Greifbare Demokratie

geschrieben von Die Fragen stellte Axel Holz.

5. September 2013

antifa-Gespräch mit Ingmar Dette über
Aufklärungsarbeit in der Region

Nov.-Dez. 2011

Ingmar Dette ist Leiter des RAA-Regionalzentrum für demokratische Kultur Südvorpommern.

antifa: Trotz des Verlustes von einem Drittel ihrer Wähler ist die NPD erneut in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern eingezogen. Hat die Demokratieaufklärung versagt ?

Dette: In unserer Demokratie können wir froh über jeden Wähler und jede Wählerin sein, schließlich ist das Wählen ein Recht, keine Pflicht. Die Wahlbeteiligung lag zur Landtagswahl bei 51,5%, das ist ein neuer Tiefstand und kein Grund zur Freude. Außer Bü90/Grünen haben alle Parteien Wählerstimmen verloren, auch die NPD. Offenbar ist also das Wählen an sich für (zu) viele Menschen nicht mehr attraktiv. Im Umkehrschluss ist demzufolge die NPD von einer ohnehin bereits überzeugten Wählerschaft, von der Stammwählerschaft, bestätigt worden. Starke Zuwächse verbuchte die NPD bei den Arbeitslosen und bei männlichen Erstwählern. Hier muss genauer nach den Gründen geschaut werden.

antifa: Reicht Aufklärung über Nazis allein aus?

Dette: Aufklärung ist ein wesentlicher Schritt zur Entwicklung einer eigenen Meinung. Und eine eigene Meinung ist die Grundlage für eigenverantwortliches Handeln. Jede Wissensvermittlung, auch jede Aufklärung über Rechtsextremismus muss an das Alltagswissen und die Alltagserfahrungen der Beratungsnehmer anschließbar sein, um einen langfristig wirkenden Effekt zu erzielen. Aufklärung ohne Praxisbezug bleibt folgenlos. Neben die Information über demokratiegefährdende Bestrebungen müssen aber auch Möglichkeiten treten, eigene, gute Erfahrungen mit gelebter Demokratie zu machen.

antifa: In einer durch den Tourismus starken Region auf Usedom konnte die NPD zweistellige Ergebnisse erzielen. Warum ist den Nazis dort die regionale Verankerung gelungen?

Dette: Weil sie dort seit den 90er Jahren vor Ort sind. Auf Usedom arbeitet die rechte Szene seit rund zehn Jahren an ihrer schrittweisen Akzeptanz. Und im ländlichen Raum ist Beständigkeit und Wiedererkennbarkeit ein Wert für sich. In Ostvorpommern besteht die NPD hauptsächlich aus Mitgliedern sogenannter Freier Kameradschaften, das sind parteiunabhängige Strukturen, deren rechtsextreme Mitglieder aus der Region kommen und sich lokal als Kümmerer präsentieren. Von Usedom aus werden kostenlose Propagandablätter, die sogenannten »Boten« vertrieben. Die NPD hat die strategischen Vorteile in der Zusammenarbeit mit den Kameradschaften mittlerweile erkannt. Also bekommen die Kameradschaften Geld und machen die politische Arbeit vor Ort. Und die NPD erhält regional bekannte Gesichter und feiert Wahlerfolge.

antifa: In sechs neuen Landkreisen sind auch Nazis vertreten, darunter dreimal in Fraktionsstärke. Was wird der gestärkten regionalen Position der NPD entgegengesetzt?

Dette: In allen Landkreisen müssen sich die Strukturen und Personen nach der Gebietsreform erst einmal sortieren. Das ist eine Chance, um gleich von Beginn an zu einer abgestimmten Haltung der demokratischen Parteien gegenüber der NPD zu finden, die sich dann in einer konsequenten, unaufgeregten und bürgernahen Sacharbeit am deutlichsten zeigt. Denn jeder Landkreis hat seine eigenen Besonderheiten, seine eigenen Themen und Wichtigkeiten und die sollten nicht der Öffentlichkeitsarbeit der rechten Szene überlassen werden. In jeder Region gibt es darüber hinaus ein mittlerweile breit aufgestelltes Beratungsangebot für Vereine, Parteien, Schulen und Bürger, darunter die fünf Regionalzentren für demokratische Kultur. Diese Angebote stehen jedem Bürger und jeder Bürgerin kostenlos zur Verfügung.

antifa: Welchen Beitrag leistet das Regionalzentrum für demokratische Kultur Südvorpommern in der Auseinandersetzung mit den neuen Nazis und ihren Wählern?

Dette: Alle fünf Regionalzentren informieren, unterstützen und beraten zu den Themen Demokratiebildung und -entwicklung. Wir geben unser Wissen über demokratiefeindliche Bestrebungen in Fortbildungen weiter und wir helfen bei der Suche nach lebensfreundlichen Alternativen vor Ort. Wir begleiten Projekttage in Schulen. Unser Ziel sind mündige und kritische Bürgerinnen und Bürger.

antifa: Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie selbst mit Nazis gemacht ?

Dette: Ich habe Mitte der 90er Jahre die Auseinandersetzung in den Neubaugebieten Greifswalds zwischen der gewalttätigen Neonazi-Szene und links-alternativen Jugendlichen miterlebt. Einige meiner Klassenkameraden sind später aktive Neu-Rechte geworden, mit Stiefel, Glatze, Bomberjacke, Gewalt, das ganze Programm. Ich habe gesehen, welche Faszination »Gewalt« gerade auf junge Männer ausstrahlt und ich versuche, diese eigene Beobachtung für unsere Arbeit an einer demokratischen Kultur nicht zu vergessen.