Organisierter Akt

geschrieben von Andreas Siegmund-Schultze

7. Januar 2022

Ein Blick auf die Proteste von Corona-Leugner:innen in Teilen Europas

Etwas Obskures bot die Szenerie, die sich am 19. Dezember in Frankfurt/Oder abspielte allemal: 150 Corona-Leugner:innen aus Polen und der Bundesrepublik trafen sich zum gemeinsamen Protest. Zu der Demo »in Dammvorstadt« hatte die lokale AfD aufgerufen – so hieß Słubice als Stadtteil von Frankfurt/Oder vor 1945, worauf sich heute eigentlich nur noch Geschichtsrevisionist:innen positiv beziehen. Der Zug sollte auch auf die polnische Seite führen, dem schoben die Behörden aber einen Riegel vor. Grenzenlose Unterstützung gab es dennoch – vonseiten der weit rechts stehenden polnischen Partei KORWiN (Koalition der Erneuerung der Republik Freiheit und Hoffnung). Nicht bekannt ist, ob die Delegation der Ultranationalist:innen aus Polen einmal mehr im Dreieck gesprungen ist, wird ihnen doch von ihren Kameraden von der anderen Seite der Oder quasi Słubice als Teil Deutschlands schmackhaft gemacht. Einige KORWiN- und Polen-Fahnen wehten jedenfalls in Frankfurt/Oder, und die AfD bedankt sich laut Märkischer Oderzeitung anständig »bei den polnischen Grenzschützern, ›die auch uns beschützen‹«.

Der skizzierte Fall der deutsch-polnischen Freundschaft von weit rechts entwickelte keine Dynamik in der Art, wie die Aktionen von Corona-Leugner:innen, die in den letzten Monaten auch im Ausland mit zuweilen zehntausenden Teilnehmenden teils massiv eskalierten. In Frankfurt/Oder blieb es bei 26 Ordnungswidrigkeitsverfahren, weil sich Teile der hier Versammelten nicht an Masken- und Abstandsgebote gehalten hatten. Dennoch: Der Blick auf alle diese Erscheinungen, die das Versammlungsgeschehen in Zeiten der Pandemie mit sich bringt, scheint heute, fast zwei Jahre nach dem Beginn des massenhaften Auftretens, nötig. Gleiten sollte dieser Blick auch über den deutschen Tellerrand hinaus, lassen sich doch wichtige Rückschlüsse aus den Gemeinsamkeiten und Unterschieden ziehen, wie sich die Corona-Leugner:innen jeweils organisieren, und welche Bedeutung explizit neonazistische sowie rechtspopulistische Kräfte dabei spielen.

So manche:r wird sich durch Berichte im September dieses Jahres an die Gemengelage Ende August 2020 vor dem Berliner Reichstag erinnert haben. Diesmal hieß es, hunderte Impfgegner:innen hätten in London versucht, die britische Gesundheitsbehörde zu stürmen. Einige Wochen später berichtete die »Association of School and College Leaders«, dass Impfgegner:innen landesweit in mehrere hundert Bildungseinrichtungen eingedrungen seien und vielfach Pädagog:innen massiv bedroht hätten.

Kundgebung der Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL in Rom am 17. Oktober 2021. Wenige Tage nach dem Angriff auf das Gewerkschaftshaus durch Corona-Leugner:innen beteiligten sich rund hunderttausend Menschen an dem antifaschistischen Protest.  Foto: Fabio Petrini Cgil-Agb

Kundgebung der Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL in Rom am 17. Oktober 2021. Wenige Tage nach dem Angriff auf das Gewerkschaftshaus durch Corona-Leugner:innen beteiligten sich rund hunderttausend Menschen an dem antifaschistischen Protest.
Foto: Fabio Petrini Cgil-Agb

Andernorts marschierten die Massen: In Wien beteiligten sich gleich zweimal in den letzten Wochen Zehntausende an Versammlungen gegen die dortigen Anti-Corona-Maßnahmen. Auch in der extremen Rechten wie der »Identitären Bewegung« wurde europaweit mobilisiert, ebenso hatten beispielsweise katholische Fundamentalist:innen zu den Protesten aufgerufen. Bei der Demo Mitte November gegen den landesweiten Lockdown in Österreich wurden laut Medienberichten immer wieder Journalist:innen beschimpft und angegriffen. Zu den Protesten aufgerufen hatte unter anderem die FPÖ, deren Chef Herbert Kickl aber wegen einer SARS-CoV-2-Infektion davon Abstand nehmen musste, den Zug auch anzuführen. Wie vielerorts auf den Demos der Pandemieverharmloser:innen war auch in Wien immer wieder ein Vergleich zwischen dem Terror der Nazis gegen Jüdinnen und Juden sowie den aktuellen Schutzmaßnahmen gegen die Pandemie hergestellt worden. Anfang Dezember erschienen abermals Zehntausende in der österreichischen Hauptstadt.

Auch in den Niederlanden ist es zumeist ein breites Spektrum, das immer wieder gegen die dort verhängten Maßnahmen auf die Straße geht. Mitte November kam es zunächst in Rotterdam, später auch in anderen Teilen der Niederlande zu massiven Auseinandersetzungen, die von rechten Hooligangruppen angeführt wurden. Die Polizei reagierte mit gezielten Schüssen auf Demonstrant:innen.

In Den Haag ereigneten sich Mitte November in zwei aufeinander folgenden Nächten schwere Auseinandersetzungen zwischen Corona-Leugner:innen und der Polizei. Auch in Brüssel beteiligten sich kurz darauf Zehntausende an Corona-Demos und anschließenden Krawallen. Zwei Wochen später demonstrierten ebenfalls in Brüssel 8.000 Menschen am Sitz der EU. Schon Anfang Oktober hatte es zeitgleich zum EU-Gipfeltreffen in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana schwere Auseinandersetzungen bei einer solchen Demo gegeben.

In Italien, wo innerhalb Europas zu Beginn der Pandemie die Lage besonders schwierig war und bisher mehr als 130.000 Tote zu beklagen sind, kam es in Rom Mitte Oktober bei Protesten von tausenden Impfgegner:innen gegen den »Grünen Pass«, mit dem Beschäftigte ihren Corona-Status nachweisen müssen, zum Sturm auf den Sitz der größten italienischen Gewerkschaft CGIL. Dabei wurden auch mehrere Wachleute verletzt. CGIL-Generalsekretär Maurizio Landini bezeichnete die Attacke später als einen »organisierten Akt faschistischer Gewalt«.

Eine aktuelle Untersuchung des Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM) vergleicht das Wirken von rechten Parteien in Zeiten der Pandemie anhand von zwölf europäischen Ländern. Download:
https://kurzelinks.de/midem-studie

Die empfehlenswerte Arte-Doku-mentation »Impfgegner –
Wer profitiert von der Angst?» ist noch in der Mediathek zu finden:
kurzelinks.de/Impfgegner-Profit