Spannend wie kein Krimi

geschrieben von Hans Canjé

5. September 2013

Entbräunte Geschichte unter der Lupe – nicht Hitler, ein Dämon
kam über uns

Jan.-Feb. 2010

Kurt Finker: Der Dämon kam über uns. Faschismus und Antifaschismus in der Geschichtsschreibung Westdeutschlands (1945-1954) Herausgegeben von Friedrich-Martin Balzer mit einem Geleitwort von Otto Köhler. Pahl-Rugenstein Bonn, 385 Seiten, EUR 24,90

Die Untersuchung des Potsdamer Historikers Kurt Finker über Faschismus und Antifaschismus in der Geschichtsschreibung Westdeutschlands beschränkt sich auf die Jahre 1945 bis 1954. Manches von dem, was er da zusammengetragen hat an Verdrängung der Verbrechen des Hitlerfaschismus, der Entlastungsbemühungen der Komplizen des Regimes, des fast völligen Verschweigens des Widerstands vor allem der Kommunisten bei gleichzeitiger Glorifizierung des Attentats vom 20. Juli 1944 als »Leuchtpunkt des Widerstandes«, ließe sich mühelos fortschreiben bis in die heutige Zeit. Um ein jüngstes Beispiel zu nehmen: Anlässlich des 100. Geburtstages der langjährigen Herausgeberin der Wochenzeitung »Die Zeit, Marion Gräfin Dönhoff, wurde ihr im Feuilleton der Zeitung »Neues Deutschland« ein »fast kreatürlicher Abwehmechanismus gegen Demagogie«, eine »sanfte Gedankensturheit wider das Ideologische« attestiert – herrührend von »den Kreisen des hochherrschaftlichen Widerstandes«.

Nun nehme ich Finkers »Der Dämon kam über uns« zur Hand und lese auf Seite 310 eine Passage aus der im Juni 2004 veröffentlichen Publikation »Es war kein Aufstand des Adels«, was es auf sich hatte mit dem »kreatürlichen Abwehrmechanismus« und dem »hochherrschaftlichen Widerstand«.. »Eine Stichprobe aus 120 Adelsfamilien förderte ca. 3 600 adlige NSDAP-Mitglieder zutage. Nur sehr wenige Familien des alten preußischen Adels hatten sich dem allgemeinen Strom in die NSDAP, der SS, und selbst in die kleinbürgerlich-proletarische SA verschlossen.« (52 davon aus dem Hause Schwerin, 34 Bismark, 70 Osten, 41 Schulenberg usw. usw.)

Das Beispiel will nicht gegen die verstorbene Gräfin stehen. Nur: Der 20. Juli war kein »Aufstand des preußischen Adels«, wie es Frau Dönhoff und, Finker führt ihn hier an, einst auch Theodor Heuß kolportiert hatte, der 1933 durch die Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz Hitler mit in den Sattel verholfen hat. 1949 wurde er in der »entbräunten« BRD zum ersten Bundespräsidenten gewählt.

Herausgeber Friedrich-Martin Balzer nennt im Vorwort die vorliegende Publikation zu Recht eine »lesenswerte Einführung in die verdrängte Geschichte der postfaschistischen Gesellschaft Westdeutschlands bis 1954« und ein »Kompendium, das als Übersichts- und Nachschlagwerk ebenso nützlich ist wie als Fundus für Quellen und Zitate«. Bei der Quellensuche konnte sich Finker auf eine Fülle etwa von Memoirenliteratur von Hitlers Generalen stützen, die, kaum dass sie kapituliert hatten, mit der Feder »verlorenen Siegen« nachtrauerten. Durch ausführlich Zitate und die über 800 Anmerkungen kann sich der Leser selbst sein Bild davon machen, wie sich die Durchhaltegenerale als Widerstandskämpfer gerierten oder nur mitgemacht hatten, um Schlimmeres zu verhindern, oder aber Heldenlieder sangen nach dem Motto »Ihr waret die besten Soldaten der Welt«. Antifaschistische Autoren wie Wolfgang Langhoff oder Günther Weisenborn wirken da wie einsame Rufer in der Wüste.

Der Autor lässt auch seine Zunftgenossen, die Historiker der frühen BRD, nicht ungeschoren. Hervorgehoben hier Walter Görlitz. Den hatte bald nach 1945 die Sorge um die nicht hinreichend gewürdigten Verdienste des »preußischen Dienst- und Schwertadels« umgetrieben. Über Jahre hinweg schrieb er sich u.a. in der Hamburger »Welt« die Finger wund. Fast alle Schreiber dieses Geistes vereinte die Abneigung gegen den Arbeiterwiderstand, weshalb er auch fast total ignoriert oder, so es die Kommunisten betraf, diffamiert wurde.

Nach der Lektüre all dessen, was da von Finker (in dem drucktechnisch nicht sehr augenfreundlichen Werk) sparsam kommentiert zusammen getragen ist, sollte der Leser noch einmal auf die Einleitung von Otto Köhler zurück kommen. Da wird ihm dann anhand auch gegenwärtiger Entäußerungen ein Licht angezündet: All das, was der deutsche Faschismus über die Welt gebracht hat, war das Werk von Dämonen. Die behielten da, wo das Gute mit dem Bösen rang, die Oberhand. Hitler unterlag den »Einflüsterungen« des Dämons und so geriet schließlich das Volk auch in dessen Griff. Das jedenfalls ist in einem im Jahre 2005 veröffentlichen Werk des Bundesverfassungsrichters Udo di Fabio zu lesen. Otto Köhler ist unbedingt zuzustimmen: »Finkers Buch ist spannend wie kein Krimi.«