Auf der ganzen Welt

geschrieben von Cornelia Kerth

9. September 2013

Eine lange unbeachtete Dimension des Krieges rückt ins Blickfeld

Juli-Aug. 2013

In China, Südostasien, Indien und im Pazifik führten die Japaner einen barbarischen Krieg. Allein in China fielen ihm mehr Menschen zum Opfer als in den faschistischen Achsenmächten zusammen. 200.000 koreanische Frauen wurden als Zwangsprostituierte der kaiserlich-japanischen Armee verschleppt, misshandelt und viele von ihnen ermordet.

An der Seite der faschistischen Wehrmacht kämpften »arabische Hilfstruppen« und eine »indische Legion«. Unter den alliierten Soldaten, die England und Frankreich gegen das faschistische Deutschland und seine Verbündeten ins Feld schickte, waren in Afrika und Asien ebenso wie in Europa (meist) Zwangsrekrutierte aus allen Ländern ihrer Kolonialreiche.

Mehr auf: www.3www2.de

Komisch ist das schon: auch in »unseren Kreisen« ist wenig darüber bekannt, dass der Zweite Weltkrieg tatsächlich auf der ganzen Welt tobte: Millionen von Toten aus allen Kontinenten – Soldaten, Partisanen, Zwangsarbeiter, Zivilistinnen – , und Kriegsschauplätze entlang der lateinamerikanischen Küste, in Nord- und Westafrika, im Nahen Osten, in China, Indien und Südostasien sowie auf zahlreichen Inseln im Pazifik, an die keiner denkt, wenn von diesem Weltkrieg die Rede ist.

Beschränkt man seinen Blick nicht auf Europa, sondern richtet ihn tatsächlich auf die Welt, hat dieser Krieg schon am 3. Oktober 1935 begonnen, dem Tag, an dem 300.000 italienische Soldaten unter dem Kommando von 7.000 Offizieren und in Begleitung von 150.000 eritreischen, somalischen und libyschen »Askaris« in Äthiopien einfielen. 50.000 Mann standen auf der anderen Seite unter dem Kommando Haile Selassies zur Verteidigung bereit.

Am Tag der Befreiung, am 8. Mai 1945 gingen die Menschen in mehreren algerischen Städten auf die Straße um De Gaulle daran zu erinnern, das den algerischen Freiwilligen auf den Schlachtfeldern Europas versprochen worden war, auch ihre Freiheit zu erkämpfen. Sie wurden zusammengeschossen. Französische Quellen sprechen von bis zu 8.000 Toten, algerische nennen 45.000 Opfer. Erst danach formierte sich in Algerien der bewaffnete anti-koloniale Widerstand.

Vor allem Soldaten aus Westafrika haben einen hohen Blutzoll für die Befreiung Europas vom Faschismus gezahlt. Gedankt hat ihnen das niemand. Wer hat hier je gehört, dass tausende westafrikanische Soldaten der französischen Armee unmittelbar nach ihrer Gefangennahme in Frankreich von Einheiten der Wehrmacht von ihren weißen Kameraden getrennt und regelrecht abgeschlachtet wurden?

Bei vielen Kämpfen in vorderster Front eingesetzt, hatte De Gaulle die afrikanischen »Tiraillleurs« schon in Durchgangslager zum Rücktransport verfrachten lassen, als der Marsch auf Paris begann. Viele der Rückkehrer landeten zunächst im Senegal im »Camp de Thiaroye«, wo sie auf die Auszahlung ihres restlichen Soldes und der Entlassungsprämie warteten, die ihnen aber von den Offizieren dort – oft Anhänger der Vichy-Regierung – verweigert wurden. Als sie dagegen revoltierten, wurden sie niedergeschossen. Der bislang wichtigste Schriftsteller und Filmemacher Westafrikas widmete der Tragödie einen Film, in Europa weiß man nichts darüber.

Wer weiß, dass die Japaner in den ersten 3 Tagen nach der Einnahme der Stadt Nanking dort geschätzte 20.000 Menschen umbrachten und ihre Häuser in Brand setzten? Wer hat je vom japanischen Terror auf den Inseln Ozeaniens gehört, dem Tausende zum Opfer fielen? Und wer weiß, dass Chiang Kai-Shek auf dem Rückzug Dämme sprengen ließ und allein bei der Sprengung der Deiche des Huanghe 860.000 Menschen in den Fluten ertranken?

Es ist das Verdienst des Rheinischen JournalistInnenbüros in Köln mit umfangreichen Recherchen und dem Projekt »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg«, dass dieser Teil der Geschichte endlich auch in Europa in die öffentliche Wahrnehmung gerückt wird. Seit 1996 wurde recherchiert, in allen Teilen der Welt wurden Dokumente gesammelt und noch lebende Veteranen interviewt.

Herausgekommen ist ein gute 400 Seiten starkes Buch mit dem Titel »Unsere Opfer zählen nicht« (Hg.: Recherche International, Berlin/Hamburg 2005) mit einem Vorwort des Kameruner Historikers Kum’a Ndumbe III. von der Universität Jaunde, der von 1975 bis 1990 dem »Internationalen Komitee für die Geschichte des Zweiten Weltkriegs« angehörte. Redaktionelle Texte, Dokumente, erläuternde Einschübe und immer wieder Zeitzeugen-Berichte und viele Fotos zeigen die hierzulande nahezu unbekannten Dimensionen des Zweiten Weltkriegs.

Dazu haben die Autorinnen zunächst Unterrichtsmaterialien erstellt. 2009 wurde aus den Materialien des Buches eine Wanderausstellung entwickelt, die zuletzt von April bis Juni 2013 in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme gezeigt wurde. Auch ein Teil des umfangreichen Begleitprogramms, das die Ausstellung an allen Orten ergänzt, gehört zum Angebot des Projekts, vor allem die Vermittlung sachkundiger Referent/innen ist hier zu nennen.

Die Ausstellung wird von unterschiedlicher Seite kritisiert. Paternalismus und Eurozentrismus, Übertragung deutscher Schuld an Dritte, eine unzulässige Verallgemeinerung von Antisemitismus in arabischen Ländern sind die Vorwürfe an die Autoren. An der einen oder anderen Stelle mag man dem zustimmen. Das schmälert aber das Verdienst des Gesamtwerks nicht, uns Millionen vergessener Kämpfer und Opfer in Erinnerung zu bringen, von denen viele einen Beitrag zur Befreiung vom Faschismus geleistet haben und doch selbst noch lange im kolonialen Joch gefangen blieben.