Mord vor der Haustür

geschrieben von Tanja Girod

5. September 2013

Stadtspaziergang zum Gedenken an den Altonaer Blutsonntag

Sept.-Okt. 2012

Am 17. Juli 1932 endete ein Propagandamarsch der NSDAP in Hamburg in einer Straßenschlacht mit Schießerei. Während dieses Vorfalls starben 18 Menschen. Zwei SA-Leute und 16 Anwohner der Altonaer Altstadt starben im Kugelhagel der Polizei.

Der diesjährige Stadtteilspaziergang wurde unter anderem dokumentiert unter www.graswurzel.tv/p213.html

Besonders empfehlenswert ist das Buch des Historikers Léon Schirmann: Justizmanipulationen, Der Altonaer Blutsonntag und die Altonaer bzw. Hamburger Justiz 1932-1994. Typographica Mitte, Berlin 1995 ISBN 3-929390-11-6

Vor 80 Jahren marschierten 7000 bis 8000 SA-Männer von Musikkapellen begleitet durch das Hamburger Gängeviertel.

Der Widerstand der proletarischen Anwohner gegen diesen Aufzug eskalierte, die Polizei verlor die Kontrolle über die Situation und bürgerkriegsähnliche Zustände setzten ein, in deren Verlauf die Polizei mit scharfer Munition aus Karabinergewehren willkürlich auf Häuserwände und Fenster schoss, da sie auf den Dächern Schützen vermutete. Insgesamt 5000 Kugeln sollen beim Hamburger Blutsonntag abgefeuert worden sein. Nachdem über 90 Anwesende verhaftet wurden, die noch unter Weimarer Justiz wieder freigelassen werden mussten, wurden ein Jahr später die vier Kommunisten Bruno Tesch (19), Walter Möller (26), Karl Wolff (21) und August Lütgens (34) von einem Altonaer Sondergericht zum Tode verurteilt und hingerichtet. Sie waren die ersten Justizopfer des Nationalsozialismus. Als angebliche kommunistische Rädelsführer und Mörder sind sie heute juristisch rehabilitiert, doch erst 1992 wurde das Urteil aufgehoben, nachdem die Recherchen des Historikers Léon Schirrmann gefälschte Obduktionsberichte und Zeugenaussagen ans Licht gebracht hatten. An sie und die 16 weiteren Toten, die zum Teil als Zuschauer ihr Leben gelassen haben, wird bis heute von Antifaschisten erinnert.

Dieses Jahr wurde der 80. Jahrestag des Blutsonntags begangen, nächstes Jahr wird das revidierte Urteil 80 Jahre alt.

Am 17. Juli nahmen mehr als 300 Interessierte an einem antifaschistischen Stadtteilspaziergang durch den Hamburger Stadtteil Altona teil. Er wurde von der Altonaer VVN BdA veranstaltet. Die 300 Teilnehmer waren gemischt, Passanten, Anwohner, interessierte Junge und Alte.

»Ich war zum ersten Mal auf der Gedenkveranstaltung. Ich wohne schon mein halbes Leben hier und ich wusste, dass der Hamburger Blutsonntag vor meiner Haustür stattgefunden hat. Ich wusste, dass es Tote gegeben hat. Jetzt weiß ich, wo sie genau gestorben sind und wie der Tumult aufkam, der in der Schießerei geendet hat. Ich würde mich schon zum links-ökologischen Spektrum zählen, ich bin nicht so radikal, wie die Leute damals hier, aber gegen Nazis bin ich natürlich auch. Es ist gut, wenn die Geschichte nicht vergessen wird und nur noch in Büchern nachgelesen werden kann. Fehlurteile müssen revidiert werden, klar, aber vor allem dürfen wir nicht vergessen, dass Faschismus nicht nur im KZ und im Zweiten Weltkrieg stattgefunden hat, sondern, dass er hier, wo wir wohnen begonnen hat. Dass es Leute gab, die sich damals schon gewehrt haben und Leute, die nur zugesehen haben. Die Veranstaltung war sehr gut, es wurden Szenen von damals nachgestellt, wir waren an allen wichtigen Punkten des damaligen Geschehens. Jetzt kann ich mir genau vorstellen, wie es gewesen ist. Nächstes Jahr komme ich wieder.«