Kulinarischer Antifaschismus

geschrieben von Ulrich Schneider

27. September 2020

»Pastasciutta Antifaschista« im Gedenken an den Widerstand italienischer Partisanen

Wie viel Antifaschismus mit Kultur und alltäglichem Leben zu tun hat, haben die italienischen Antifaschisten der ANPI, der Nationalen Vereinigung der Partisanen, immer wieder unter Beweis gestellt. So gab es in diesem Jahr zum Tag der Befreiung vom Faschismus am 25. April corona-bedingt eine landesweite Aktion. Auf Balkonen, in Gärten und anderen Orten wurde am Nachmittag das Partisanenlied »Bella Ciao« angestimmt und über Facebook und andere elektronische Kanäle weltweit verbreitet. Es war ein eindrucksvolles Zeugnis der Lebendigkeit antifaschistischer Arbeit unter Corona-Einschränkungen.

Besonderes Erinnern

Nachdem es in Italien jetzt wieder möglich ist, in Gruppen öffentlich zusammenzukommen, wurde noch an ein weiteres Ereignis erinnert. Anlässlich des Endes der Mussolini-Herrschaft in Rom im Sommer 1943, fand die »Pastasciutta Antifascista« statt. Am letzten Wochenende im Juli organisierten die lokalen ANPI-Sektionen in über 50 italienischen Städten und Gemeinden auf öffentlichen Plätzen Nudelessen. Selbst die ANPI-Regionalgruppen in Berlin und Frankfurt beteiligten sich an dieser Aktion.

Der historische Hintergrund dieser Tradition ist so einfach wie beeindruckend. Als sich am 
25. Juli 1943 die Nachricht vom Sturz des Faschismus durch die Absetzung und Verhaftung des Verbrechers Benito Mussolini verbreitete, hatte die Familie Cervi in der Reggio Emilia eine großartige Idee. Sie beschloss, das Ereignis öffentlich zu feiern: Sie beschaffte Mehl, nahm Butter und Käse auf Kredit und bereitete kiloweise Nudeln zu. Als das Essen fertig war, beluden die Familienmitglieder eine Pferdekarre und brachten Pasta auf den Platz in Campegine, um das Essen an die Dorfbewohner zu verteilen. Das sei »die schönste Beerdigung des Faschismus« gewesen, wie Alcide »Papa« Cervi erklärte.

Die Familie Cervi

Auf der Internetseite »Storia della Resistenza« kann man über das Schicksal der Familie Cervi folgendes finden: Die Familie Cervi, die in Gattatico einen gepachteten Hof bewirtschaftete, hatte sieben Söhne. Sie alle engagierten sich in unterschiedlicher Form gegen den Faschismus. Aldo Cervi verbüßte wegen Befehlsverweigerung im Militär drei Jahre Haft im Gefängnis. Sein Bruder Gerlindo Cervi wurde wegen illegaler Arbeit mehrfach verhaftet. 1943 verübten Ferdinando und Massimo Cervi ihre erste Sabotageaktion. Sie unterbrachen eine für die Faschisten wichtige Stromversorgung.

Nach dem Sturz Mussolinis wurde der Hof der Cervis Anlaufstelle für viele Flüchtlinge. Unter ihnen waren italienische Soldaten ebenso wie Kriegsgefangene und politische Häftlinge, die aus den Gefängnissen fliehen konnten. Hier erhielten sie ein Versteck, bekamen Nahrung, Kleidung und Informationen, um unterzutauchen.

Nach der Besatzung Italiens am 8. September 1943 durch die Deutschen organisierten die Cervis den bewaffneten Widerstand. Anfang Oktober gingen die sieben Brüder mit Gleichgesinnten in die Berge. Ende Oktober überfielen sie eine Polizeistation, um an Waffen zu gelangen. Danach zogen sie sich wieder in die Berge zurück. Unterstützung erhielten sie von dem Priester Don Pasquino Borghi, der den Partisanen Unterschlupf gewährte.

Faschisten statuieren Exempel

Der Versuch, einen hohen faschistischen Funktionär aus Reggio Emilia zu entführen und zu töten, misslang, sorgt aber für Aufsehen und Sympathie in der Bevölkerung. Am 25. November 1943 erfolgte der Gegenschlag der Besatzer. Das Haus der Cervis wurde vom faschistischen Militär umstellt, alle Männer verhaftet, die Frauen und Kinder auf die Straße getrieben und das Haus angezündet. Alcide »Papa« Cervi, die sieben Brüder und einer ihrer Genossen wurden in das Zuchthaus »Servi« nach Reggio Emilia gebracht. Während Alcide wieder entlassen wurde, blieben die sieben Brüder in Haft. Als im Dezember 1943 andere Partisanen zwei hohe faschistische Militärs töteten, wurde von den faschistischen Machthabern in Reggio Emilia ein Exempel statuiert. Die sieben Brüder wurden am 28. Dezember 1943 um 6.30 Uhr mit ihrem Genossen erschossen. Kurz danach erfolgte auch die Hinrichtung von Don Pasquino Borghi.

Die Erinnerung an die »Fratelli Cervi« ist bis heute in Italien präsent. Sie ist verbunden mit dem Wissen um die antifaschistische Tradition des Landes. Der Leiter der Gedenkstätte und des »Instituts Alcide Cervi« sagte zur diesjährigen »Pastasciutta Antifascista«: »Am Samstag, den 25. Juli, werden wir die Freude über das gefallene Regime erneuern, indem wir auf vielen Plätzen Pasta essen. Und im Idealfall einem einzigen Platz Leben einhauchen: Italien, das Faschismus und Rassismus ablehnt und ein starkes, einstimmiges und weitverbreitetes JA zur Verfassung und zur Demokratie sagt, die aus dem Widerstand geboren wurde.«