Unterwegs-Stationen

geschrieben von Heiner Halberstadt

5. September 2013

Zu deutschen Geschichtsbildern in Ost und West

Sept.-Okt. 2009

Heiner Halberstadt (81) Gewerkschafter, Internationalist und Ratsherr im Frankfurter Römer. Ist heute Mitglied des Ältestenrates der Partei Die Linke.

Aus Anlass des 60igsten Jahrestages des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und der Gründung der DDR hat die Redaktion »antifa« die Publizisten Dr. Wolfram Adolphi, aus der DDR stammend, und Heiner Halberstadt, aus der alten BRD kommend, gebeten, einige Gedanken zur Sicht auf deutsche Geschichtsbilder festzuhalten.

Im Herbst 1946 sprach Kurt Schumacher, der politische Kopf der wiedererstandenen SPD in den Westzonen, auf dem Frankfurter Römerberg. Rund zehntausend Menschen versammelten sich und standen dort umrandet vom Trümmerfeld der ehemaligen Frankfurter Altstadt. In der ihm eigenen scharfen Sprechweise vollzog Schumacher eine eindeutige Abrechnung mit dem Nationalsozialismus; aber auch mit dem deutschen Kapitalismus, der den Faschismus intensiv gefördert und sich am Ende innig mit ihm verschmolzen hatte. Nunmehr, so Schumacher, stehe unabwendbar der Sozialismus in Deutschland auf der Tagesordnung. Dann aber fügte er hinzu: Die große Mehrzahl der Deutschen würde wahrscheinlich Hitler vieles verzeihen, nur nicht, dass er den Krieg verloren habe. Der Beifall zu dieser Redepassage hielt sich in Grenzen. Die meisten Kundgebungsteilnehmer waren Hitler in den Krieg gefolgt, teils als Soldaten, massenhaft aber auch in diversen NS-Organisationen oder mit Zustimmungsbekundungen zum zunächst erfolgreichen Raub- und Unterwerfungskrieg des NS-Regimes. Gleichwohl, am Ende waren die Massen doch von Schumacher begeistert und sangen im Chor »Brüder zur Sonne zur Freiheit …«

Die Furcht, von den Siegermächten in Ost und West zur Verantwortung gezogen zu werden, war – neben dem Nachkriegskampf ums Überleben in Hunger und Kälte – durchaus eine Weile relevant. Umso befreiter reagierte kurze Zeit später der Großteil der Bevölkerung in den Westzonen auf den Beginn des Kalten Kriegs, der ihnen das Gefühl vermittelte, dass sie von den Westmächten jetzt gebraucht und damit von der Mitverantwortung für die Taten des NS-Regimes entlastet würden. Erich Kuby stellte später dazu fest, dass der NS-Slogan: »Deutschland kämpft gegen den jüdisch-plutokratischen Bolschewismus« zwar von den Adjektiven »jüdisch« und »plutokratisch« gereinigt, der Kampf gegen die »bolschewistische Bedrohung« unter Hitler jedoch nach Meinung Vieler wohl doch richtig gewesen sei. Die damit verbundene Ideologie begleitete eine Teilrehabilitierung und Etablierung eines großen Teils der wirtschaftlichen, administrativen und militärischen Trägerschaften des NS-Regimes in die neu entstandene Bundesrepublik Deutschland.

Auf dem Römerberg sprachen kurze Zeit nach Schumacher auch Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl. Sie redeten ebenfalls von der endgültigen Abkehr vom Kapitalismus. Sie plädierten für ein Bündnis aller antifaschistischen und demokratischen Kräfte und für die Aktionseinheit der deutschen Kommunisten und Sozialdemokraten im Kampf für ein neues, friedliebendes Deutschland. Das sollte nach ihrer Auffassung in enger Freundschaft mit der Sowjetunion und mit allen Völkern dieser Erde entstehen. Die Massen waren auch hier begeistert und tausendfach sangen die Kundgebungsteilnehmer »Wacht auf, Verdammte dieser Erde…«

Kurze Zeit danach war ich als Gast im Frankfurter SPD-Büro. Mein Vater, damals Pressesprecher der Hessen-SPD, sprach gerade mit zwei Männern. Er stellte mich ihnen vor und sagte zu mir: »Das sind Genossen aus der Führung der SPD in der sowjetisch besetzten Zone«. Einer der beiden erklärte gerade meinem Vater: »Ich sage dir, Benno, wenn der Genosse Schumacher seine Frontstellung in dieser Weise gegen die Sowjetunion fortsetzt und insbesondere, wenn er in den Westzonen eine eigenständige SPD auf die Beine stellt, dann werden wir uns dem Druck der Kommunisten bei uns, und vor allem dem Druck der sowjetischen Militäradministration, nicht länger widersetzen können. Wir werden in einer so von uns nicht gewollten Einheitspartei vereinnahmt werden und dabei könnte auch die Einheit Deutschlands auf der Strecke bleiben.«

Der das sagte war Erich Gniffke, damals Generalsekretär der Sozialdemokratischen Partei in der sowjetisch besetzten Zone, der andere war Max Fechner, Mitglied des Zentralsausschusses der deutschen Sozialdemokratie mit Sitz in Berlin. Sie reisten beide durch alle drei Westzonen, um für einen Zusammenschluss der SPD aller Besatzungszonen unter einem neu zu wählenden Zentralausschuss in Berlin zu werben.

Stattdessen kam es aber, weitgehend von Schumacher bestimmt, zur Gründung einer eigenständigen SPD in den West-Zonen mit Sitz in Hannover. Es vereinigten sich nicht die beiden traditionellen Arbeiterparteien SPD und KPD, um künftig den Kurs in Deutschland als Klassenpartei zu bestimmen, sondern es gewann ein virulenter, fortdauernder Antikommunismus, gemeinsam getragen von der sich in den Westen integrierenden SPD und von Adenauers CDU. Beide »Volksparteien« wurden zur politischen Trägerschaft des sich wieder fest installierenden Kapitalismus. Das führte zur herrschenden ideologischen Ausrichtung gegen die in den Sowjetkommunismus eingebundene »Ostzone«, die dann zur DDR wurde.

DDR und BRD waren so im globalen Entwicklungsprozess Unterwegs-Stationen. Die tiefgreifende Krise des überkommenen Kapitalismus drängt nunmehr verstärkt nach weiterführenden Alternativen – hin zu einer sozial befriedeten, friedlichen, ökologischen und emanzipatorischen globalen Weltordnung.