Kein »Befehlsnotstand«

geschrieben von Ernst Antoni

5. September 2013

Urteil im Scheungraber-Prozess setzt wichtige Zeichen

Sept.-Okt. 2009

Elf Monate hat der Prozess gegen den einstigen Wehrmachtsleutnant und Gebirgspionier-Kompanieführer Josef Scheungraber gedauert. Viele, die sich engagiert hatten für dieses Verfahren (und dafür, dass noch weitere NS- und Kriegsverbrecher zur späten Verantwortung gezogen werden) waren lange skeptisch: »Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen ist für die deutsche Justiz kein Ruhmesblatt. Von etwa 106 000 Beschuldigten wurden nur 167 Täter zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt.« (Süddeutsche Zeitung).

Am 11. August 2009 nun der Urteilsspruch des Münchner Schwurgerichtes: Lebenslange Haft wegen Mordes und Mordversuchs an italienischen Zivilisten. Ausdrücklich betonte das Gericht die Völkerrechtswidrigkeit der »Vergeltungsmaßnahmen« in der Toskana, für die Joseph Scheungraber in Italien 2006 in Abwesenheit zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt worden war. Eine Strafe, die er nie abzusitzen gedachte. Es habe auch, so das Gericht in München, kein »Befehlsnotstand« vorgelegen, auf den der Angeklagte sich berufen könnte.

Gerade jener »Befehlsnotstand« war es, den NS- und Wehrmachtsverbrecher und ihre Verteidiger vor bundesdeutschen Gerichten jahrzehntelang mit Erfolg gelten machen konnten – fanden sich doch lange Zeit Richter mit viel Verständnis für derlei »Notstände«. Nicht selten selbst einst verstrickt ins Nazi-Justizsystem mit seinen Mordurteilen, half das »Befehlsnotstand«-Konstrukt auch beim Reinigen der eigenen Biographie. Spät, aber noch nicht zu spät, setzte ein Gericht nun andere Zeichen.

»Im Münchner Gerichtssaal sitzen viele alte Kameraden Scheungrabers, nun rüstige bundesdeutsche Rentner«, berichtete Spiegel-online. »Wo sie am Anfang noch frohgemut winkten und Siegergesten in Richtung des Angeklagten machen, ist plötzlich Ruhe eingekehrt. ‚Ein skandalöses Urteil‘, sagt Verteidiger Goebel.«. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig; die Verteidigung hat Revision eingelegt.

Sehr verkürzt zitierte die örtliche Presse Ernst Grube, KZ-Überlebender und Landessprecher der VVN-BdA Bayern, der bei einer Mahnwache vor dem Gerichtsgebäude sprach: »Die Verbrechen müssen gesühnt werden, die Mörder müssen hinter Gitter. Das hier ist nur eine Etappe.« Er hatte zudem ausgeführt: »Das Dorf Falzano de Cortona in der Toskana wurde von der deutschen Wehrmacht dem Erdboden gleich gemacht. Vernichtet wurde nicht nur dieses Dorf. Es gab viele vergleichbare – in Italien, in Griechenland und andernorts. Es kann nicht genügen, dass an solchen Orten heute deutsche Botschafter ihr Bedauern ausdrücken. Die Wahrheit muss überall ans Licht kommen. Dazu hat dieser Prozess beigetragen. Und es muss das Mindeste sein, dass die Hinterbliebenen eine Entschädigung bekommen.«