Es war die Imbissbude

geschrieben von Janka Kluge

5. September 2013

Wie ich die Ereignisse in Rostock-Lichtenhagen 1992 erlebte

Sept.-Okt. 2012

Kaum ein Ereignis hat mein Leben so geprägt und beeinflusst, wie die Tage der Pogrome im August 1992 in Rostock. Antifaschistin war ich bereits seit meiner Jugend. Wegweisend waren für mich mein Religionslehrer Hellmut Traub, der als junger Theologe an der Seite von Dietrich Bonhoeffer stand, und der Stuttgarter Widerstandskämpfer Alfred Hausser. In vielen Gesprächen mit beiden erfuhr ich nicht nur, wie wichtig es ist, sich für ein lebenswertes Leben für alle Menschen einzusetzen, sondern auch, dass es möglich ist , selbst unter faschistischer Herrschaft für seine Ideen einzutreten. Der eine für den Kommunismus, der andere für das Christentum.

Bis zu den Ereignissen in Rostock beschränkte sich mein Engagement gegen alte und neue Nazis aber darauf, auf Demonstrationen zu gehen und bei Diskussionen im eher privaten Bereich meine Überzeugungen zu vertreten.

Bei den Pogromen im September 1991 in Hoyerswerda war ich entsetzt über die offene Gewalt von fast 500 Neonazis gegen Wohnheime von Asylbewerbern und Vertragsarbeitern der früheren DDR Gleichermaßen entsetzt war ich aber auch von der Reaktion der Politik. Statt sich den Angreifern entgegenzustellen, wurden die Flüchtlinge und Vertragsarbeiter mit Bussen aus Hoyerswerda weg gebracht. Die Nazis hatten ihr Ziel erreicht und bezeichneten die Stadt von da an als »Ausländerfrei«. Der Begriff war eine Anlehnung an die Nazi-Bezeichnung »Judenfrei«. Die Pogrome von Hoyerswerda waren der Auftakt für viele Anschläge, Morde und Pogrome in den folgenden Jahren.

Bei den Pogromen von Rostock kam für mich noch eine neue Dimension hinzu. Es waren nicht mehr nur die Stiefelnazis, die die Zentrale Aufnahme Stelle und später das Wohnheim für Vietnamesen angriffen und in Brand steckten. Sie bekamen Unterstützung von Einwohnern, die nicht nur eine Beifall klatschende Kulisse bildeten, sondern die Ausschreitungen selbst tatkräftig unterstützen. Zeitweise waren mehr als 3000 Menschen vor dem Sonnenblumenhaus in Rostock versammelt, die sich in einen gefährlichen Mob verwandelten.

Rostock wurde für mich in mehrfacher Hinsicht zu einer Erfahrung, die mein weiteres politisches Denken beeinflusst hat. Die Regierungskoalition von CDU und FDP, unter Bundeskanzler Helmut Kohl, plante schon länger, die Asylgesetze zu verschärfen. Sie benötigten für eine Änderung des Grundgesetztes aber die Zustimmung der SPD-regierten Länder im Bundesrat. Der CDU kam es sehr gelegen, dass immer mehr Flüchtlinge zur Aufnahmestelle nach Rostock gekommen waren. Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern unternahm nichts, um die Neuangekommenen unterzubringen. Die meist aus Rumänien geflüchteten Roma wurden so gezwungen, vor der Aufnahmestelle zu campieren. Allerdings beschönigt der Begriff »campieren« die grausamen Zustände. Oft waren ganze Familien mit kleinen Kindern geflüchtet, sie bekamen weder Toiletten noch Zelte zur Verfügung gestellt. Der Unmut der Bewohner von Lichtenhagen schlug schnell in Hass um. Sowohl die Landesregierung in Schwerin als auch die Bundesregierung nahmen diesen Zustand billigend in Kauf. Diese brodelnde Situation nutzten Neonazis aus der ganzen Bundesrepublik aus, um zuerst die Sammelstelle und dann das Wohnheim für Vietnamesen anzugreifen und am Ende in Brand zu setzen. Die Polizei war zwar vor Ort, zog sich aber immer wieder zurück, so dass der Mob freie Hand hatte. Die Bewohner von Lichtenhagen solidarisierten sich mit den Nazis.

Die vietnamesischen Vertragsarbeiter konnten sich in letzter Minute über das Dach des Nachbarhauses retten. Die Bevölkerung hatte zusammen mit den Nazis über Stunden verhindert, dass die Feuerwehr zu dem brennenden Haus durchkommen konnte. Alle Beteiligte haben so den Tod vieler Menschen in Kauf genommen. Erst nach Tagen wurden die Flüchtlinge aus Rostock weggebracht. Wie in Hoyerswerda wurde dem Druck der Nazis nachgegeben

Das stärkste Bild, das sich in diesen Tagen in mein Gedächtnis eingebrannt hat, war das der Imbissbude, die den randalierenden und brandschatzenden Mob mit deutschen Würstchen und deutschem Bier versorgt hat. Dieses Ausmaß an rassistischer Normalität und Mordlust hat mich dazu gebracht, Mitglied der VVN-BdA zu werden. Seitdem verbringe ich einen großen Teil meiner Freizeit damit, mich gegen Rassismus und Nazis zu engagieren.