Wider den undeutschen Geist

geschrieben von Heinrich Fink

5. September 2013

Zur Erinnerung an die Bücherverbrennung am 10.Mai 1933

Mai-Juni 2013

Die Bücherverbrennungen begannen bereits am 8. März in Dresden, am 12. März in Heidelberg, am 10. April in Düsseldorf, 1. April in Leipzig, 1. April in Wuppertal, 8. März in Pirna, 31. März in Münster, 8. März in Zwickau

Zum Weiterlesen: Werner Treß, »Wider den undeutschen Geist!« Bücherverbrennungen 1933, Berlin 2003, Parthasverlag

Erich Kästner: »In Berlin hatten sich vor der Universität und der Bibliothek Studenten aufgebaut, sahen zum Scheiterhaufen hinüber und kehrten der ›Alma Mater‹ den Rücken. Unter den Standbildern der Gebrüder Humboldt am Haupttor. Sie blickten zackig geradeaus, die Studenten. Hinüber zum Brandenburger Tor wo der kleine ›Teufel aus der Schachtel‹ (gemeint ist Josef Goebbels) schrie und gestikulierte und wo die Kommilitonen die Bücher zentnerweise ins Feuer schippten … Ich habe Gefährliches erlebt, Tödlicheres – aber Gemeineres nicht!«

Bertolt Brecht ging 1952 in seiner Rede auf dem Weltfriedenskongress sehr nüchtern davon aus, dass das Gedächtnis der Menschen für erduldete Leiden erstaunlich kurz sei und dass die Vorstellungsgabe für kommende Leiden fast noch geringer wäre. Es gibt leider bis jetzt keinen Beleg dafür, dass demokratische Verfassungen verhindern können, dass zum Beispiel die Menschenwürde im Kontext der Marktinteressen nach wie vor Börsenwerten unterlegen ist. Nach Brecht ist »Erinnern« unerlässlich, weil im menschlichen Gedächtnis das Verhältnis zur eigenen Geschichte verankert ist. Aber Erinnerung ist laut Brecht zweckgebunden: Sie soll Menschen motivieren »… der Vernunft gegen ihre Feinde beizustehen«.

Die deutschlandweiten Bücherverbrennungen seit März 1933 sind ein unerlässlich wichtiges Datum, um die Erinnerung daran wach zu halten, dass nicht nur zerstörungsfreudige SA-Männer die Bücherverbrennungen organisierten, sondern allerorts zum Beispiel Studentenschaftsführer samt Professoren diese »Volksfeste deutschen Geistes wider alle Vernunft« inszenierten. Ging es doch um die erste öffentliche Demonstration der ebenso fatalen wie grandiosen Selbsttäuschung, der studentischen »arischen Elite«, die privaten Bücherregale, Büchereien und wissenschaftliche Bibliotheken zu säubern von »liberalistisch-zersetzenden Schriften«, die, weil sie das Recht auf »Menschenwürde« im Sinne der Aufklärung allen Geborenen zugestanden und nicht das »arische Blut« der Deutschen als einzig anzuerkennenden Kulturträger und Privileg zur Weltherrschaft akzeptierten oder ausdrücklich bestritten. Woher kam der fanatische Hass – speziell auf Juden – bei dieser Studentengeneration? Der Komparativ »bolschewistisches jüdisches Denken« zählte seit der Oktoberrevolution. In zwölf Jahren Schulbildung unter dem Hakenkreuz spiegelte sich diese Überzeugung bis in Schulaufsätze und Marschlieder der Hitlerjugend. Erinnern ist darum der Ausgangspunkt »um der Vernunft gegen ihre Feinde beizustehen«. Erst recht dann, wenn zunehmend europaweit neofaschistische Organisationen – die sich heute immer noch oder wieder zu diesem nachweislich mörderischen Gedankengut bekennen – als »wenig schädigend« für die Demokratie bagatellisiert werden. Damals dauerte es übrigens gar nicht lange bis auch Christen sich vom Alten Testament als »Judenbuch« lossagten und Gott dankten, dass er mit Hitler dem deutschen Vaterland rechtzeitig einen Retter geschickt habe. Mit der Bücherverbrennung wurde ein akademisches Feindesheer gegen die Vernunft mobilisiert. In Dresden hieß es in einem Aufruf am 6. Mai 1933: »Weg mit Schundliteratur! Die Studentenschaft der Technischen Hochschule Dresden Hauptamt für Aufklärung und Werbung sendet uns folgenden Aufruf. Vom 5. Bis 10. Mai führt die Dresdner Studentenschaft einen Feldzug gegen jüdische, marxistische und liberalistisch-zersetzende Schriften durch. Die Studentenschaft fordert alle deutschen Volksgenossen, die im Besitz derartiger Bücher sind, auf, diese Schriften nach folgenden Abgabestellen zu bringen. Der eingesammelte literarische Schund wird am 10. Mai in einer Kundgebung an der Bismarcksäule verbrannt werden. Deutscher Volksgenosse! Tue Deine Pflicht, säubere Dein Haus von undeutschen Büchern und Schriften!«

Heute können alle Untaten der Vergangenheit in deutscher Geschichte nachgelesen werden, weil sie sorgfältig erforscht und in vielen Biographien nachgezeichnet sind. Zeitzeugen berichten Nachgeborenen, wie in zwölf finsteren Jahren faschistischer Politik in »heiligem Ernst« Kultur in arroganter Dummheit erbarmungslos vernichtet wurde. Zum Erinnern bleiben Rituale unentbehrlich. Sie müssen aber heute helfen, der Vernunft neue Freunde zu schaffen. Aufgeschriebene und mündlich berichtete Tatsachen helfen noch nicht, die Vernunft gegen ihre alten und leider und schon wieder neuen Feinde zu verteidigen. Sonst werden auch historisch noch so gründlich erarbeitete Dokumentationen für angebotenes Gedenken letztlich nur zur neuen Selbsttäuschung, die jedes Engagement als Risiko scheut.

Die von März bis Juni 1933 jeweils in öffentlichem Zeremoniell vernichteten Bücher bleiben Brandnarben in unserer Geschichte. Doch weil das antifaschistische »Nie wieder« nicht zur hilflosen Floskel werden darf – auch angesichts der Bücherverbrennungen, die im Zweiten Weltkrieg und in allen seit dem geführten Kriegen stattgefunden haben – bleibt unbeirrtes, gemeinsames, widerständiges Gedenken unsere Aufgabe.