamin Gnaser

»Eines der wichtigsten Ergebnisse der Reise ist für mich, dass so viele Jugendliche und Erwachsene aus verschiedenen Ländern über dieselben Erfahrungen und Eindrücke reden konnten. Das ist oft nebenbei geschehen oder nach den offiziellen Veranstaltungen. Das belgische Veteraneninstitut hat mit seiner phänomenalen Organisationsleistung Vertrauen geschaffen und dafür gesorgt, dass man sich auf alles sehr gut einlassen konnte.« Thomas Willms

Vom 5. bis zum 10.Mai begaben sich 1000 europäische Jugendliche mit dem »Zug der Erinnerung« von Brüssel nach Krakau um die Gedenkstätten der KZ Auschwitz I + II zu besuchen und der Opfer und der grausamen Verbrechen des NS- Regimes zu gedenken. Die Erinnerungsreise wurde vom belgischen »Institute des Vétérans«, der Auschwitz-Stiftung und der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) – Bund der Antifaschisten organisiert und bot Jugendlichen aus Belgien, Russland, Portugal, Italien und anderen europäischen Ländern unter der Schirmherrschaft des belgischen Königs die Möglichkeit, Auschwitz zu besuchen. Unter den Teilnehmern befand sich auch unsere 20-köpfige Gruppe aus Deutschland.

Der Zug mit den Jugendlichen, Betreuern und Veteranen an Bord verließ am 5.Mai gegen 14:30 Uhr Brüssel und sammelte weitere Teilnehmer in Frankfurt am Main und in Halle ein. Die 23-stündige Zugfahrt war bereits ein Erlebnis an sich. 16 Waggons mit Speisewagen, Radioabteil und unzähligen Abteilen für die Mitfahrenden dienten uns als ein einziges 423 Meter langes Wohnzimmer. Erste Kontakte wurde aufgenommen. Es wurde gemeinsam gesungen, wir informierten uns über Auschwitz, versuchten uns im Zug-eigenen Radioabteil als Moderator, viele haben auch einfach nur gelesen, geschlafen und sich unterhalten. Obwohl die Muttersprache der Teilnehmenden von Portugiesisch über Niederländisch und Französisch bis zu Ungarisch und Russisch reichte, fanden die Jugendlichen schnell Möglichkeiten, sich auszutauschen. Trotz der langen Kraft zehrenden Fahrt war die Stimmung durchgehend positiv.

Mit etwa sieben Stunden Verspätung wurde das Ziel Krakau erreicht. Am nächsten Morgen fuhren die Teilnehmer mit Bussen nach Oświęcim, um dort das Stammlager Auschwitz (Auschwitz I) zu besichtigen. Die Teilnehmer, die zum größten Teil das erste Mal in Auschwitz waren, wurden in Gruppen von Guides durch die Gedenkstätte begleitet.

Das KZ Auschwitz I wurde nach der Besetzung Polens in den Gebäuden einer polnischen Kaserne eingerichtet und nach den Bedürfnissen des Lagers umgebaut. Insgesamt haben nach Schätzungen 70.000 Personen aufgrund von Unterernährung, Krankheit, Misshandlung, Schwerstarbeit und Hinrichtung ihr Leben im Stammlager verloren. Es wurde am 27. Januar 1945 befreit.

Nach der emotional belastenden Besichtigung des Lagers konnte die Innenstadt von Krakau selbstständig erkundet werden. Auch hier fanden sich schnell Jugendliche aus verschieden Ländern zusammen, um gemeinsam die Stadt zu besichtigen und sich über das zuvor Erlebte auszutauschen.

Anschließend wurde das Theaterstück »Kamp« von der Gruppe »Hotel Modern« besucht. Diese spielt mit kleinen Puppen in beeindruckender Weise das Leben und Schicksal der Häftlinge im KZ Auschwitz nach. (Eine ausführliche Rezension ist im Kulturteil dieser antifa zu finden.)

Am nächsten Morgen trafen sich alle 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fahrt an der »Judenrampe« von Auschwitz-Birkenau. Als »Judenrampe« wird die bis zum Frühjahr 1944 von den Nazis genutzte Entladerampe bezeichnet, an der die Deportierten aus ganz Europa die zum Transport genutzten Viehwaggons verließen. Nach dem »Entladen« wurden die Angekommenen von NS-Ärzten selektiert. Die als arbeitsfähig eingestuften Menschen wurden ins Konzentrationslager gebracht, der Rest zum Teil umgehend in den Gaskammern vernichtet.

Von der »Judenrampe« aus gingen die 1000 Jugendlichen gemeinsam die Strecke bis ins Vernichtungslager, die auch die Deportierten nehmen mussten. Mit den sehr guten Guides der Gedenkstädte Auschwitz wurde das Areal des Konzentrations- und Vernichtungslager besichtigt. Neben den Baracken, in denen die Gefangenen mit bis zu 1000 Personen, also genauso vielen wie wir Teilnehmer der Fahrt, eingesperrt waren, wurden die Überreste der Gaskammern, Krematorien und des Lagers »Kanada« besucht. Im Lager »Kanada« wurde das Hab und Gut der Deportierten zur Weiterverwendung im Deutschen Reich sortiert. Besonders die Besichtigung der Gaskammern und Krematorien war für die Teilnehmenden sehr bedrückend.

Im Anschluss an die Besichtigung wurden an dem internationalen Mahnmal von Auschwitz-Birkenau zum »Tag der Befreiung« Blumen und Kränze niedergelegt. Zuvor hatten der belgische Premierminister Elio Di Rupo, der ungarische Präsident der FIR Vilmos Hanti und der Vorsitzende der Auschwitz-Stiftung Baron Paul Halter in kurzen, mehrsprachigen Ansprachen die historische und politische Bedeutung dieses Treffens unterstrichen. Sie mahnten die Erinnerung an die Gräueltaten der Nazis, damit sich der Holocaust niemals wiederholen kann. Für die Teilnehmenden war die Zeremonie aus Anlass der Befreiung vom Faschismus ein sehr bewegender Moment.

Nachmittags spielte die Gruppe Kroke für die Teilnehmer des »Zuges der Tausenden«. Kroke (jiddisch für Krakau) ist eine polnische Band, die Klezmer spielt und international erfolgreich ist. Die Jugendlichen waren begeistert von der Band und dankten ihr mit Standing Ovations.

Am Abend konnten alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer gemeinsam in einer Krakauer Disco feiern. Es wurde viel zusammen getanzt und sich unterhalten.

Bevor es mit dem Zug zurück Richtung Brüssel ging, wurden noch das Königsschloss und die Kathedrale von Krakau besichtigt. Auch die Rückfahrt in unserem großen »Wohnzimmer« war sehr angenehm. Freundschaften konnten vertieft werden und die Teilnehmenden hatten die Möglichkeit, sich über das Erlebte auszutauschen.

Insgesamt war diese Fahrt sehr beeindruckend. Die Organisatoren des »Zug der Tausenden« haben eine großartige Leistung vollbracht und die Fahrt wird sicherlich bei uns allen einen bleibenden Eindruck hinterlassen.