Kampf gegen Narrative

geschrieben von Harald Möller-Santner

5. November 2023

Fluchtmigration und Solidarität in Hamburg

Am 2. September 2018 demonstrierten 16.000 in der Geflüchtetenunterstützung engagierte Hamburger*innen von den Landungsbrücken zum Rathausmarkt. Es war die bis dahin größte Demo in der Stadt für Solidarität mit Menschen, die in -Europa Zuflucht vor Krieg, Verfolgung und Elend suchen. Aufgerufen hatte die »Seebrücke«, die erst im Juni gegründet worden war, weil die Seenotrettung-NGOs keinen sicheren Hafen für gerettete Flüchtlinge fanden. Nur vier Wochen später waren es sogar über 30.000 Demonstrant*innen, die mit der bunten Parade »We’ll Come United« durch Hamburg zogen, angeführt durch Afrikaner*innen der Gruppe »Lampedusa in Hamburg«, Rom*nja aus Osteuropa und andere für ein Bleiberecht kämpfende Geflüchtete. Organisiert war die Parade von einem breiten Bündnis, zu dem der »Aktionskreis Hamburg hat Platz!« (AHHP) gehörte. Dieser ging hervor aus den 33 Organisationen, die die Petition »Hamburg hat Platz!« und die Forderung nach einer sofortigen Aufnahme von mindestens 1.000 Schutzsuchenden aus griechischen Lagern unterstützt hatten.

Unter dem Eindruck der massenhaften Beteiligung an solidarischen Aktionen erklärte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) Hamburg zu einem »sicheren Hafen« für Geflüchtete. Gemeinsam mit seinen Kollegen aus Berlin und Bremen bekannte er sich zu der »gemeinsame(n) humanitäre(n) Pflicht, alles zu tun, um Menschen vor dem Ertrinken zu bewahren«. In Hamburg blieb es jedoch bei Worten. Dem wesentlich verbindlicheren kommunalen Bündnis »Städte Sicherer Häfen« mochte sich der Senat nicht anschließen. Ihm gehören 123 Städte und Gemeinden an, darunter die anderen acht größten Städte Deutschlands. Man verschanzte sich hinter Beschlüssen des damaligen Heimatministers Horst Seehofer (CSU), der die Migration zur »Mutter aller Probleme« erklärt, und Landesaufnahmeprogramme (LAP) in Thüringen und Berlin verboten hatte. Man verweigerte sogar den beiden Ländern die Unterstützung für eine Gesetzesinitiative im Bundesrat, die LAP ohne Zustimmung des Bundesinnenministeriums erlaubt hätten.

Mitglieder des AHHP, des Bündnisses Hamburger Flüchtlingsinitiativen (BHFI) und der GEW erarbeiteten 2019 einen Appell, der zum Gründungsdokument der »Solidarischen Stadt Hamburg« wurde. Das Dokument, das innerhalb weniger Monate 86 Initiativen, Organisationen, Einrichtungen und Netzwerke unterzeichnet hatten, verlangt, dass Hamburg sich zur »Solidarity City« erklärt und sich damit nicht nur zur freiwilligen Aufnahme von Schutzsuchenden, sondern auch zur Solidarität mit allen Ausgegrenzten, Diskriminierten und prekär Lebenden verpflichtet. Ende 2019 trat das »SoliStadt«-Bündnis mit einer Aktionswoche erstmals in Erscheinung. Am 18. September 2021 organisierte »SoliStadt« die »Rettungskette #HandinHand für die Menschenrechte« mit 1.000 Teilnehmer*innen und einem großen Echo in den Lokalmedien.

Der Senat bekannte sich im Koalitionsvertrag vollmundig zur »solidarischen Stadt Hamburg«, legte den Begriff »Solidarität« aber stets sehr selektiv aus. So wurden während der Pandemie Krankenhausbeschäftigte zu Recht beklatscht, Geflüchtete aber zusammengepfercht, bis es zu den vorhersehbaren Corona-Ausbrüchen kam. Nach dem Überfall von Putins Armee auf die Ukraine wurden ukrainische Bürger*innen unbefristet aufgenommen, aber etliche mit ihnen geflüchtete Drittstaatsangehörige schon wieder abgeschoben.

Die Mobilisierungsfähigkeit der Bewegung für Menschenrechte von Flüchtlingen hat auch in Hamburg -drastisch abgenommen – eine Folge der vielen globalen Krisen, interner politischer Differenzen und nicht zuletzt der von extremen Rechten ausgelösten rassistischen Kampagne gegen Fluchtmigration, mit der ein Großteil der Medien und sogar Parteien der linken Mitte wieder einmal eine Bedrohung durch »Flüchtlingsströme« herbeifantasieren. Die Aktiven der »SoliStadt« konzentrieren sich daher in diesen Tagen auf den Kampf gegen diese Narrative und auf eine faktenbasierte Gegenerzählung zu den Bedrohungsfantasien der Rechten: Deutschland hat ausreichend Platz, Ressourcen und Geld für die Aufnahme von Menschen, die vor Gewalt und Elend fliehen. Zentral ist die Verteidigung des Asylrechts und des universellen Menschenrechts auf ein menschenwürdiges Leben. Am 3. Oktober 2023 erinnerten sie und andere Aktivist*innen mit einer Aktion »1.000 Boote in die Alster!« daran, dass vor zehn Jahren 600 Menschen vor Lampedusa ertranken.