Zurück zu Horthy?

geschrieben von Ulrich Schneider

5. September 2013

Die ungarische Regierung zementiert ihren Rechtskurs

Mai-Juni 2011

Was das historische Grundverständnis dieser Verfassung am deutlichsten markiert, ist ein Satz aus dem »nationalen Glaubensbekenntnis«: »Wir datieren die Wiederherstellung der am neunzehnten März 1944 verlorenen staatlichen Selbstbestimmung unseres Vaterlandes auf den zweiten Mai 1990, die konstituierende Sitzung der ersten frei gewählten Volksvertretung.«

Mit dieser Aussage stellt FIDESZ sich in die Kontinuität des Horthy-Regimes, das viele Jahre als verlässlicher Bündnispartner des faschistischen Deutschlands gewirkt hat. Der antifaschistische Kampf und die Befreiung Ungarns durch die Rote Armee wird in totalitaristischer Manier geleugnet.

Seit der Wahl von 2010, die der Partei FIDESZ unter Viktor Orbán eine verfassungsändernde Mehrheit im ungarischen Parlament gebracht hat, erlebt das Land eine rapide politische Rechtsentwicklung. Das neue Mediengesetz, das die Presse- und Meinungsfreiheit massiv einschränkte, wurde trotz internationaler Proteste mit nur leichten Veränderungen beschlossen. Kritik an der Regierung soll auf diese Weise kriminalisiert, linke Alternativen als ungesetzlich diskreditiert werden. Die geplanten Zensurbehörden befinden sich bereits im Aufbau.

Weniger Aufmerksamkeit erfuhr das neue ungarische Staatsbürgerschaftsgesetz, obwohl es sich gegen die Nachbarländer richtet. Seit dem 1. Januar 2011 haben Angehörige der ungarischsprachigen Minderheiten in Serbien, Rumänien und der Slowakei die Möglichkeit zusätzlich die ungarische Staatsangehörigkeit zu erwerben. Was auf den ersten Blick wie eine Erweiterung der Rechte für Ungarn aussieht, beinhaltet gleichzeitig den Anspruch der neuen ungarischen Regierung für alle »Auslandsungarn« sprechen zu können. Und wenn man sich bewusst macht, dass mit dem Aufschwung der FIDESZ-Regierung auch großungarische Ambitionen wieder öffentlich debattiert werden (»Ungarn vor dem Trianon-Vertrag«), dann wird klar, dass hier ein politisches Konzept umgesetzt wird, das mit Erweiterung der Bürgerrechte wenig zu tun hat.

Den bisherigen Endpunkt setzte Mitte April die Verabschiedung einer neuen Verfassung, mit der der rechtspopulistische Kurs auf verschiedenen Ebenen zementiert werden soll. Bezogen auf die »Auslands-ungarn« heißt es in der Verfassung: »Ungarn trägt – von der Idee der einheitlichen ungarischen Nation geleitet – die Verantwortung für das Schicksal der außerhalb der Landesgrenzen lebenden Ungarn, es fördert das Fortbestehen und die Entwicklung ihrer Gemeinschaften, es unterstützt ihre Bestrebungen zur Bewahrung des Ungarntums und es fördert ihre Zusammenarbeit untereinander und mit Ungarn.« Zudem wird »Auslandsungarn« sogar das Wahlrecht zum ungarischen Parlament eingeräumt.

Damit auch jedem Bürger klar ist, was die Grundlagen der Gesellschaft sind, wird in der Präambel, dem so genannten »nationalen Glaubensbekenntnis«, Gott, das Christentum, die Krone, der Stolz auf die Geschichte und eine »historische Verfassung« für das ungarische Selbstbild reklamiert. Wörtlich heißt es: »Wir sind stolz darauf, dass unser König Stephan der Heilige den ungarischen Staat vor tausend Jahren auf feste Grundlagen gestellt und unser Vaterland zum Glied des christlichen Europa gemacht hat.«

In diesem Sinne sind zahlreiche Artikel der Verfassung mit rechtskonservativen Grundmustern gespickt. So findet sich im Absatz über die Familie der Hinweis, dass das Leben eines Fötus vom Moment der Empfängnis an zu schützen sei. Manche fürchten, dass hiermit eine restriktive Handhabung des Abtreibungsrechts vorbereitet wird. Zwar wird auf die Rechte von Beschäftigten verwiesen, aber der erste Absatz dieses Artikels lautet: »Arbeitnehmer und Arbeitgeber arbeiten im Interesse der Sicherung der Arbeitsplätze, der Nachhaltigkeit der Volkswirtschaft und sonstiger gemeinschaftlicher Ziele zusammen.« – staatlich verordnete »Sozialpartnerschaft«.

Zahlreiche Veränderungen betreffen die Machtsicherung der Regierung und die Einschränkung der Mitsprache der Bürger. So wurde beispielsweise ein Katalog von Themen aufgestellt, über die keine Volksabstimmungen abgehalten werden dürfen. Auch die Möglichkeit der Anrufung des Verfassungsgerichts durch Bürger und einzelne Gruppen zur Überprüfung von Gesetzen wurde eingeschränkt.

Als neue Machtzentren wurden der Präsident und ein Haushaltsrat verankert, die unmittelbar in die politische Entscheidungsfindung eingreifen können. Der aus drei Orbán-Vertrauten bestehende Haushaltsrat der Zentralbank erhält das Recht, das Parlament aufzulösen, wenn der Haushalt nicht entsprechend der Normen der neuen Verfassung verabschiedet wurde. Damit erhält Orbán die Möglichkeit, über den Haushaltsrat das Parlament aufzulösen, auch wenn er bei den kommenden Parlamentswahlen 2014 verlieren sollte. Der Präsident hat ebenfalls das Recht, das Parlament aufzulösen bzw. Neuwahlen anzuordnen und Gesetze, die nach seiner Überzeugung »die Wertordnung der Verfassung verletzen«, nicht zu unterzeichnen, so dass sie nicht in Kraft treten können. Auch damit baut Viktor Orbán möglichen Mehrheitsänderungen 2014 vor.

Gegen diese Verfassungspläne protestierten Ende März/ Anfang April mehrere tausend Menschen in Budapest. Unbeeindruckt davon wurde der Entwurf von der FIDESZ-Mehrheit beschlossen. Die Verfassung soll zum 1. Januar 2012 in Kraft treten. Es wird sich zeigen, ob der gesellschaftliche Protest und der internationale Druck ausreichen, den juristischen Rechtsruck aufzuhalten.