Erinnern an Ravensbrück

geschrieben von Rosel Vadehra-Jonas

6. November 2021

Das Gedenken an die Opfer des Frauenkonzentrationslagers geht auch in Corona-Zeiten weiter

Im vorigen Jahr mussten sowohl das Internationale Ravensbrück-Komitee (IRK) als auch die Lagergemeinschaft Ravensbrück/Freundeskreis (LGRF) ihre Zusammenkünfte online durchführen. In diesem Jahr war es wieder möglich, unter Beachtung der Corona-Bestimmungen und mit Unterstützung der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück (MGR) Treffen mit Anwesenheit zu organisieren.

Das IRK tagte sodann Anfang September in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. Die 15 Teilnehmenden waren aus neun europäischen Ländern angereist. Wegen strenger Corona-Auflagen konnten die Mitglieder aus Russland, der Ukraine, Polen und Ungarn nicht teilnehmen. Entschuldigt waren auch die Delegierten aus den Niederlanden und aus Belgien.

Unter den Anwesenden war nur noch ein Überlebender des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück. Ihn hatte man als Kind zusammen mit seiner Mutter dorthin verschleppt. Alle anderen Anwesenden waren Kinder oder Enkel von Frauen, die in Ravensbrück inhaftiert waren. Eine Ausnahme bildete die Leiterin der Gedenkstätte, Frau Dr. Andrea Genest, die qua Amt Mitglied des Komitees ist. Die Präsidentin des IRK, Ambra Laurenzi aus Italien, betonte in ihrer Begrüßung diese neue Qualität des IRK: Sie wies darauf hin, dass die zweite und dritte Generation nicht mehr aus eigenem Erleben von den Verhältnissen im Konzentrationslager berichten kann. Sie könnten aber wiedergeben, was sie von ihren Müttern und Großmüttern erfahren haben. Die zentrale Aufgabe bestehe jetzt darin, die Erinnerung an die Zeit des Faschismus wachzuhalten und angesichts des zunehmenden Rechtsextremismus in Europa mahnend auf Parallelen zur Situation am Beginn der 30er Jahre hinzuweisen.

Die Tagung im September 2021 in der Mahn- und Gedenkstätte.

Die Tagung im September 2021 in der Mahn- und Gedenkstätte.

In Kurzberichten wurden Arbeitsergebnisse des IRK dargestellt, so zum Beispiel die Weiterentwicklung der in fünf Sprachen gestalteten Website des Komitees. Die Ausstellung »Faces of Europe – Daughters remember their Mothers« (siehe kurzelinks.de/faces-of-europe) ist fertiggestellt. Sie zeigt Portraits ehemaliger Häftlinge aus der Zeit der Befreiung, ergänzt durch erläuternde Broschüren in fünf Sprachen. Sie wurde bereits mit großem Erfolg in Prag gezeigt und steht inzwischen auch im Internet zur Verfügung. Als nächstes Projekt sollen Videoclips zu ausgesuchten Themen in Verbindung mit Ravensbrück zusammengetragen und veröffentlicht werden.

Den offiziellen Abschluss der Tagung bildete ein Empfang durch den Bürgermeister im Rathaus der Stadt Fürstenberg. Danach trafen sich die Mitglieder des Komitees mit der Leiterin der Gedenkstätte, Andrea Genest, und ihrer Vorgängerin, Insa Eschebach.

Die Lagergemeinschaft Ravensbrück/Freundeskreis führte ihr diesjähriges Treffen vom 15. bis zum 17. Oktober ebenfalls in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück durch. 30 Mitglieder der LGRF nahmen daran teil. Die bisherigen Sprecherinnen Vera Dehle-Thälmann, Heike Rode und Ronja Hesse wurden in ihren Funktionen bestätigt. Die Anwesenden verabschiedeten einen Appell an die Abgeordneten des Europaparlaments, den 8. Mai europaweit als Tag der Befreiung zu erklären.

Im Zusammenhang mit dem Einsatz von weiblichen Häftlingen aus Ravensbrück zur Zwangsarbeit in der Landwirtschaft berichtete Rainer Witzel von den Auseinandersetzungen um einen Gedenkstein in Templin und um die Rückforderung von Entschädigungsleistungen wegen Mittäterschaft. In Kleingruppen und anschließend im Plenum wurden Vorschläge zur Gestaltung des Jahrestages der Befreiung des Lagers Ravensbrück im April 2022 erarbeitet.

Über Ingelore Prochnow, die in Ravensbrück zur Welt kam, gibt es einen neuen Film mit dem Titel »Geboren in Ravensbrück«. Er wurde am 15. Oktober in Anwesenheit von Ingelore Prochnow und den Filmemacherinnen in Fürstenberg gezeigt. Er fand großen Anklang. Die Tagung der LGRF endete mit einer Fahrt zum ehemaligen Außenlager von Ravensbrück »Waldbau« in Neubrandenburg. Das Gelände des Lagers wird zur Zeit als Gedenkort gestaltet. In einem Gespräch mit der Leiterin der zukünftigen Gedenkstätte, Constanze Jaiser, konnten sich die Teilnehmerinnen über dieses Projekt, das von der LGRF unterstützt wird, näher informieren.

Am Rande beider Tagungen gab es wieder einen regen Meinungs- und Erfahrungsaustausch zwischen den Anwesenden, der bei den Videokonferenzen leider nicht möglich war.

Aus dem Appell an die Abgeordneten des EU-Parlaments

Die Lagergemeinschaft Ravensbrück/Freundeskreis e. V. (LGRF) ruft die Abgeordneten des Europaparlaments dazu auf, den 8. Mai europaweit als Tag der Befreiung zu deklarieren.

Die Mitglieder der Lagergemeinschaft Ravensbrück/Freundeskreis sind zutiefst besorgt über die politische und gesellschaftliche Situation in Europa: durch gewaltsamen Radikalismus und Extremismus verlieren unschuldige Menschen ihr Leben, rechtsextreme Gruppierungen erhalten Zulauf, politische Parteien am rechten Rand der Gesellschaft verzeichnen besorgniserregende Stimmengewinne, der Abbau von elementaren Grundrechten wie die Unabhängigkeit der Justiz oder die Pressefreiheit sind mancherorts kein Tabu mehr. Unser kürzlich verstorbenes Mitglied Esther Bejarano, Überlebende der Konzentrationslager Auschwitz und Ravensbrück, beschrieb die Situation mit den Worten: »Das Haus brennt«.

Wir, die Mitglieder der Lagergemeinschaft Ravensbrück/Freundeskreis, mahnen: So ähnlich hat es schon einmal begonnen. Das Ergebnis waren rund 60 Millionen Tote und die Zerstörung weiter Teile Europas. Erst mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 war Europa und damit auch Deutschland befreit von der faschistischen Barbarei des Naziregimes. Der 8. Mai als europaweiter Tag der Befreiung soll daran erinnern und mahnen. Er soll erinnern an die zahllosen Opfer in den Konzentrationslagern, an die gefallenen Soldaten an den Fronten eines verbrecherischen Krieges und an die Opfer der Zivilbevölkerung. Er soll damit zugleich mahnend deutlich machen, wohin Intoleranz, nationale Überheblichkeit, Rassenhass, Antisemitismus und Antiziganismus führen, wenn Extremisten die Oberhand in unserer Gesellschaft gewinnen.

Dieser Appell wird vom Internationalen Ravensbrück-Komitee, dem Vertreterinnen und Vertreter aus 16 Ländern Europas angehören, unterstützt.

Die Lagergemeinschaft Im Internet unter lg-ravensbrueck.vvn-bda.de