40 Jahre nach dem Attentat

geschrieben von Ernst Antoni

9. Dezember 2020

Oktoberfest-Terroranschlag endlich als extrem rechts gewertet

Das hatte es vorher noch nie gegeben bei den jährlich von der DGB-Jugend Bayern veranstalteten Gedenkfeiern zum Jahrestag des Bombenanschlags auf das Münchner Oktoberfest vom 26. September 1980. Neben dem Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) – der sich, wie sein Vorgänger Christian Ude zu diesem Thema bereits seit Jahren engagiert – sprachen dieses Mal auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder zu den Überlebenden, den Nachkommen der Opfer und den anderen Teilnehmenden beim Gedenken am Eingang zur Theresienwiese.

Allerdings fehlte dieses Jahr das dort sonst im Umfeld des Gedenkortes übliche vormittägliche Oktoberfestpublikum. Coronabedingt: Erstmals seit den Nachkriegsjahren musste die gesamte zweiwöchige »Wiesn« ausfallen. Hart waren aus dem gleichen Grund auch die Vorschriften für die Gedenkfeier. Nur persönlich Eingeladene durften im Freien auf für sie namentlich vorgemerkten Stühlen vor dem Mahnmal Platz nehmen. Es handelte sich um Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Bereichen, von denen sich viele oft schon seit Jahrzehnten dafür engagieren, das Erinnern an diesen extrem rechten Terrorakt wachzuhalten. Sie kämpfen auch gegen das offiziell lange übliche Verschleiern und Verdrängen an. Zu ihnen gehörten und gehören zahlreiche Mitglieder und Freunde der VVN-BdA.

Ulrich Chaussy: Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen, Wie Rechtsterrorismus und Antisemitismus seit 1980 verdrängt werden, 3. aktualisierte Ausgabe, 360 Seiten, 20 Euro

Ulrich Chaussy: Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen, Wie Rechtsterrorismus und Antisemitismus seit 1980 verdrängt werden, 3. aktualisierte Ausgabe, 360 Seiten, 20 Euro

Besonders begrüßt wurden der Journalist, Buch- und Filmautor Ulrich Chaussy, der mit seinen Veröffentlichungen das Thema immer wieder aufgreift und der Rechtsanwalt Werner Dietrich, der sich seit Jahrzehnten der Anschlagsopfer und ihrer Angehörigen annimmt. Beide hatten nicht zuletzt maßgeblichen Anteil daran, dass die Bundesanwaltschaft vor einigen Jahren den Fall neu aufnahm. Sie kam unlängst zum Resümee, dass der Bombenanschlag mit 13 Toten und über 200 Verletzten klar als extrem rechtes Verbrechen eingeordnet werden muss.

Mehr Aufklärung sei allerdings heute nicht mehr möglich. Bei den jetzigen Ermittlungen wurde überdeutlich, was alles zuvor ignoriert, fehlinterpretiert und an Beweismaterial vernichtet worden war. Von Ulrich Chaussy ist soeben als überarbeitete und aktualisierte Neuausgabe das Buch »Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen. Wie Rechtsextremismus und Antisemitismus seit 1980 verdrängt werden« im CH. Links Verlag erschienen. Darin geht er ausführlich auf die Verbindungen zur neofaschistischen »Wehrsportgruppe Hoffmann« ein. Auch die »Einzeltäter«-Theorien werden analysiert, die die Ermittlungen prägten.

Solche Theorien sind nach wie vor üblich. Deutlich wurde das beim Umgang mit den NSU-Morden, bei antisemitischen und rassistischen Mordanschlägen wie in Halle oder anderen Attacken der extremen Rechten. Nicht selten spielen »Sicherheitsorgane« dieses Landes dabei mehr als seltsame Rollen.

Bei der Gedenkfeier bemühten sich Bundespräsident Steinmeier und Ministerpräsident Söder zumindest um klare Stellungnahmen gegen Neofaschismus und  Rechtsextremismus. Und beide wiesen auch auf vorherige Versäumnisse im politischen und juristischen Umgang hin. Söder verzichtete sogar auf den sonst meist unvermeidlich in solchen Statements eingebauten Schlenker zu anderen, bevorzugt linken, »Extremismen«.

Positiv war, dass den bisher kaum beachteten Überlebenden und Nachkommen der Ermordeten des rechtsextremen Anschlags (nach 40 Jahren!) erstmals öffentlich Anerkennung gezollt wurde. Ihre Entschädigungsforderungen finden nun hoffentlich auch bei dafür zuständigen Gremien und Institutionen angemessene Beachtung. Gudrun Lang, Renate Martinez, Robert Höckmayr und Dimitrios Lagkandinos berichteten bei der Veranstaltung als damals erheblich Verletzte und/oder Angehörige von Getöteten ergreifend über ihre jahrzehntelangen Erfahrungen und Alltags-Bürden.

Besonders wichtig: Ein neues, wesentlich informativeres Mahnmal wurde am Tatort eingeweiht. Monika Müller-Rieger hat die »Dokumentation Oktoberfestattentat« gestaltet: Dicht gedrängt stehen 234 beleuchteten Silhouetten von Menschen aus Metall, große und kleine jederlei Geschlechts, typisch für das alljährliche Wiesnpublikum. Der Besucher kann sich frei durch die Gruppe bewegen, die an die Toten und Verletzten von damals erinnert. Dazu können per QR-Code Informationen zum mörderischen Geschehen im Herbst 1980, zu Opfern und Tätern sowie zum Bombenleger Gundolf Köhler abgerufen werden. Zur Sprache kommt aber auch das offizielle Herunterspielen der Bedrohungen, die von der »Wehrsportgruppe Hoffmann« ausgingen. Eine unrühmliche Rolle spielte dabei der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß, der für die Wahl im Herbst 1980 von CDU und CSU als gemeinsamer Kanzlerkandidat nominiert wurde.