Witz und Wehmut

geschrieben von Ernst Antoni

5. September 2013

Anrührendes Filmporträt des KZ-Überlebenden Max
Mannheimer

Jan.-Feb. 2010

Der weiße Rabe – Max Mannheimer. Dokumentarfilm, Regie und Drehbuch: Carolin Otto.

Max Mannheimer, Spätes Tagebuch. Theresienstadt – Auschwitz – Warschau – Dachau. Pendo Verlag im Piper Verlag, 128 S., 7,90 EUR

Nach der Uraufführung beim Münchner Filmfest im Juli und diversen »Previews« – unter anderem in der KZ-Gedenkstätte Dachau – kam Carolin Ottos Dokumentarfilm »Der weiße Rabe – Max Mannheimer« im Dezember 2009 nun in einer Reihe deutscher Städte in die Kinos. Viele kannten und kennen Max Mannheimer, der in wenigen Wochen seinen 90. Geburtstag feiern wird. Der Vorsitzende der Lagergemeinschaft Dachau und Vizepräsident des Internationalen Dachaukomitees ist als Persönlichkeit des öffentlichen Lebens und als nimmermüder »Zeitzeuge« weltweit beliebt und geschätzt.

»Im Jahr 1988«, schreibt die Münchner Filmemacherin und Drehbuchautorin Carolin Otto im Begleitmaterial zur Uraufführung, »habe ich meine Bankkarte auf einem Parkplatz in Dachau verloren und Max Mannheimer hat sie gefunden. Aus dieser Begegnung entstand eine Freundschaft und – mit diesem – drei Filme, die alle für meine filmische Karriere entscheidend waren.« 1988: Kurz zuvor erst hatten Max Mannheimers »Zeitzeugen«-Aktivitäten und sein Einsatz für seine Kameradinnen und Kameraden in den Überlebenden-Verbänden ihren Anfang genommen. Seine KZ-Erinnerungen – 20 Jahre früher aus privaten Gründen niedergeschrieben – waren 1985 in der ersten Ausgabe »Dachauer Hefte« abgedruckt worden. Anfangs noch zögerlich hatte der Autor dann begonnen, in Schulen und an anderen Orten, an die man ihn einlud, daraus vorzulesen und Fragen zu beantworten.

Im Film begleiten wir Mannheimer ins tschechische Nový Jicín, das einstige Neutitschein, in dem er in seiner jüdischen Familie Kindheit und Jugend verbracht hat, bis für ihn – bald nach der Besetzung des »Sudetenlandes« durch die Deutschen – die Odysse durch die Konzentrationslager beginnt: Theresienstadt, Auschwitz, Warschau (hier wurde nach der Niederschlagung des Ghetto-Aufstandes ein eigenes KZ-Lager errichtet, dessen Häftlinge die Trümmer beseitigen und brauchbares Material bergen mussten) und schließlich Dachau mit seinen Außenlagern. Max Mannheimer und sein Bruder Edgar überleben, die Eltern, drei Geschwister, auch die erste Frau des jungen Max, wurden in Auschwitz-Birkenau ermordet. Mit Max Mannheimer führt uns Carolin Otto an Orte seiner damaligen Verfolgung.

Der Film ist montiert aus Aufzeichnungen, die zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind. 2008 in der KZ-Gedenkstätte Dachau, Impressionen aus dem gleichen Jahr im ehemaligen Neutitschein und an verschiedenen Gedenkorten. Dazu kommen – Ergänzung und Kontrast zugleich – Filme, die Carolin Otto schon vor längerer Zeit gemacht hat; Max Mannheimers erste Wiederbegegnung mit Auschwitz im Jahr 1991, Diskussionen und Begegnungen mit Jungen und Alten damals und heute. Wir sehen einen Unermüdlichen, der lange geschwiegen hatte und den der Zuspruch, den die Veröffentlichung seines »späten Tagebuches« gefunden hat, schließlich ermutigte, zu erzählen. Bis heute – auch wenn er nicht mehr so leichtfüßig unterwegs ist, wie noch Anfang der 90er-Jahre.

Es mangelt diesem zutiefst anrührenden Film nicht an Pathos. Da gibt es wunderschöne Bilder von Max Mannheimer mit windzerzaustem Haar in bayerischer Seenlandschaft vor weißblauem Himmel. Wenn es gar zu ergreifend werden droht – das geschieht nicht selten dann, wenn die Stimme des Erzählers bricht, wenn mit den Erinnerungen, die er vermitteln will, die Tränen kommen – dann folgt ein Übergang und wir sehen Max im Fond eines Autos, sein Bruder Edgar neben ihm, den er auffordert, ihm ein Stichwort zu geben. Er werde ihm dann einen Witz erzählen, in dem dieses Wort vorkommt. Der Max und seine Witze – ein echter Running-Gag, nicht nur im Film. Oder wir erleben ihn in der KZ-Gedenkstätte Dachau, wenn er – fröhlich-polyglott – auf Menschen unterschiedlicher Nationen zugeht und sie ins Gespräch zieht.

Manche mögen bemängeln, dass in dem Film vom konkret-politischen Engagement des Max Mannheimer – gegen Neonazis, für Grund- und Menschenrechte und Demokratie – wenig die Rede ist. Das stimmt, aber davon wird in anderen Medien ja oft berichtet. »Der weiße Rabe« ist sicherlich ein »privater« Film, aber gerade deshalb auch ganz schön »politisch«.