Keine Monster zeigen

geschrieben von Axel Holz

7. März 2022

80 Jahre Wannseekonferenz: Wie kann die Erinnerung gegenwärtig bleiben?

Der 20. Januar 1942 war über Jahrzehnte kaum beachtet in der Erinnerungskultur, obwohl die einzige Ausfertigung des Protokolls der Wannseekonferenz für die Forschung schon lange – in der alten BRD spätestens seit Ende der 50er Jahre – zur Verfügung stand.

Es war die Ausfertigung für das Auswärtige Amt, die Unterstaatssekretär Martin Luther als Teilnehmer der Konferenz erhielt, der selbst 1943 ins KZ Sachsenhausen als »privilegierter Schutzhäftling« kam und kurz nach Kriegsende starb.

In Wannsee war er einer von 14 Vertretern der SS, Nazipartei und Ministerialbürokratie neben Reinhard Heydrich. Der ließ das Treffen durch seinen Leiter des »Judenreferats« im Reichssicherheitshauptamt, Adolf Eichmann, vorbereiten. Es war nicht der Auftakt zum Judenmord, wie gelegentlich kolportiert wird, denn der war in Polen und der Sowjetunion im Baltikum, Belorussland und der Ukraine längst im Gange.

Einer der Konferenzteilnehmer war Dr. Rudolf Lange, der mit dem Flugzeug angereist war und als Kommandeur des Einsatzkommandos 2 bis Dezember 1941 etwa 60.000 lettische und nach Lettland deportierte Jüdinnen und Juden ermorden ließ. Heydrich bezweckte mit der Konferenz, die Ermordung der elf Millionen europäischen Juden insgesamt zu koordinieren und die SS selbst als maßgebliche Instanz für den Judenmord zu etablieren.

»Die Wannseekonferenz«, historischer Spielfilm, 104 Minuten, Regie: Matti Geschonneck, noch bis Ende Januar 2023 in der ZDF-Mediathek. kurzelinks.de/­wannseekonferenz-zdf

»Die Wannseekonferenz«, historischer Spielfilm, 104 Minuten, Regie: Matti Geschonneck, noch bis Ende Januar 2023 in der ZDF-Mediathek. kurzelinks.de/­wannseekonferenz-zdf

Der hieß in der bürokratischen Sprache der Nazis »Evakuierung« oder »Endlösung«, Menschen sollten »einwaggonniert« und »sonderbehandelt« werden. In dem neuesten, im Januar im ZDF ausgestrahlten Film zur Wannseekonferenz von Schauspieler und Regisseur Matti Geschonneck, Sohn des KZ-Überlebenden und Schauspielers Erwin Geschonneck, sprechen die Protagonisten erst in der Konferenzpause Klartext über den geplanten und schon laufenden Massenmord. Nebenbei erfährt der Zuschauer aus Gesprächen von SS-Einsatzgruppenleitern, wie der Judenmord im Osten abläuft.

Geschonneck ging es in seiner Verfilmung darum, keine Monster zu zeigen, sondern neben erfahrenen SS-Mördern gebildete Ministerialbeamte zu Wort kommen zu lassen. Es ging um das Ringen um »Lösungen«, um Rangstreitigkeiten, Kompetenzabgrenzungen und Ressortinteressen, also all das, was viele aus dienstlichen Besprechungen noch heute kennen. Über den Holocaust wurde in der Industriellenvilla am Wannsee wie über die Vermarktung eines neuen Produkts gesprochen – streitbar, engagiert und kalt. Hannah Ahrend hatte das später die »Banalität des Bösen« genannt. Heydrich erscheint im Film umgänglich und zugleich skrupellos führungsorientiert. Ein Mann, der den anderen in Präzision, Strategie und Schärfe weit überlegen war. Der gute Organisator hatte nichts dem Zufall überlassen – von der Auswahl der Konferenzteilnehmer über ihre Platzierung, die Agenda und gediegene Atmosphäre bis zur Moderation der mörderischen Veranstaltung. Da war nicht viel zu spüren von dem Menschen, der seinen Bruder gequält und eigenhändig als Geheimdienstchef Menschen beseitigt hatte, bevor er den Judenmord organisierte.

Der Film zeigt aber auch, wie es einem Politiker gelingen kann, jeglichen Widerspruch im Keim zu ersticken. Der Film folgt dem Protokoll als einzigem unmittelbaren Zeugnis der Konferenz, denn Heydrich ließ nach der Tagung die stenografischen Rollen und Teilnehmernotizen einsammeln. Dies war wieder eine typische Handlungsweise im NS-System, die Verbrechen möglichst geheim zu halten und die Mitwisser unausweichlich zu Komplizen zu machen. Dabei hat jeder seinen Platz beim gemeinsamen Geschäft. So wie die SS die »Drecksarbeit« machen musste, wie SS-Mann Rudolf Lange berichtet und um die Moral seiner Truppe fürchtet, kämpft der Ministerialrat in der Reichskanzlei, Wilhelm Kitzinger, bei dem Treffen um die Erhaltung des juristischen Rahmens der Judenverfolgung, die derselben die staatliche Legitimation geben sollte.

Auch hier geht es wieder darum, die Bevölkerung als Anhänger zu motivieren und zu beruhigen. Man hatte helle Ohren für die Sensibilität der Bevölkerung, als die Mehrheit 1933 das erste geplante Judenpogrom der NS-Geschichte verweigerte, nach der offiziellen T4-»Euthanasie« erheblicher Widerstand aus der Kirche kam und in der Rosenstraße Frauen die Herausgabe ihrer jüdischen Männer forderten. Vielleicht ist dies das Geheimnis des Erfolgs der Nazis, die ihre Anhänger und die meisten Übrigen zunehmend einspinnen konnten und umso brutaler jeglichen Widerstand unterdrückten. Geschonnecks Film hält den Zuschauer auch lange nach dem Anschauen im Bann.

Das hatten auch schon der ARD-Film zur Wannseekonferenz von 1984 und die britisch-amerikanische Koproduktion »Conspiracy« von 2001 geschafft, teilweise bereits durch nachfolgende Dokumentationen ergänzt. Geschonneck unterstreicht 2021, dass der Film Fik­tion ist, seine Interpretation. Da passt es nicht, dass in der auf den Film folgenden Doku Szenen des Streifens wie Zeitdokumente präsentiert werden. Philipp Hochmair wollte in der Heydrich-Rolle 2021 erreichen, dass wir verstehen: Grauenhaftes wird verhandelt. Es bleibt zu hoffen, dass nicht nur Verstörung zurückbleibt.