Gedenken am Colle del Lys

geschrieben von Jürgen Weber

5. September 2013

Deutsche und italienische Antifaschisten treffen sich jedes Jahr im
Piemont

Sept.-Okt. 2012

Die Passhöhe des Colle del Lys liegt auf 1.311 Höhenmetern. Von hier aus hat man einen weiten Blick ins Susatal und selbst Turin, Arbeiterstadt und Metropole des Piemonts, erkennt man im Hintergrund. Man vermag es sich vorzustellen, dass es von hier aus den Bergen möglich war, die Versorgungswege der deutschen Besatzer von und nach Frankreich immer wieder empfindlich zu stören. Von September 1943 bis zur Befreiung Turins durch Partisanenverbände im April 1945 gab es trotz zahlreicher »Säuberungen« ungebrochenen Widerstand junger Italiener und internationaler Partisaninnen und Partisanen. Hier auf der Passhöhe steht die Gedenksäule für 2044 von ihnen, die im Hass gegen »die Banden« von Wehrmachtssoldaten, SS oder italienischen Faschisten erschossen oder erschlagen, teilweise verstümmelt wurden.

Es ist der erste Sonntag im Juli und wie jedes Jahr quält sich eine fast unaufhörliche Kolonne von Fiat Puntos oder ähnlicher Kleinstwagen der dorfeigenen »Polizia« die Passstraße hinauf. Oft mit nur halbgeschlossenem Kofferraum, weil der großformatige Kranz zu Ehren der getöteten Partisanen ihrer Gemeinden zu gut einem Drittel aus dem Heck ragt. Aus jedem Dorf aus den Tälern ringsum, aber auch von fernen Gemeinden bringen Vertreter der Ortspolizei in Festtagsuniform eine kunstvoll verzierte, oft weit über 100 Jahre alte Gemeindefahne zur Gedenkfeier auf die Passhöhe des Colle del Lys. Auch die nationale Staatspolizei »Carabinieri« ist zur Kundgebung des Comitato Resistenza Colle del Lys und Vereinigungen der ehemaligen Partisanen nicht etwa mit Helm und Schlagstock angereist, sondern mit einer Ehrenwache. Die »Resistenza«, der Widerstand gegen die faschistische Diktatur und die deutsche Besatzung, hat auch heute noch einen hohen Stellenwert im gesellschaftlichen und politischen Leben Italiens. So sind beim »Empfang der Bürgermeister« auch in diesem Jahr fast alle Amtsträger der Gemeinden mit ihren Schleppen in den Nationalfarben Italiens vertreten. Unter den Gästen der Gedenkfeier sind seit 1991 auch Mitglieder der VVN-BdA vom Bodensee, der Kreisvereinigung Ravensburg-Oberschwaben und auch die Kreisvereinigung Konstanz ist seit einigen Jahren vertreten.

Der Ursprung der Verbindung liegt in der Städtepartnerschaft zwischen Ravensburg und dem -nahen Rivoli. Dessen ehemaliger Bürgermeister Carlo Mastri war vor 21 Jahren Vorsitzender des Comitato Resistenza Colle del Lys. Nach seinem Tod wurde das Museum auf der Passhöhe nach ihm benannt. Er suchte damals den Kontakt zu deutschen antifaschistischen Gruppen in seiner süddeutschen Partnerstadt. Auf deutscher Seite haben die Partnerschaft vor allem Enzo Savarino und Jupp Kaiser im Namen der VVN-BdA Ravensburg-Oberschwaben und der IG Metall in Friedrichshafen aufgebaut und pflegen diese bis heute. In all den Jahren entstand ein reger Austausch in Form von Informations- und Kulturveranstaltungen, Ausstellungen, Filmen, Fernsehreportagen, Artikeln, Büchern und Kongressen auf beiden Seiten. Dem Engagement des ehemaligen Deportierten Beppe Berutto ist es zu verdanken, dass der Einladung auf die jährlich im Mai stattfindende Gedenkfeier auf den KZ-Friedhof Birnau bei Überlingen am Bodensee über die Jahrr Hunderte von Jugendlichen aus dem Piemont gefolgt sind. Zuweilen waren auf der Gedenkveransaltung an die Opfer des Dachauer Außenlagers mehr italienische Gäste als deutsche. Zahlreiche der ehemaligen Partisaninnen und Partisanen, Beppe Berruto und Alfred Hausser, der 1996 auf der Gedenkveransaltung am Colle del Lys sprach und dessen 100. Geburtstag in diesen Tage gedacht wird, sind inzwischen gestorben.

Auch auf der diesjährigen Gedenkveranstaltung am 1. Juli 2012 versammelten sich die Bürgermeister im großen Festzelt am Fuße der Gedenksäule auf der Passhöhe. Der Delegation vom Bodensee gehörte in diesem Jahr unsere Bundesvorsitzende Cornelia Kerth an. In ihrer Rede beim »Empfang der Bürgermeister« hob sie den Stellenwert des Widerstands und des Gedenkens hervor: »Für uns ist es auch beeindruckend hier an dieser Versammlung mit so vielen gesellschaftlichen Repräsentanten teilzunehmen, die mit einer gemeinsamen Willenserklärung dafür sorgen, dass das Vermächtnis der Partisanen im politischen Alltag der gesamten Region lebendig bleibt. Wir sind bei solchen Gedenkveranstaltungen in Deutschland gewohnt, eher unter uns zu bleiben, obwohl der antifaschistische Widerstand zum Wertvollsten gehört, das die deutsche Geschichte in Hunderten von Jahren hervorgebracht hat.«