Garcia Lorca neu gedeutet

5. September 2013

antifa-Gespräch mit Autor und Regisseur Peter Wittig

Nov.-Dez. 2011

»Lorca.Bernarda.Fragen.« wird vom 25. -30. November im theaterforum kreuzberg aufgeführt

www.tfk-berlin.de

Karten unter 030/70071710

Die Fragen stellte Regina Girod

antifa: Im November hat in Berlin Ihre Inszenierung »Lorca. Bernarda. Fragen« Premiere, die Sie auf der Grundlage von Federico García Lorcas Stück »Bernarda Albas Haus« entwickelt haben. Worum geht es in dem Stück?

Peter Wittig: Bernarda Albas Haus wird bewohnt von ihr selbst, ihren fünf Töchtern, der Großmutter María Josefa und der Hausangestellten La Poncia. Die Töchter rebellieren gegen die Herrschaft der Mutter. Adela, die Jüngste, macht vor ihren Schwestern das Rennen um den Traummann Pepe el Romano. Wir haben das Stück konkretisiert und politisiert. Es kam darauf an, den historischen Kontext hineinzubringen. Unsere Inszenierung spielt zwischen der Niederschlagung des asturischen Bergarbeiteraufstandes durch Franco (1934) und dem faschistischen Putsch gegen die spanische Republik (1936). Adela will hinaus in die Freiheit, aber wessen Freiheit herrscht da draußen? Die der künftigen Machthaber.

antifa: Die Grundlage Ihrer Lorca-Rezeption ist also der Antifaschismus?

Peter Wittig: Das sind wir Lorca schuldig. Seine Antwort auf Franco war die Gründung des Bundes Antifaschistischer Intellektueller – zusammen mit dem Christen José Bergamín und dem Kommunisten Rafael Alberti. Was mich betrifft, ich komme aus der DDR, dort hatten wir den verordneten Antifaschismus, das war eine gute Schule. Zum Stück selbst: In ihm treten keine Männer auf, aber alles Denken kreist um sie. Einer ist der erwähnte Platzhirsch Pepe el Romano, die anderen sind fremde Landarbeiter. Es hat enorme Konsequenzen für das Stück, wenn wir voraussetzen, dass alle diese Männer Faschisten sind. Die Erntearbeiter »mähen mitten in Feuergarben«. Das ist Originaltext. Man kann auch etwas anderes niedermähen als Getreide, und realiter kommen Feuergarben aus den Mündungen von Maschinenpistolen.

antifa: Gilt nicht Bernarda Alba, die Familiendiktatorin, als Personifizierung des Faschismus?

Peter Wittig: Das wäre zu einfach. Sie, ihre fünf Töchter und La Poncia sind Kleinbürger. Der Faschismus bedient ihre kleinbürgerlichen Ängste, Motto: Lieber tot als rot, und fasziniert sie durch seine Ästhetik der Macht. Speziell die Rollen der Töchter Magdalena und Amelia (in Lorcas Original kaum mehr als Stichwortgeber) in dieser Richtung auszubauen bot sich an.

antifa: Sie haben also den Text bewusst verändert?

Peter Wittig: Ich habe um- und hinzugeschrieben. Und ich habe Texte aus anderen Quellen eingefügt, insbesondere lyrische Texte: von Lorca selbst, von Pablo Neruda und von Rafael Alberti. Die Rolle der María Josefa entstand aus diesem Material völlig neu. Bei Lorca ist sie eine verrückte Alte; bei uns ist sie eine Linke, und gespielt wird sie von Gina Pietsch.

antifa: Die Ermordung von García Lorca ist 75 Jahre her, eine große Zeitspanne. Sehen Sie trotzdem Verbindungen, die bis in die Gegenwart reichen?

Peter Wittig: Die Pogrome von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen – Nazis und Bürger/innen Hand in Hand – sind 20 bzw. 19 Jahre her. Einige der Täter erhielten milde Jugendstrafen, nach langer Zeit. Andersherum geht es schneller. Der Staatsanwaltschaft Dresden zu Gefallen wurde vor wenigen Wochen die Immunität von Bodo Ramelow und André Hahn aufgehoben, Fraktionschefs der Linken in Sachsen und Thüringen. Sie begingen das schwere Vergehen, die Blockade des Dresdener Naziaufmarsches am 13. Februar 2010 mitorganisiert zu haben.