Schule als Rekrutierungsort

geschrieben von Frank Brendle

9. September 2013

Bundeswehr militarisiert den Unterricht – offen und durch
»eingebettete Lehrer«

Juli-Aug. 2013

Einige Schulen, vor allem in Berlin und NRW, haben sich bereits als militärfrei erklärt. Drei dieser Schulen wurde jüngst der Aachener Friedenspreis zugesprochen. (An einer Aachener Schule wies die – neue – Direktorin den Preis allerdings zurück, weil der Beschluss nicht rechtsverbindlich sei). Auch die außerschulischen Rekrutierungsversuche der Bundeswehr müssen zunehmend mit Protesten rechnen (einen guten Überblick bietet die Homepage www.bundeswehr-wegtreten.org).

Eine Auflistung bevorstehender Bundeswehr-Reklametermine wird jedes Quartal von der Linksfraktion veröffentlicht. http://dokumente.linksfraktion.net/mdb/17_13796_Bundeswehr_Reklame_III_2013.pdf

Die Wehrpflicht als Rekrutierungsinstrument ist weggefallen, immer weniger Jugendliche sind immer weniger darauf angewiesen, sich ausgerechnet bei der Bundeswehr zu bewerben. Die Truppe steht damit einerseits unter starkem Druck, ihre Personalwerbung aufzurüsten. Andererseits muss sie darauf achten, nicht durch falsche Verheißungen die »falschen« Jugendlichen anzulocken. Diesen Spagat hat sie bislang nicht geschafft. Zwar hat sich der Etat für Personalwerbung in den letzten Jahren vervielfacht. Standen 2009 noch vier Millionen Euro zur Verfügung, waren für 2012 bereits fast 14 Millionen eingeplant. In diesem Jahr sollen es sogar 30 Millionen sein.

Quantitativ dreht die Bundeswehr auf. Anzeigen, Radiospots, Plakatwände und »Eventmarketing« überziehen die Republik. Im Jahr 2011 war sie an 1647 Veranstaltungen (Messen, Ausstellungen, Festivals usw.) vertreten. Insgesamt seien dabei 10 240 070 Personen erreicht worden, davon entfielen fast ein Drittel auf einberufungsnahe Jugendliche »sowie deren relevanten Umfeld«, erklärte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Ulla Jelpke (Linksfraktion).

Auf »qualitativer« Ebene verharrt die Bundeswehr aber auf dem alten Niveau. Und das schafft Konflikte: Als die Truppe im vorigen Jahr gemeinsam mit der Jugendzeitschrift »Bravo« und der Parole »Action, Abenteuer und jede Menge Fun« ein Abenteuer-Camp bewarb, hagelte es massive Kritik nicht nur von Friedens- und Kinderrechtsorganisationen. Auch in Militärforen sorgte man sich, dass solcherart angelockten Rekruten das soldatische Selbstverständnis fehle. Wer coole »Party-Locations« sucht, ist in Kunduz fehl am Platz. Auf einer Bundeswehrtagung im Herbst forderte Verteidigungsminister Thomas de Maizière, nicht die Illusion zu verbreiten, »als könne die Bundeswehr ein Leben wie auf einem Ponyhof bieten«.

Tatsächlich verändert hat sich aber beim »Jugendmarketing« nichts. Im Juni 2013 zeigte sich die Bundeswehr beim »Bw-Beachen«, einem Beach-ball-Wettbewerb, wieder als reine Sport- und Spaß-Truppe. Es zeigte sich aber noch etwas: Statt der 1000 geplanten Jugendlichen konnten gerade einmal 560 angelockt werden. Offenbar verlieren Jugendliche das Interesse an der Bundeswehr, selbst an deren Sportveranstaltungen.

Die Werbung verfängt nicht mehr so. Es nützt nichts, dass eine Person zwar einen Werbestand der Bundeswehr wahrnimmt, (»erreicht« wird), wenn sie daraufhin einen Bogen um den Stand macht.

Einen Ort gibt es freilich, an dem die Hauptzielgruppe geballt auftritt und keine Chance hat, einfach wegzulaufen. An Deutschlands Schulen geben sich 96 hauptamtliche Jugendoffiziere sowie 390 Wehrdienstberater (neuerdings »Karriereberater« genannt) die Klinke in die Hand, um die Schülerinnen und Schüler zu agitieren.

Die Jugendoffiziere erledigen die politische Arbeit und erläutern, dass die Bundeswehr unverzichtbar und ihre Auslandseinsätze alternativlose Beiträge zu mehr Frieden, Sicherheit, Stabilität und überhaupt einer besseren Welt sind. Werbung für einen Job hingegen ist Aufgabe der Karriereberater, die Ausbildungsberufe und Verdienstmöglichkeiten in der Truppe vorstellen.

Beides geschieht in Klassenzimmern. Jugendoffiziere profitieren von strukturellen Defiziten im Bildungsbereich: Viele Lehrer fühlen sich im Themenbereich Sicherheitspolitik nicht firm und akzeptieren dankbar das Angebot der Bundeswehr, ihre eigenen »Experten« in den Gemeinschaftskunde- oder Politikunterricht zu entsenden. Dort halten sie in der Regel einen 45minütigen Vortrag mit anschließender Diskussion. Es gilt Anwesenheitspflicht. Karriereberater kommen ebenfalls zu Vorträgen in die Klassen, wobei hier strenggenommen keine Anwesenheitspflicht besteht. Außerdem beteiligen sie sich an schulinternen Projekttagen, Ausbildungsmessen usw.

Die Einsatzzahlen sind beeindruckend: Die Karriereberater haben im vergangenen Jahr 188.000 Schüler alleine durch Vorträge an den Schulen erreicht, Jugendoffiziere traten dort vor knapp über 100.000 Schülern auf. Hinzu kommen fast 40.000 weitere Schüler, die in Seminaren oder bei Truppenbesuchen agitiert werden konnten.

Über den Besuch eines Jugendoffiziers entscheidet die jeweils zuständige Lehrerin bzw. der Lehrer. Vor vier Jahren forderte der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung die Bildungs- bzw. Kultusministerien der Länder auf, Kooperationsvereinbarungen mit der Bundeswehr zu schließen. Als Ziel des Unterfangens nannte er dabei ausdrücklich, »den Sinn bewaffneter Auslandseinsätze zu vermitteln.«

Acht Länder haben mittlerweile solche Abkommen geschlossen. Sie bekräftigen die Bereitschaft, Jugendoffiziere in den Unterricht einzubinden. Sie sind rechtlich nicht bindend, sollen aber Lehrern eine »Entscheidungshilfe« geben und etwaige Skrupel beseitigen.

Jugendoffiziere sind aber keine unabhängigen Experten, sondern beauftragte PR-Agenten der Bundeswehr. Ihre Arbeitsgrundlage, das »Handbuch: Der Jugendoffizier« schärft ihnen ein: »Für die Arbeit müssen Sie sich immer an politische Grundsatzaussagen, Analysen und Hintergrundinformationen aus den Bereichen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik des BMVg« (des Verteidigungsministeriums) halten. Jugendoffizieren ist ausdrücklich aufgetragen, nur parteiisches Wissen zu vermitteln, vor allem aber Imagewerbung zu machen: »Wenn nichts von dem Thema in Erinnerung bleibt, so muss auf jeden Fall ein positiver Eindruck des Jugendoffiziers als Vertreter der Bundeswehr entstehen.«

Das widerspricht eklatant bildungspolitischen Grundsätzen. Die besagen unter anderem: Was in der Gesellschaft kontrovers diskutiert wird – und das lässt sich für Kriegseinsätze wohl sagen – muss auch im Unterricht als kontrovers dargestellt werden. Das können, ja dürfen Jugendoffiziere aber nicht, weil sie die Pflicht haben, einseitig Werbung für diese Kriegseinsätze zu machen.

Ironie der Geschichte: Die Kooperationsabkommen haben sich wenigstens teilweise als Schuss nach hinten erwiesen. So stellen die Bezirksjugendoffiziere etwa in Bayern und Baden-Württemberg fest, die Abkommen hätten keine positive Wirkung entfaltet, weil man davor schon »auf einer breiten Basis« mit Lehrern kooperiert habe. »Vielmehr fand die Kooperationsvereinbarung bei Kritikern einer inhaltlichen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik Gehör«, heißt es aus dem Süden. Konnten die Militärs bislang eher unbemerkt in den Schulen agitieren, seien manche Elternräte erst durch die Vereinbarung darauf aufmerksam gemacht worden, und nun protestierten sie dagegen – und forderten auch noch »erweiterte Mitbestimmungsmöglichkeiten«, so die genervten Militärs.

Heute gibt es in einer Vielzahl von Bundesländern Bündnisse gegen die Schuleinsätze der Militärwerber. Gewerkschaften wie ver.di und GEW sind sensibilisiert und positionieren sich gegen die militärische Beeinflussung des Unterrichts. Schüler beginnen, sich über Schulen hinaus zu vernetzen. Eltern wenden sich dagegen, dass ihre Kinder indoktriniert werden sollen. Mitunter genügt schon die Ankündigung von Protesten, um die Militärs in die Flucht zu schlagen. Es gibt erste Ansätze einer bundesweiten Vernetzung dieser Protestbewegungen.

Die wachsenden Proteste haben aber, wie oben gezeigt, noch nicht die Reichweite der Jugendoffiziere beeinflusst. Die Frage des strategischen Herangehens wird noch wenig diskutiert. Die meisten Bündnisse verstehen sich als explizit antimilitaristisch. Es geht ihnen nicht nur um die Jugendoffiziere, sondern sie sind gegen die Bundeswehr überhaupt. Das ist zwar sympathisch, bedeutet strategisch gesehen aber eine Verengung des Wirkungskreises. Es gibt mit Sicherheit viele Eltern, die nicht grundsätzlich antimilitaristisch sind, die aber nicht wollen, dass ihre Kinder ausgerechnet – und ausschließlich – von einem Jugendoffizier mit Wissen über die Bundeswehr abgefüttert werden. Diese Eltern werden von den Protesten faktisch ausgeschlossen, wenn die Eintrittskarte ein Bekenntnis gegen die Bundeswehr an sich ist.

Ein weiteres Problem der Kampagnen sind Trittbrettfahrer. Vor allem kirchliche Kreise, die früher hauptamtliche Berater für Kriegsdienstverweigerer beschäftigten, wittern eine Einnahmequelle, wenn sie »alternative« Kooperationsabkommen fordern: Neben Jugendoffizieren sollten alternative Experten in die »friedenspolitische Bildungsarbeit« einbezogen werden. Das Netzwerk Friedensbildung hat bereits ein eigenes Abkommen in Rheinland-Pfalz erreicht. In Nordrhein-Westfalen wurde das Abkommen mit der Bundeswehr neu formuliert und sieht jetzt vor, Jugendoffiziere »wie auch Vertreterinnen und Vertreter anderer Institutionen sowie Organisationen der Friedensbewegung« »gleichberechtigt« einzuladen.

Damit wird den Forderungen zur Kündigung der Abkommen die Spitze genommen und der Wehrkundeunterricht letztlich legitimiert. Denn eine »Waffengleichheit« gibt es nicht. Schließlich haben »Organisationen der Friedensbewegung« weder 96 hauptamtliche Reisekader, um in Schulen aufzutreten, noch einen Apparat mit millionenschwerem Reklamebudget hinter sich. Ausgewogenheit wird hier nur suggeriert. Auch in Baden-Württemberg ist die Protestbewegung, der einst auch die Grünen angehörten, mit einer solchen Entwicklung konfrontiert.

Noch ein strategisches Problem: Die Bundeswehr geht zunehmend zu einer Art verdeckten Einsatzes über. 30.578 sogenannte »Multiplikatoren« wurden im vergangenen Jahr von den Jugendoffizieren umworben, mit Vorträgen und noch mehr mit Seminaren. Darunter waren 12.000 Lehrer und 2000 Vertreter von Schulbehörden. Immer mehr Seminare richten sich an Referendare. Die Jugendoffiziere in Baden-Württemberg versprechen sich davon, »dass es in Zukunft einfacher sein dürfte, Kontakte zu Schulen aufzubauen bzw. pflegen zu können«. Während Jugendoffiziere durch ihre Uniform wenigstens noch als Partei zu erkennen sind, ist die Instrumentalisierung scheinbar neutralen Lehrpersonals ein geschickter Schachzug, um eine Art »militärisch eingebetteten« Unterricht hinzukriegen. Das gleiche gilt für Unterrichtsmaterial, das ein scheinbar unabhängiger Verlag kostenlos bereitstellt: »Frieden und Sicherheit«, mit wöchentlich neuen Arbeitsbögen, zehntausendfach von Lehrern abgerufen, didaktisch aufbereitet – und militäraffin: Die Kosten werden zu 100 Prozent von der Bundeswehr getragen. Es dürfte eine Aufgabe vor allem der GEW sein, dem entgegenzuwirken.