Memories of Heidelberg…

geschrieben von Ernst Antoni

5. September 2013

Vom seltsamen Revival eines alten Chores

Nov.-Dez. 2009

»Ich muss niemand anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig kleine Kopftuchmädchen produziert«, hat Thilo Sarrazin unter anderem gesagt. Zumindest das mit dem »Produzieren von kleinen Kopftuchmädchen« ist Rassismus in Reinkultur. Das Wörtchen »ständig« steht in solchem Kontext sowohl für sexuelle Unbeherrschtheit als auch für das, was Neonazis und andere ganz Rechte gerne »Überfremdung« nannten und nennen.

Ein bräunliches »Theorie«-Papier zu diesem Thema hieß in den frühen 80er-Jahren »Heidelberger Manifest«. Einschlägig bekannte und einige bis dahin öffentlich noch nicht so in Erscheinung getretene Professoren malten darin eine »Unterwanderung unseres Volkes« durch Fremde an die Wand. Eine Mischung aus dumpfen Ressentiments, Bedrohungsszenarien und Appellen an niedrige Instinkte, die sich letztlich als durchaus effektiv erwies. Trug sie doch dazu bei, dass schließlich das im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland nach den Erfahrungen mit dem NS-Faschismus relativ großzügig definierte Asylrecht de facto weitgehend abgeschafft wurde.

Illuminiert wurde die Vorbereitung dieser legislativen Maßnahme damals durch brennende Ausländerunterkünfte, an die nicht immer nur ausgewiesene Neonazis die Lunte gelegt hatten. In feineren Kreisen gab es ob der Brandgerüche ab und an ein Naserümpfen, verächtlich sprach man vom »Stammtisch«, der sich da Diskurs- und Handlungshoheiten erobert habe. An den konkreten politischen Auswirkungen hatte man weniger auszusetzen.

Vom »Stammtischplauderer von der Bundesbank Thilo Sarrazin« schrieb nun ein Kommentator in einer sich selbst nicht an solchen Tischen verortenden liberalen Tageszeitung: Der Bundesbank-Spitzenmann Sarrazin wurde in diesem Artikel zum leicht durchgeknallten Filialleiter einer Kreissparkasse verniedlicht. Entsetzte öffentliche Reaktionen auf dessen rassistische Töne, wie sie etwa vom Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, spontan geäußert worden waren, seien deshalb völlig unangemessen gewesen.

Sarrazin waren da schon prominente Fürsprecher aus unterschiedlichen Ecken beigesprungen, die unisono meinten, man müsse solche Sachen wie die mit der Kopftuchmädchen-Produktion »doch noch sagen dürfen«, ohne gleich von den »Gutmenschen« ins rechte Schmuddeleck gestellt zu werden. Wenn es gegen Muslime geht, singen im »Überfremdungs«-Chor inzwischen Leute mit, die einst ganz andere Lieder anstimmten. Memories of Heidelberg und ein seltsames Revival.