Tolerant und gradlinig

geschrieben von Conrad Taler

5. September 2013

Am 27. August jährt sich Alfred Haussers Geburtstag zum hundertsten
Male

Juli-Aug. 2012

Veranstaltung in Stuttgart

Zur Gedenken an Alfred Haussers 100. Geburtstag findet am 2. September im Lichthof des Stuttgarter Gewerkschaftshauses eine Matinee-Veranstaltung statt. Zur Erinnerung an den Stuttgarter Widerstandskämpfer und aktiven Antifaschisten wird u.a. der DGB Vorsitzende von Nord -Württemberg Nico Landgraf eine Rede halten. Die musikalische Umrahmung übernehmen Mitglieder der Songgruppe »Die Marbacher«.

Organisiert wird die Veranstaltung von der Bundesvereinigung der VVN, der Landesvereinigung Baden-Württemberg, der Kreisvereinigung Stuttgart und dem DGB Nord-Württemberg.

Im September erscheint im Kölner PapyRossa Verlag Conrad Talers neues Buch »Skandal ohne Ende – Deutscher Umgang mit dem Rechtsextremismus«; darin enthalten ist ein ausführliches Porträt des Antifaschisten Alfred Hausser.

Als ich Alfred Hausser 1994 in Stuttgart besuchte, um ihn für eine Rundfunksendung zu interviewen, war er 82 Jahre alt. Zwei Tage lang saß er mir hellwach gegenüber. Was er sagte, hatte Hand und Fuß. Komplizierte Sachverhalte beschrieb er mit einfachen Worten. Von Selbstmitleid keine Spur, eher von Selbstironie und Gelassenheit, überstrahlt von einem nie versiegenden Optimismus. Rasch war mir klar, einen außergewöhnlichen Menschen vor mir zu haben. In meiner Sendung hieß es über ihn: »Seine Freunde rühmen seine niemals erlahmende Hilfsbereitschaft und menschliche Wärme, seine undogmatische Gradlinigkeit und seine Toleranz.«

Für Alfred Hausser war die Toleranz »eines der großen Erlebnisse aus der Haft«. Sie ebnete ihm den Weg zu anderen Menschen. Dass er Kommunist war, hat er niemals verschwiegen. Auch nicht vor der Nazijustiz, die ihn wegen seiner politischen Gegnerschaft zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilte. Die meiste Zeit verbrachte er in Einzelhaft mit Sprechverbot. Als seine Mutter starb, wurde ihm die Teilnahme an der Beerdigung verweigert.

Um nicht an den Folgen der Isolationshaft zu zerbrechen, suchte der Gefangene nach Literatur, die ihn herausforderte. Er wandte sich den Klassikern zu. Der Mechanikergeselle las Goethes »Faust« und war fasziniert von dem Werk. Er lernte lange Passsagen auswendig. Noch fünfzig Jahre später hatte er sie parat. Ich gestehe – für mich ein bewegender, unvergesslicher Moment.

Nach der Befreiung engagierte sich Alfred Hausser beim Wiederaufbau seiner zerstörten Heimatstadt, immer in der Hoffnung, dass nun in die Tat umgesetzt werden würde, was sich die Nazigegner in der Haft gegenseitig versprochen hatten – gemeinsam eine neue Welt aufzubauen. »Leider ist das alles weithin Theorie geblieben.« Am Ende sei den Antifaschisten in den verschiedenen politischen Lagern die Parteiräson wichtiger gewesen als dieses Versprechen.

Als Alfred Hausser die Amerikaner während des Koreakrieges der Aggression beschuldigte, wurde er zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und landete in derselben Ludwigsburger Haftanstalt, die er von der Nazizeit her kannte. Und er entdeckte unter dem Aufsichtspersonal so manches bekannte Gesicht. Dass die alten Nazis wieder obenauf waren, während ihre Gegner verfemt und verfolgt wurden, empfand er als »himmelschreienden Gegensatz«.

Der »Zusammenbruch des realen Sozialismus« war für den Kommunisten Alfred Hausser eine »herbe, eine schmerzliche Enttäuschung«. Als politische Idee war der Sozialismus damit für ihn aber nicht gestorben. »Das alles beruht doch nicht auf einer Unwahrheit.« Die jetzige Gesellschaftsordnung, »die keine Kriege verhindert, sondern produziert, in der die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird, die kann doch nicht das letzte Wort sein auf die Herausforderung der Geschichte, vor die wir gestellt sind.«

Mit seiner ganzen Lebenserfahrung versuchte er Wissenslücken bei jungen Menschen zu schließen. Wenn man eine oder zwei Generationen unwissend über die NS- Zeit ins Leben entlasse, »dann darf man sich nicht wundern, wenn Rattenfänger einen wohl vorbereiteten Boden finden.« Den zunehmenden Terror der Neonazis vor Augen erklärte er 1993: »Im Gedenken an die Opfer von damals wird heute die demokratische Glaubwürdigkeit daran gemessen, ob wir fähig sind, den Terror gegen Fremde und die Gewalt zu bekämpfen.« Ein Satz, der manchem die Schamröte ins Gesicht treiben müsste angesichts dessen, was seither passiert ist.

1994 wurde Alfred Hausser zum Ehrenpräsidenten der VVN-BdA gewählt. Im Jahre darauf warnte er in einer Rede zum 50. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus: »Es ist wieder Krieg in Europa und anderen Kontinenten, und die Bundeswehr bereitet sich darauf vor, mit zu schießen.« Damals hatte das Bundesverfassungsgericht gerade Auslandseinsätze unter UNO-Mandat sanktioniert. Vier Jahre später beteiligten sich deutsche Soldaten ohne ein solches Mandat am völkerrechtswidrigen Luftkrieg gegen Jugoslawien.

Hatte ein solcher Mann auch ein Privatleben? Zwei Jahre nach der Befreiung aus Nazihaft heiratete Alfred Hausser, aber seine Frau starb bereits drei Jahre später. Die zweite Frau verlor er nach 24jähriger Ehe durch einen Gehirnschlag. Anfang der 1980er Jahre ging er eine neue Verbindung ein, doch nach vier Jahren verlor er auch diese Gefährtin. Die letzte Etappe seines Lebens verbrachte er an der Seite von Ilse Werner, seiner langjährigen Sekretärin, die uns während der Stuttgarter Begegnung mit schwäbischen Köstlichkeiten aus Küche und Keller verwöhnte. Alfred Hausser starb am 12. August 2003. Sein Geburtstag jährt sich am 27. August zum hundertsten Male.