Jetzt in die Tiefe gehen

geschrieben von Die Fragen stellte Ernst Antoni

5. September 2013

Gespräch mit Florian Ritter zum »NSU-Ausschuss« in
Bayern

Juli-Aug. 2012

Florian Ritter, seit 2003 Abgeordneter der SPD im Bayerischen Landtag, hat schon als Jugendlicher bei den »Falken« gelernt, wie wichtig antifaschistisches Engagement ist. Eigentlich wollte er sich im Landtag aber ganz anderen Themen widmen. Die von CSU und Staatsregierung betriebene Relativierung und die Debatten um eine wirksame Bekämpfung rechtsextremer Gefahren haben dazu beigetragen, dass er hier mittlerweile einen seiner Schwerpunkte gesetzt hat. Die permanente Diffamierung des antifaschistischen Dokumentationsarchivs A.I.D.A. und der VVN-BdA in den Verfassungsschutzberichten des Freistaats haben diese Entscheidung noch bestärkt.

antifa: Die Ermittlungen gegen den »Nationalsozialistischen Untergrund«: Kaum ein Tag, wo nicht neues Haarsträubendes ans Licht kommt – geschredderte Verfassungsschutz-Akten, von der Polizei aufgebaute »Undercover«-Dönerbuden in Nürnberg und München, wo auf Begegnungen mit Serienmördern aus dem »Ausländermilieu« gehofft wurde, allerlei V-Leute…

Florian Ritter: Ich führe seit längerem Listen, mit denen ich versuche, chronologisch dranzubleiben. Man kann kaum noch mithalten.

antifa: Nun hat auch Bayern nach dem Bund und den Ländern Sachsen und Thüringen einen eigenen Untersuchungsausschuss. Der Initiative, die von der Landtagsopposition, von SPD und Grünen, ausging, hat sich das ganze Parlament angeschlossen.

Florian Ritter: Quer durch die Fraktionen ist klar geworden, dass wir solch einen Ausschuss brauchen. Immerhin sind fünf der mindestens zehn Morde der NSU hier in Bayern verübt worden.

antifa: Bei bisherigen Versuchen, Licht in die Ermittlungsarbeit zur Mordserie zu bringen – SPD-Abgeordnete hatten im Mai dazu im Landtag eine ganze Reihe Anfragen gestellt – antwortete CSU-Innenminister Joachim Herrmann recht knapp, um regelmäßig mit dem Satz zu schließen: »Im Übrigen betrifft die Fragestellung den Kern des Auftrags des Deutschen Bundestags an den Untersuchungsausschuss, dessen Arbeit die Staatsregierung bestmöglich unterstützt und dessen Bewertungen aus Respekt vor dem Parlament zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vorgegriffen werden soll.«

Florian Ritter: Die Tatsache, dass die Bayerische Staatsregierung das Parlament nicht angemessen informiert hat, ist ein Grund für die Notwendigkeit des Untersuchungsausschusses. Von Anfang an – seit die Terrorzelle aufgeflogen ist – hat es Anfragen im Landtag gegeben, die vom Innenminister entweder nicht oder unzureichend beantwortet wurden. Andererseits wurden im Bundes-Ausschuss zunehmend problematische Vorgänge in bayerischen Behörden öffentlich, die uns noch nicht mal in geheimer Sitzung dargelegt wurden. Die Kontrollfunktion des Parlaments gegenüber der Regierung, das wurde immer deutlicher, war und ist nicht gewährleistet.

antifa: Kürzlich stand über einem Kommentar in der der Süddeutschen Zeitung die Schlagzeile: »Bundesamt für Verfassungsgefährdung«. Der »Schäfer-Bericht« aus Thüringen liefert, den Inlandsgeheimdienst dort betreffend, ebenfalls seitenweise einschlägiges Material. Ist da auch vom Ausschuss in Bayern Erhellendes zu erwarten?

Florian Ritter: Das hoffe ich doch. Der Bundestag kann bei vielen konkreten Fragen gar nicht so in die Tiefe gehen, wie es nötig wäre. Beispielsweise wenn es die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Ermittlungsbehörden betrifft. Ein bayerisches Beispiel: Der Verfassungsschutz hat über Monate hinweg den Mordermittlern Hintergrundinformationen über rechtsextremistische Strukturen, Strategien und Gewaltpotential verweigert und am Ende eine nichtssagende Namenliste geliefert. Mehr hieß es, sei aus Datenschutzgründen nicht möglich. Warum der Verfassungsschutz so gehandelt hat, sei nicht mehr nachvollziehbar, da die internen Aufzeichnungen bereits vernichtet wurden. Hier müssen wir tiefer forschen, als das der Untersuchungsausschuss in Berlin kann.

antifa: Wo liegen die für einen Untersuchungsausschuss in Bayern besonders interessanten Felder?

Florian Ritter: Nach wie vor geht es um detaillierte Informationen zur Entwicklung des »Thüringer Heimatschutzes«, um die Gründung des »Fränkischen Heimatschutzes«, überhaupt um Erkenntnisse über die Zusammenarbeit von Nazigruppen in Thüringen und Bayern. Und stets um die Frage: Was wusste der Verfassungsschutz und wie ist er damit umgegangen? Im Grunde genommen hat Innenminister Herrmann schon im Februar den Offenbarungseid geleistet, als er gegenüber der Presse zugab, dass die Staatsregierung die Gefährlichkeit des Rechtsextremismus unterschätzt hat. Dennoch wird bis heute diese Gefährlichkeit klein geredet. Nicht unbedingt in Bezug auf den einen oder anderen konkreten Fall, wohl aber, wenn es um die Strukturen hinter solchen Fällen geht.

antifa: Auf jede der bisher öffentlich gewordenen »Pannen« reagierten der Bundesinnenminister und andere Verantwortliche mit dem Ruf nach mehr Zentralisierung. Also einer engeren Verzahnung von Geheimdiensten und Ermittlungsbehörden.

Florian Ritter: Es lag doch nicht am verfassungsgemäßen Trennungsgebot, dass der Verfassungsschutz den Ermittlungsbehörden Informationen über Strategien und Gewaltpotential vorenthalten hat. Ebenso falsch wie die Attacke auf das Trennungsgebot ist auch der Ruf nach Ausweitung polizeilicher Befugnisse oder weiterem Abbau des Datenschutzes. An Ermittlungsbefugnissen hat es nicht gemangelt: es wurden tausende Kontobewegungen und Reisedaten abgeglichen. Von Providern wurden Millionen Handydaten abgefragt. Also das ganze Programm. Der grundlegende Mangel aber war: Sich vorstellen zu können, dass die Morde an zehn Menschen ausländischer Herkunft etwas mit Ausländerfeindlichkeit zu tun haben könnten – das lag den meisten Ermittelnden fern.