Jahrhunderte mitgeprägt

geschrieben von Axel Holz

6. November 2021

Ein Heft zu Antisemitismus in Sprache – und jiddischen Bausteinen im Deutschen

Das Duden-Heft »Antisemitismus in der Sprache« umfasst nur 64 Seiten, aber die haben es in sich. Dass Antisemitismus in Deutschland und weltweit ein Problem ist, ist bekannt. Antisemitische Übergriffe haben in den vergangenen Jahren wieder zugenommen. Sie werden im rechten, im linken und im islamistischen Milieu verortet. Der Antisemitismus in der Sprache betrifft aber alle politischen, sozialen und Altersgruppen mehr oder weniger bewusst. Dies hat damit zu tun, dass Jiddisch, die Sprache von ehemals fast zehn Millionen Menschen in Europa, die deutsche Sprache über Jahrhunderte mitgeprägt hat.

Mitunter wird vergessen, dass mit 1.700 Jahren auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik länger jüdische Kultur existiert als christliches Leben. Da ist es auch nicht ungewöhnlich, dass einige jiddische Worte fast unbewusst im Deutschen gebraucht werden. Häufig werden sie als angenehm und charmant empfunden. Dazu gehört beispielsweise das Lehnwort Tacheles, also Klartext reden. Oder das Schmusen, das nur im Deutschen die Bedeutung von Liebkosen hat, in New York aber mehr im Sinne von schwätzen gebraucht wird und dem eigentlichen Sinn im Jiddischen als unterhalten oder plaudern näher kommt. Ähnlich geht es mit dem jiddischen Wort Chuzpe, das Dreistigkeit bedeutet, oder mit dem Schlamassel, der das Unglück, den das jiddische Wort meint, nicht ganz so schlimm erscheinen lässt. In diesem Sinne könnten und sollten jiddische Traditionen in Sprache bewusst fortgeführt werden, weil sie Sprache spürbar bereichern, meint der Buchautor, Journalist und Jurist Ronen Steinke.

Bedeutungsänderung

Anders sieht es mit jiddischen Worten aus, die während ihres langjährigen Gebrauchs eine antisemitische Umdeutung, die dem ursprünglichen Gebrauch widerspricht, erfahren und eine abwertende Bedeutung erhalten haben. So hatte die selbst von einem migrationsfeindlichen Attentat betroffene Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker Demonstranten gegen Corona-Maßnahmen als »verschwörungstheoretische und rechtsextreme Mischpoke« bezeichnet.

Ronen Steinke: Antisemitismus in der Sprache. Warum es auf die Wortwahl ankommt. Duden-Verlag, 2020, 64 Seiten, 8 Euro

Ronen Steinke: Antisemitismus in der Sprache. Warum es auf die Wortwahl ankommt. Duden-Verlag, 2020, 64 Seiten, 8 Euro

Das Wort Mischpoke bedeutet im Jiddischen einfach Familie, bekommt aber eingedeutscht den düsteren, anrüchigen Klang einer verschworenen Gemeinschaft. Dieser Bedeutungswechsel ist nur dadurch zu erklären, dass ein gewisses Bild von Jüdinnen und Juden mit einer antisemitischen, diskriminierenden Bedeutung auf das Wort im deutschen Gebrauch abgefärbt hat. Ähnlich ist es mit zahlreichen Lehnwörtern aus dem Jiddischen. So ist das »Geschachere um Ministerposten« ein solches eindeutig antisemitisch eingefärbtes jiddisches Wort. Es bedeutet im Jiddischen einfach Handel. Die deutsche Sprache macht daraus »Handeln wie ein Jude« und meint die Stigmatisierung von Juden als angeblich unlautere, unsaubere, profitsüchtige Händler mit oder in einer Sache.

Mauscheln, Ische: Gemeinhin »nichts Gutes«

Ein weiteres Beispiel in dieser Reihe ist das Wort mauscheln. Bekannt als Mauschelei beispielsweise im Gemeinderat oder bei der Bankenfusion. Assoziiert werden irgendwie korrupte Dinge, die hinter vorgehaltener Hand besprochen werden. Das Wort stammt vom jüdischen Vornamen Moses, hebräisch Mosche und in der jiddischen Form als Mauschel. Abgeleitet von einem -Spottnamen für jüdische Händler wird es als Synonym für alle Juden eingesetzt, ähnlich wie Ali in rassistischer Absicht für Türken gebraucht wird.

Ebenso ist es mit der Ische, dem jiddischen Wort für Mädchen oder Braut. Niemand möchte eine Ische sein. Auch wenn Berliner gern mal in der Kneipe von ihrer Ische im Sinne von Braut sprechen. Es bleibt ein Ausdruck, den man dem Betroffenen möglichst nicht ins Gesicht sagt. Er transportiert ein Bild, dass Nichtjuden ursprünglich von einer jiddisch sprechenden Frau vor sich hatten: nichts Gutes.

Ausrichtung der Diskriminierung

Die Abwertung von jüdischen Menschen ist Teil des kulturellen Vokabulars, erklärt Autor Steinke. Sie unterscheidet sich vom Rassismus eben dadurch, dass hierbei nicht auf Schwächere nach unten getreten wird, sondern auf die da oben, eine angeblich machthungrige Elite, geschimpft wird. Auch hier wirkt Corona nur wie ein Verstärker für bereits vorhandene antisemitische Anfeindungen mit dem »Weltjudentum« als angeblichem Ursprung allen Übels.

Minderheiten für Katastrophen verantwortlich zu machen ist nichts Neues in der Geschichte. Gerade weil der Großteil der Juden eher arm war, musste ein nicht sichtbarer Vorwurf herhalten. Deshalb nützt es auch wenig, auf den eigentlichen Ursprung bestimmter jiddischer Worte nur zu verweisen, sondern erscheint es sinnvoller, den Gebrauch antisemitisch aufgeladener jiddischer Worte bewusst zu vermeiden.