Zwangsarbeit bei Rheinmetall

geschrieben von Rheinmetall entwaffnen Rheinmain

6. Oktober 2020

Eine Gedenkinitiative will aufklären

»Durch ihren gewaltsamen Tod sind sie den Lebenden Mahnung zum Widerstand gegen das Unrecht.« Mit diesem Zitat aus der Inschrift des Verbandes der Sinti und Roma auf dem Mahnmal der Gedenkstätte Bergen-Belsen ist die erste Tafel der Ausstellung »Zwangsarbeit bei Rheinmetall – Der Weg der Erinnerung« überschrieben, die sich mit dem Konzentrationslager Tannenberg, einem Außenlager des KZ Bergen Belsen, auseinandersetzt.

Das Lagersystem

Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges gab es neben zahlreichen SS-Arbeitskommandos mit KZ-Häftlingen etwa 800 KZ-Außenlager allein in Deutschland. Zugeordnet jeweils einem Stammlager waren sie an die großen kriegswichtigen Unternehmen, meist Rüstungsbetriebe, angebunden.

Dort mussten KZ-Häftlinge, darunter viele Kinder, Zwangsarbeit leisten. Während es in den Hauptlagern oder der unmittelbaren Nähe heute Gedenkstätten gibt, erinnert an die Außenlager meist nichts. Erst in den letzten Jahren sind sie an manchen Orten durch »Graswurzel«-Initiativen sichtbar gemacht geworden. Meist in Form einer Tafel oder Skulptur.

So war es auch mit dem Lager Tannenberg bei Unterlüß. Dazu ist nun eine Ausstellung und eine Broschüre erstellt worden. Die Initiative kam vom antimilitaristischen Rheinmetall-entwaffnen Bündnis, das während des Widerstandscamps 2019 am Rheinmetallwerk in Unterlüß (siehe letzte Ausgabe der antifa) mit einem Aktionstag an das fast vergessene Außenlager erinnerte.

Die Ausstellung dokumentiert mit Zeitzeugenberichten und ausgewählten Biografien unter anderem das Schicksal der 900 jüdischen Mädchen und Frauen, die dort von August 1944 bis April 1945 interniert waren und Zwangsarbeit für Rheinmetall leisten mussten. Fast alle kamen aus Ungarn oder Polen und wurden in Auschwitz zur Arbeit selektiert. Die Firma setzte sie in der Munitionsfüllanlage ein, die die Frauen vergiftete. Andere mussten schwere Bau- und Forstarbeiten verrichten, denen die unterernährten, oft kranken Häftlinge nicht gewachsen waren. Das Leid und die Arbeit wird auch in den abgebildeten künstlerischen Zeugnissen deutlich.

Als im April 1945 angesichts der nahenden britischen Truppen die SS-Wachmannschaften flohen, wähnten sich die Häftlinge in Freiheit: »Die Freude war unbeschreiblich; Wir hatten die fürchterliche Sklaverei überlebt! Unsere Freudenfeier war jedoch nur kurzlebig«, beschreibt Edith Balas, eine der Häftlinge, diesen Moment der Freiheit. Er endete jäh, als am Morgen darauf bewaffnete zivile Kräfte aus dem Ort und dem Werk erschienen und die Frauen nach Bergen-Belsen brachten. Dort starben in den letzten Kriegstagen noch tausende Gefangene an Unterernährung und Krankheiten, weil sie nicht mehr versorgt wurden.

Auch andere Lager finden in der Ausstellung Erwähnung, denn neben den Frauen aus dem KZ-Außenlager arbeiteten auch Gefangene eines Arbeits- und Erziehungslagers für Rheinmetall; zudem tausende weitere zivile Zwangsarbeiter*innen und Kriegsgefangene, die in 20 Lagern im kleinen Ort Unterlüß untergebracht waren.

(Keine) Erinnerung vor Ort

Im letzten Teil dokumentiert die Ausstellung den (Nicht-) Umgang mit der Geschichte in der Gemeinde und dem Werk. In der Ortschaft und am Standort von Rheinmetall gibt es keine Hinweise auf die Vergangenheit. Nur auf dem Friedhof der Gemeinde findet sich seit kurzem eine Tafel. Sie erinnert an die begrabenen Zwangsarbeiter*innen und ihre Kinder, die auf den Grab/Gedenksteinen als »Polen- und Russen-Kinder« be-
zeichnet werden.

Am Aktionstag 2019 wurde an den Überresten des Tannenberglagers ein Gedenkort geschaffen. Etwa 90 Teilnehmer*innen setzten einen Gedenkstein und kennzeichneten den Weg, den die Häftlinge jeden Tag ins Werk zurücklegen mussten, mit Baumbinden in den Farben von Häftlingsuniformen und den Namen von Insassinnen. Große Banner mit Zitaten und Zeichnungen von Überlebenden erläuterten die Historie. Auch der Radweg neben der Straße wurde markiert und mit Erklärungen versehen.

All dies wurde innerhalb von drei Tagen vollkommen zerstört. Das zeigt, wie notwendig die Initiative war. Die Ausstellung möchte die Auseinandersetzung um die erinnerungspolitische Verantwortung, die Rheinmetall und die Gemeinde Unterlüß vermeiden wollten, fortführen. Daher ist die Ausstellung mobil und kann ausgeliehen werden.  Außerdem hat die Gruppe Rheinmetall-entwaffnen Rheinmain für Begleitveranstaltungen einen weitergehenden Vortrag zur Zwangsarbeit während des Faschismus sowie dem System der KZ-Außenlager erarbeitet, der gerne gebucht werden kann. Auf das noch viele andere Orte dem Vergessen entrissen werden und an die Zwangsarbeit während des Faschismus erinnert wird.     

Rheinmetall entwaffnen Rheinmain

 Die 20 Tafeln der Ausstellung und die Broschüre können auf der Homepage weg-der-erinnerung.solikom.de eingesehen und per Mail von rheinmetall-entwaffnen-rheinmain@riseup.net ausgeliehen werden.

 

 

Hinweis: Neben der historischen Erinnerung ist der Widerstand gegen Rüstungskonzerne und deren Rolle auch in aktuellen kriegerischen Konflikten notwendig. Daher fand am 28. August – nach Redaktionsschluss- ein Aktionstag gegen die Rüstungsindustrie in Kassel statt.