Ein Christ und Sozialist

geschrieben von Heinrich Fink

5. September 2013

Helmut Gollwitzer zum 100. Geburtstag

Jan.-Feb. 2009

An Helmut Gollwitzer zu erinnern heißt, seine Verdienste für Theologie, Kirche und Gesellschaft zu beschreiben. Er war einer der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts. Er war ein streitbarer Mann in der Kirche und ein konsequenter Prediger der hebräischen Bibel und des Neuen Testament. Er war Mitbegründer der Bekennenden Kirche, die die offizielle Kirche auf die Frage ihrer Wurzeln aus der hebräischen Bibel aufmerksam machte. Gollwitzer war religiöser Sozialist, ein zeitiger Mahner gegen den Faschismus.

1937 nach der Verhaftung von Martin Niemöller wurde er, auf dessen Wunsch, sein Nachfolger in der Dahlemer Gemeinde. Nach der Pogromnacht 1938 predigte Gollwitzer mutig gegen die Barbarei der Nazis. Im Dahlemer Gemeindehaus prangerte er in seiner Bußtagspredigt das Versagen der Kirche und das Wegschauen der Gemeinde in dieser Nacht an. Danach bekam er in Berlin und Umgebung Redeverbot. Seine Einberufung zur Wehrmacht 1940 brachte ihn in große Gewissenskonflikte. Auf der einen Seite sah Gollwitzer die Möglichkeit, sich bei der Wehrmacht dem Zugriff der Nazis zu entziehen, die ihn wie Niemöller ins KZ bringen wollten. Andererseits verstieß die Einberufung gegen seine pazifistische Überzeugung: »…für Hitler schieße ich nicht, den Wehrdienst zu verweigern und dafür erschossen zu werden, dazu fehlt mir der Mut.« Er meldete sich zu den Sanitätern und geriet 1945 in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst 1950 entlassen wurde.

»Und führen wohin du nicht willst« ist ein erschütterndes Buch aus dieser Zeit. Gollwitzers theologischer Schwerpunkt damals war die Frage: »Was kann die Kirche für den Frieden tun, und welchen Beitrag kann sie für ein ´erneuertes´ Verhältnis von Christen und Juden nach dem Holocaust leisten?« Seine aufrüttelnden Predigten forderten immer die Verantwortung der Kirche für soziale Gerechtigkeit ein. »Eine neue Welt, eine neue Gesellschaft, darauf geht der ganze Inhalt des Evangeliums. Dieses Neue kann auch genannt werden: Sozialismus – nicht als Ideologie, sondern als Wirklichkeit. Jesus ist die soziale Bewegung. Sozialistisch ist also, so wird man sagen müssen, ein Prädikat des Evangeliums. Dieses zu verkündigen heißt Sozialismus zu wollen. Ein Christ muß Sozialist sein.«

An Helmut Gollwitzer zu erinnern heißt, auf sein Interesse für das Judentum, den christlich- jüdischen Dialog und die Existenz des Staates Israel hinzuweisen. Eine Konsequenz aus der Auseinandersetzung mit diesen Fragen war, dass er gemeinsam mit seiner Frau Brigitte und seinem Freund Dietrich Goldschmidt Mitbegründer der Aktion Sühnezeichen wurde.

Helmut Gollwitzer unterstützte die Studentenbewegung der 60er Jahre. Er fühlte sich herausgefordert durch deren Frage an ihre Väter und Mütter, was sie in der Zeit des Faschismus getan hätten. Er stellte sich dieser Frage und vor allen Dingen der Auseinandersetzung mit den Jungen. Eine enge Freundschaft entstand zu Rudi Dutschke. In hartem Streit diskutierten sie die Anwendung von Gewalt in politischen Auseinandersetzungen. Bei der Behauptung, dass es bei der »Schlacht am Tegeler Weg« in Berlin mehr verletzte Polizisten als Demonstranten gegeben hätte, meldete sich Gollwitzer zu Wort und machte den Gewaltbefürwortern klar, dass nur für Faschisten Gewalt eine politische Lösung sein könne. Für Christen wie für Sozialisten aber gelte, dass sie nicht eine Situation heraufbeschwören dürften, die Menschenleben gefährde. Auch fördere diese die Bereitschaft die Brutalität der Polizei, was aus menschlichen, aus demokratischen und politisch-strategischen Gründen abzulehnen sei. »Wer will, dass die studentische Bewegung zerschlagen wird, darf solche Aktionen machen, wer aber will, dass die Studentenbewegung gesellschaftliche Veränderungen einleitet, muss den Dialog herausfordern und sich ihm stellen.« Gollwitzer ist quasi zum Vater und Mahner der Studentenbewegung geworden. So schreibt Antje Vollmer in ihren Erinnerungen an Helmut Gollwitzer: »In dieser Zeit war er längst einer der wichtigsten Fürsprecher und Bezugsperson für die Studenten der 68er Bewegung geworden. Als Benno Ohnesorg starb, als Rudi Dutschke Ostern 1968 in einem Attentat schwer verletzt wurde, waren Brigitte und Helmut Gollwitzer immer die ersten, die ihr Haus zum Schutz und zum Bleiben anboten, bei denen die langen Gespräche des Zorns und der Trauer stattfanden.«