Kein Ruhmesblatt

geschrieben von Hans Canjé

5. September 2013

Bundestagsmehrheit verweigert kommunistischen Widerständlern weiter die
Ehre

Jan.-Feb. 2011

»Kommunistinnen und Kommunisten gehörten während der Nazidiktatur zu den aktivsten Widerstandskämpfern; sie wurden in den Konzentrationslagern geschunden, gequält und ermordet. Es gab und gibt keinerlei Grund, Menschen aus dieser Opfergruppe eine Entschädigung vorzuenthalten.« Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen

»Es gilt endlich anzuerkennen, dass die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik Deutschland eben nicht nur eine Erfolgsgeschichte war. Im Gegenteil: Klären wir auf, wie sich die Täter einrichteten, die für tausendfachen Mord verantwortlich waren, und gedenken wir der Opfer und derer, die mutig Widerstand leisteten – egal, ob sie Kommunisten, Sozialdemokraten oder Konservative waren.« Jan Korte, Fraktion Die Linke

Eine Sternstunde der obersten Volksvertretung dieses Landes war das nicht, was da in den späten Abendstunden des 11. November 2010 im Berliner Reichstag ablief. Es war nicht einmal eine Stunde; es war der bloße, vielleicht 30 Sekunden währende Aufruf des Tagesordnungspunktes 14 Antrag der Fraktion Die Linke: »Widerstand von Kommunistinnen und Kommunisten gegen das NS-Regime anerkennen«. (Drucksache 17/2201) Dazu die Anmerkung des amtierenden Präsidenten, dass der Antrag zur weiteren Beratung an diverse Ausschüsse weitergeleitet wird. Schluss. Nächster Punkt. Thema abgehakt, auf die lange Bank geschoben. Als der Tagesordnungspunkt aufgerufen worden war, hatten die Fraktionsvertreter ihre Redebeitrag vorweg schon zu Protokoll gegeben.

Das Thema hätte eine Aussprache wohl verdient. Ging es doch um den Widerstand gegen den Faschismus, und um die Bekräftigung: Wer ihn geleistet hat, der hat sich, wie es im Bundesentschädigungsgesetz (BEG) steht, Verdienste um das deutsche Volk erworben. Es ging um die Unteilbarkeit dieses Widerstandes und darum, dass es keine Ausgrenzung geben darf. Darum der Antrag der Linksfraktion: »… durch eine öffentliche Geste die Zugehörigkeit der deutschen Kommunistinnen und Kommunisten zum Erbe des Widerstandes gegen das NS-Regime zum Ausdruck zu bringen und damit eine Rehabilitierung der als Kommunistinnen und Kommunisten von den Leistungen nach dem BEG ausgeschlossenen Menschen vorzunehmen.«

Die Vertreter von CDU/CSU, FDP und SPD, (letzterer allerdings nicht so infam in der Diktion des finsteren Kalten Krieges wie die schwarz-gelben Koalitionäre) verweigern diese Geste und die geforderte Rehabilitierung. Es gibt, so das Ergebnis der ersten Lesung des Links-Antrages, kein Pardon für Karl Schabrod, für die Brüder Kurt und August Baumgarte, für Doris Maase und Martha Hadinski. Die fünf Namen stehen hier stellvertretend für viele Betroffene, die als Mitglieder der KPD unter Einsatz ihres Lebens Widerstand gegen das faschistische Regime leisteten. Von den 147 Monaten, die das »tausendjährige Reich« währte, hat Schabrod 143 Monate in Haft verbracht. Für jeden Monat Haft erhielt er fünf Mark »Entschädigung«.

Eine Folge des nach 1945 in der Alt-BRD bald einsetzenden »fast religiöse Züge annehmenden Antikommunismus« (Jan Korte von der Linksfraktion in der Begründung des Antrags) war die Änderung des BEG. Damit wurde denen die Entschädigung für in den Jahren der Verfolgung erlittenes Leid und Unrecht aberkannt, die nach dem 23. Mai 1949 »die freiheitlich-demokratische-Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes« bekämpft haben. Das ging gezielt gegen die Kommunisten, deren Partei, die KPD, am 17. August 1956 verboten wurde. Der Kommunist Karl Schabrod, der zu den Kommunalwahlen im Herbst 1958 als unabhängiger Kandidat antrat, machte sich so im Sinne des BEG schuldig. Im Juli 1959 war er wegen Zuwiderhandlung gegen das KPD-Verbot zu neun Monaten Gefängnishaft verurteilt worden. Damit wurde ihm auch die Eigenschaft als NS-Verfolgter abgesprochen, was verbunden war mit der Streichung der Opferrente für zwölf Jahre faschistischer Verfolgung. Martha Hadinski und Doris Maase mussten gar bis dahin erhaltene Leistungen zurückzahlen.

Das Protokoll dieser Bundestagssitzung ist ein erschütterndes Dokument des fortwährenden Ungeistes des Antikommunismus. Man lese nur die Erklärung z. B. des CDU-Abgeordneten Klaus Peter Willich (CSU). Die Linke solle »endlich ihren ideologischen Ballast abwerfen« und: »Belästigen sie nicht immer wieder dieses Haus mit ihrer kommunistischen Traditionspflege.« Der Antrag und die gestellten Forderungen seien abzulehnen, so Bettina Kudla (CSU), die das Versagen der Wiedergutmachung als »ein klares Bekenntnis zu unserer freiheitlich-demokratischen-Grundordnung« bezeichnete. Von »angeblichen Ungerechtigkeiten« sprach Stefan Ruppert (FDP) und nannte es richtig, dass diejenigen Kommunisten, »die von einem in den anderen Totalitarismus wollen, keine Entschädigung nach dem BEG erhalten.«

So bleibt nach diesem 11. November der Satz fortzuschreiben, den Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen, an den Beginn seines Redebeitrag gestellt hat: »Die Geschichte des Entschädigungsrechts für Opfer des NS-Unrechts in Deutschland ist in vielen Bereichen wahrlich kein Ruhmesblatt.«

Kein Ruhmesblatt

geschrieben von Hans Canjé

5. September 2013

Die Berliner Topographie des Terrors erhält endlich ihren Neubau

Jan.-Feb. 2008

Die offiziellen Vertreter der Bundesregierung und des Landes Berlin waren gut beraten, dass sie am 2. November 2007 an Anlass des ersten Spatenstiches zum Neubau eines Dokumentationszentrums für die Berliner Stiftung Topographie des Terrors auf Gelände Wilhelm-/Ecke Niederkirchnerstraße, nahe dem Abgeordnetenhaus, nur in kleiner Besetzung erschienen waren. Aus guten Gründen verzichteten sie auch auf das übliche Wortgeprassel, das ansonsten bei Veranstaltungen dieser Art zu hören ist. Der Rückblick auf die Nachkriegsgeschichte dieses Ortes, auf die »unendliche Geschichte« der Verschleppung der Pläne für einen Neubau eines würdigen Dokumentationszentrums an dieser Stelle ist alles andere als ein Ruhmesblatt in der Geschichte bundesdeutscher Erinnerungskultur und Bereitschaft, sich mit den Verbrechen des deutschen Faschismus auseinander zu setzen.

Hier hatten die Terrorinstitutionen des deutschen Faschismus, die Geheime Staatspolizei (Gestapo), der Reichsführer SS mit seinem Stab und den SS-Führungsämtern, der Sicherheitsdienst (SD) der SS und ab 1939 auch die Zentrale des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) ihren Sitz. Hier standen die Schreibtische der Planer und Exekutoren des Terrors gegen den »inneren Feind«, der Verfolgung Deportation und Ermordung der europäischen Juden, der Sinti und Roma, der sowjetischen Kriegsgefangenen, der Einsatzgruppen gegen die Zivilbevölkerung in den überfallenen Ländern Europas. Hier befand sich auch das berüchtigte Hausgefängnis der Gestapo. »Es gibt in Europa keinen vergleichbaren Ort, an dem sich die Bürokratie des Massenverbrechens in solcher Weise konzentriert«, hatte darum auch der Internationalen Beirat der Stiftung am 17. Mai 2004 zum historischen Rang der Topographie erklärt. Hinzugefügt war: »Viele der führenden Funktionäre dieser Institutionen sind nach 1945 nicht bestraft worden, sondern konnten erfolgreich eine zweite Karriere durchlaufen.«

Zu lesen war diese bittere Feststellung in einer Reaktion auf den wenige Tage zuvor erfolgten Amtsrücktritt des Wissenschaftlichen Direktors der Stiftung, Prof. Dr. Reinhard Rürup. Es sei festzustellen, »dass die Politik des Bundes- wie auf Landesebene der Bedeutung der ›Topographie des Terrors‹ seit einer Reihe von Jahren nicht mehr gerecht geworden ist. Obwohl das Interesse der nationalen und internationalen Öffentlichkeit unübersehbar ist« hatte Rürup zur Begründung seines aufsehenerregenden Schrittes erklärt.

Dank dafür, dass dieses geschichtsträchtige Gelände vor rund 25 Jahren überhaupt in das öffentliche Gedächtnis gerückt worden ist, gebührt engagierten Bürgern vor allem aus dem Umfeld des 1983 gegründeten Vereins »Aktives Museum Faschismus und Widerstand«, der dafür vom Berliner Staatsschutz mit besonderem Misstrauen beobachtet worden war. Mit zum Teil spektakulären Aktionen, etwa der Freilegung vom Mauerresten der einstigen SS- und Gestapozentrale am 5. Mai 1985 oder einer symbolischen Grundsteinlegung für den Neubau vor dem als »Provisorium« errichteten Informationspavillon machten er auf die »schwärende Wunde« aufmerksam. Am 8. Mai 1995 wurde dann tatsächlich offiziell der Grundstein gelegt. Die Bauarbeiten auf der Grundlage eines Entwurfs der Schweizer Architekten Zumthor begannen, wurden bald wieder eingestellt. Die Natur holte sich das Gelände zurück

Nun wird gebaut. Am 8. Mai 2010, dem 65. Jahrestag der Befreiung soll der Neubau aus Glas und Stahllamellen mit Dokumentation, Bibliothek und Seminarräumen fertig sein. Dank der modernen Technik ist das tägliche Baugeschehen im Internet (www.topographiedesterrors.de) zu verfolgen. Nach all den trüben Erfahrungen der vergangenen Jahre ist die kritische Begleitung des Baugeschehens aus vielerlei Gründen wohl weiterhin angebracht. Denn, so der Geschäftsführende Direktor der Stiftung, Prof. Dr. Andreas Nachama im Gespräch mit antifa, die Topographie »ist ein Ort, an dem eine Frage gestellt wird, die sonst nirgendwo in der Republik gestellt wird. Die Frage nach den Tätern. (…) Es geht tatsächlich darum, mehr Aufklärungsarbeit zu leisten. Dazu braucht man die Topographie und ihre Fragestellungen: Wie war das möglich?«