Öffentlichkeit tut Not

geschrieben von Gerd Wiegel

5. September 2013

Der Bundestag untersucht mit parlamentarischen Mitteln die NSU-Morde

Juli-Aug. 2012

Die Fragen der Untersuchungskommissionen » nach versäumter Überwachung, nach Fahndungspannen« usw. würden »so weit aufgeblasen…, dass die Frage nach Entstehung, Unterstützern und Eskalationen verschwindet« und das Ganze abgetrennt wird vom Zustand der Gesellschaft; so der Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer (»Deutsche Zustände«) am 4. Juni in einem Interview zu den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen in der Frankfurter Rundschau.

Die weit über 100 Beweisbeschlüsse können, wie alle anderen Infos zum PUA, unter http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/ua/2untersuchungsausschuss/index.jsp eingesehen werden

Seit Februar 2012 arbeitet der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) des Bundestages zur Nazimordserie und Ende April begannen die Zeugenvernehmungen und damit die eigentliche Beweisaufnahme. Zahlreiche bemerkenswerte Details ergaben sich aus den bisherigen Vernehmungen und fügen sich zu einem ersten Bild, das die Frage beantworten soll, warum die schlimmste rassistische Mordserie eines Nazitrios in der Geschichte der Bundesrepublik nicht als solche erkannt wurde.

Vier Untersuchungskomplexe hat sich der Ausschuss für seine maximal bis Frühjahr 2013 dauernde Arbeit vorgenommen: (1) Die extreme Rechte von 1992-1997 als Vorlauf und Hintergrund der Zwickauer Zelle; (2) 1998-2000: Herausbildung der Zelle und Abtauchen; (3) 2000-2007: Die Mordserie und die Bombenanschläge; (4) 2007-2011: Zeit bis zur Aufdeckung des NSU. Die Zeugenvernehmungen haben mit dem Komplex drei, der Mordserie begonnen, d.h. Ermittlungsbehörden aus allen Tatortländern werden vom Ausschuss befragt.

Mit den Stimmen aller Fraktionen wurde der Untersuchungsausschuss des Bundestages eingesetzt und bis heute ist die Ausschussarbeit von einer großen Übereinstimmung gekennzeichnet – ganz im Gegensatz zum sonstigen Umgang in Untersuchungsausschüssen. Wem diese ›Harmonie‹ als Ausweis eines allgemeinen Willens zur Vertuschung erscheint, urteilt zu schnell, denn die umfassenden Beweisbeschlüsse die bisher im Konsens aller Fraktionen gestellt wurden, ermöglichen zumindest theoretisch weite Einblicke in alle Facetten der Arbeit der Sicherheitsbehörden. Als Folge dieser Beweisbeschlüsse wird der Ausschuss mit Akten geradezu überschwemmt. Weit mehr als 50.000 Seiten Material dürften inzwischen vorliegen und die Kunst wird es sein, die entscheidenden Hinweise aus dieser Flut herauszufiltern.

Da ist z.B. der Hinweis auf die Spur 195. Unter dieser Bezeichnung liefen die Ermittlungen die im Frühjahr 2006, nach den Morden 8 und 9 in Dortmund und Kassel begonnen wurden. Sie beziehen sich auf eine »Operative Fallanalyse« aus Bayern – dem Sitz der hauptsächlich ermittelnden BAO Bosporus – die nach sechs Jahren verfehlter Ermittlungen in Richtung Organisierte Kriminalität eine neue Ermittlungsrichtung vorgab. Die Fachleute aus Bayern gingen jetzt eher von einem Einzeltäter aus, der aus »Türkenhass« handle und Bezüge zur rechten Szene haben könnte. Mindestens Teile dieser Fallanalyse lesen sich wie eine Beschreibung von Mundlos und Böhnhardt. Jedoch fand diese alternative Fallanalyse jenseits der Ermittler in Bayern wenig Zustimmung, ja wurde von Seiten des BKA und der anderen Bundesländer geradezu bekämpft. Und auch in Bayern ging man diesem Ansatz nicht mit dem Nachdruck nach, wie es geboten gewesen wäre. Im Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern und auch durch das völlige Versagen des Landesamtes für Verfassungsschutz Bayern, die Hinweise in Richtung extreme Rechte zu untermauern, verschwand dieser Ansatz nach einem halben Jahr wieder in der Versenkung.

Immer wieder hat es an einzelnen Tatorten Hinweise in Richtung extreme Rechte gegeben. Zwar waren diese, wie wir heute wissen, im Konkreten nicht richtig aber sie wurden nicht einmal als Ermittlungsrichtung ernst genommen. Ganz anders war es da mit allen Hinweisen, die die Täter im Umfeld der Opfer selbst vermuteten. Hier wurde jedem noch so obskuren Hinweis mit aller Akribie nachgegangen.

Es muss jetzt darum gehen, Gründe zu ermitteln, warum die Sicherheitsbehörden die Gefahr von rechts so systematisch heruntergespielt haben und Vorschläge zu machen, wie diese Gefahr von rechts zukünftig stärker und präventiv in den Blick genommen werden kann. Nach der Vernehmung der Verfassungsschützer aus Bayern und nach den Erkenntnissen des Schäfer-Berichts aus Thüringen sollte dem Letzten klar werden, dass der Verfassungsschutz hier Teil des Problems und nicht der Lösung ist.

Um von einer Bestandaufnahme zu gesellschaftspolitisch verändernden Lösungen zu kommen, bedarf es einer kritischen Begleitung der Arbeit der Untersuchungsausschüsse. Hier müssen sich Antifaschistinnen und Antifaschisten vernehmbarer mit konkreten Forderungen bemerkbar machen und die Schlussfolgerungen aus den NSU-Morden nicht allein dem Parlamentsbetrieb überlassen.