Immer die Anderen

5. September 2013

Die verdienstvolle Studie »Das Amt« und die Vorgeschichte

Jan.-Feb. 2011

Die Debatte um die Studie »Das Amt und die Vergangenheit« dokumentiert auch den Wandel deutscher Vergangenheitspolitik zum Instrument moralischer Selbstlegitimation Deutschlands.

Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes, Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. Blessing Verlag, München 2010, 34,95 Euro

Hans-Jürgen Döscher : Seilschaften. Die verdrängte Vergangenheit des Auswärtigen Amts. Propyläen 2005

Wir danken dem Antifaschistischen Info Blatt Berlin für die Genehmigung zum Nachdruck dieses Beitrags, der in der Ausgabe Nr. 89 erschienen ist

www.antifainfoblatt.de

Seit dem Erscheinen wurde die Debatte über das Buch zur NS-Vergangenheit des Auswärtigen Amtes (AA) mit großem öffentlichem Echo geführt. Doch die Rahmenbedingungen haben sich grundlegend gewandelt Die Täter sind tot. Und je kontrastreicher der Schatten der Vergangenheit in umso hellerem Lichte erscheint die Gegenwart.

»Das Auswärtige Amt war eine verbrecherische Organisation.« Dieser Satz war Ende Oktober 2010 gleich mehrfach in der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) zu lesen, jenem Blatt, in dem die alte Garde der deutschen Diplomaten vor Jahren in Anzeigen und Leserbriefen für die Ehre ihrer ehemaligen Nazikollegen focht. Selbst FAZ-Autor Volker Zastrow gestand, dass wer diesen Satz vor wenigen Jahren ausgesprochen hätte, sich selbst isoliert hätte. Im Jahr 2003 hatte der Erlass des damaligen Außenministers Joseph Fischer, alten Nazi keinen ehrenden Nachruf im Namen des Amtes mehr zu gewähren, einer Sturm der Entrüstung unter ehemaligen Diplomaten ausgelöst. Diese schlug sich in einer großen Todesanzeige für den ehemaligen SS-Untersturmführer und nachmaligen Botschafter der Bundesrepublik in Japan Franz Krapf nieder.

Als im Zuge der öffentlichen Debatte um die Entschädigung von NS-Zwangsarbeiterinnen zum Ende der 1990er-Jahre die Rolle deutscher Firmen ins Rampenlicht des Medieninteresses trat, taten deren Chefetagen, was sie knapp ein Jahrzehnt zuvor noch rigoros abgelehnt hatten. Im Jahr 1989 hatte das Hamburger Institut für Sozialforschung jene Firmen mit der Bitte um Geld für den Erhalt von KZ-Gedenkstätten angeschrieben, die von der Sklavenarbeit der Häftlinge profitiert hatten. Die Zeitschrift »konkret« dokumentierte damals die Ablehnungsschreiben jener Nachfolgeunternehmen der Degussa und der IG Auschwitz, sich finanziell an dem Erhalt der KZ Gedenkstätte Neuengamme zu beteiligen. Nun ließen Thyssen und die Deutsche Bank, Kirchen und kommunale Betriebe sukzessive ihre NS-Vergangenheit durch Historikerkommissionen aufarbeiten.

Die beauftragten Historikerinnen und Historiker bekamen Zugang zu jenen Firmenarchiven, in welche Einsicht zu nehmen zuvor jahrzehntelang linken Historikern wie Karl Heinz Roth, Hans G. Helms oder Eberhard Czichon verwehrt worden war. Am Ende der Forschungsarbeit stand zumeist ein als Buch publizierter Bericht, der einen recht ungeschminkten Einblick in die Verstrickung der Firmen in das System der NS-Zwangsarbeit bot. Die Enthüllungen wurden nicht schamhaft in abgelegenen Fachzeitschriften publiziert, sondern von den Chefetagen öffentlichkeitswirksam auf Pressekonferenzen vermarktet. Aus dem vormaligen Malus der NS-Verstrickung deutscher Firmen war so binnen weniger Jahre ein moralischer Bonus geworden, auf welchen man in der strategischen Kommunikation der Firmenphilosophie stolz verwies.

Im Falle des »Auswärtigen Amts« nahmen die Dinge einen anderen Lauf. Über Jahrzehnte hatte sich die von der Verteidigung im sogenannten »Wilhelmstraßen Prozess« gestrickte Legende gehalten, das AA habe sich um eine Mäßigung der NS-Außenpolitik bemüht. Gegenstand des Verfahrens war die Frage, in welchem Maße der Staatssekretär des AA, Ernst von Weizsäcker in die Verbrechen des NS-Regimes verstrickt war. Zum Erhalt der Legende, die distinguierten Diplomaten des AA hätten mit dem schmutzigen Geschäft des Judenmordes nicht zu tun gehabt, trug die in der Nachkriegsgesellschaft auf breiten Zuspruch stoßende Metapher bei, die Nazis seien immer die Anderen gewesen. Der Vorhang dieses Entlastungsdiskurses zerriss nur stückchenweise.

Was die NS-Vergangenheit des AA betrifft, so war es keineswegs so, dass diese zuvor nicht Gegenstand wissenschaftlicher Erörterung gewesen war. So publizierte der Historiker Hans Jürgen Döscher 1987 eine Untersuchung über das AA in den Jahren 1933-1945. Dass diese ebenso wie sein 2005 erschienenes Buch »Seilschaften – Die verdrängte Vergangenheit des Auswärtigen Amts« nicht auf einer allumfassenden Auswertung der Archivquellendes AA basieren konnten, ist nicht dem Autor anzulasten, sondern dem politischen Archiv des AA, das Personalakten als »nicht vorlagefähig« deklarierte und somit unter Verschluss hielt. Mit Fug und Recht kann man Döschers Arbeiten jedoch als gewichtige Vorlagen für die jetzt erschienene Studie bezeichnen.

Aus der als erfolgreich angesehenen Bewältigung der NS-Vergangenheit leitet das politische Establishment die Berechtigung ab, nicht nur im Konzert der Großmächte eine erste Geige zu spielen, sondern zugleich auch anderen Ländern Lektionen im Umgang mit ihrer Vergangenheit zu erteilen. Dass Joseph Fischer um eine Instrumentalisierung der NS-Vergangenheit aus Anlass der deutschen Beteiligung am Krieg gegen Jugoslawien nicht verlegen war, ist bekannt. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis sich jene Bußfertigkeit die sein Nachfolger Westerwelle anlässlich der Vorstellung der verdienstvollen Studie der Historikerkommission an den Tag legte, in moralischen Triumphalismus verwandelt.