Die ersten Internationalen
13. September 2016
Die »Grupo Thaelmann« gründete sich im Juli 1936
»Die Nation ruft -euch auf…« begann ein Manifest, mit dem sich Francisco Franco Bahamonde, Generalkommandant der Kanaren, am 18. Juli 1936 an »Alle Spanier« wandte, und mit dem vor allem alle Militärangehörigen aufgerufen wurden, sich der »Erhebung«, dem »alzamiento militar«, gegen die »revolutionären Horden« anzuschließen. Grundsätzlich aber war Spanien zu diesem Zeitpunkt keine Hochburg des Kommunismus, sondern eine bürgerlich-demokratische Republik, in der die politische Klasse noch immer dem Volk misstraute. Sie unterschätzte auch sträflich die Gefahr, die von dem putschbereiten Militär ausging, das die vorhergehenden Jahre genutzt hatte, seine Reihen von linken Offizieren und Soldaten zu säubern und dessen reaktionäre Offiziere, sich mit der 1933 gegründeten »Unión Militar Española« eine republikfeindliche Organisation geschaffen hatten, die das geistige und logistische Zentrum der »sublevación«, der »Erhebung« werden sollte.
Aber der größte Teil der Nation, der die Proklamation Francos vom 18. Juli galt, reagierte anders. Obwohl die Regierung von Casares Quiroga bis zu diesem Zeitpunkt geglaubt hatte, bei der Verschwörung handle es sich um einen der üblichen »pronunciamientos«, einer Erhebung der Militärs, der man mit Versetzungen begegnen könne, und die weiterhin die Bewaffnung des Volkes ablehnte, reagierte dieses Volk, reagierten die Antifaschisten und die linken Organisationen und Parteien. In den wichtigsten Städten wie Madrid, Barcelona und Valencia stürmten die Antifaschisten die Kasernen des putschenden Militärs und stoppten dessen geplanten Siegeszug. Unter denjenigen, die versuchten, die rechtmäßig gewählte Volksfront-Regierung zu verteidigen, waren auch deutsche Emigranten.
Spanien gehörte zunächst nicht zu den klassischen Exilländern der Deutschen, die ihr Land wegen des Terrors der Nazis verlassen mussten. Die Situation änderte sich mit dem Sieg der Volksfront im Februar 1936. Unkomplizierte Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen erleichterten überdies die Entscheidung, nach Spanien zu gehen. Antifaschistische Ausländer, darunter auch Deutsche, hielten sich auch wegen der für den 19. Juli 1936 geplanten Volksolympiade vor allem in Barcelona auf.
In Gefolge des Putsches kam es in verschiedenen großen Städten zu spontanen Abwehrkämpfen. Zunächst bestenfalls organisiert durch die mächtige anarchosyndikalistische Gewerkschaft CNT (Confederación Nacional de Trabajo) und die sozialistische UGT (Unión General de Trabajadores), stellte sich das einfache Volk, vor allem Arbeiter, Angestellte und linke Intellektuelle, den reaktionären Putschisten in den Weg. Erstmals in Europa schien es dem Volk zu gelingen, den Siegeszug der Reaktion, des Faschismus aufzuhalten.
Als die Kraft der Putschisten in Barcelona gebrochen war, vereinigten sich dort am 23. Juli vier Arbeiterparteien zum PSUC, zur Sozialistischen Einheitspartei Kataloniens. Am gleichen Tag schlossen sich achtzehn der Teilnehmer an den Straßenkämpfen in Barcelona, acht Deutsche, sieben Polen, zwei Schweizer und ein Engländer zu einer Kampfgruppe zusammen, die zu einer der ersten internationalen Einheiten gehörte und die sich den Namen »Grupo Thaelmann« gab. Es war die Zeit, in der dem »Milizgesetz« der Regierung über die Bildung militärischer Formationen folgend, alle linken Parteien Milizen gründeten. Unmittelbar nach ihrer Gründung zog diese Gruppe mit der von den UGT- und PSUC-Funktionären José del Barrio und Manuel Trueba gegründeten Columna Trueba-del Barrio an die Huesca-Front und nahm dort an den Kämpfen nahe dem Städtchen Tardienta teil.
Tardienta sollte dann für einige Zeit der Stützpunkt der Columna werden. Die Columna hatte inzwischen den Namen »Carlos Marx« angenommen, aus ihr ging später die 27. Division »Carlos Marx« der Spanischen Volksarmee hervor. Zunächst aber setzte sich diese Einheit aus 800 Personen zusammen, die jedoch nur 600 Gewehre zur Verfügung hatten. In der Columna kämpften in den ersten Monaten, ebenso wie in anderen Milizen, auch Frauen, die aber dann im Zuge der sogen. »Militarisierung« der Milizen auf Befehl des Verteidigungsministeriums von der Front abgezogen wurden.
Die »Militarisierung«, die auch erfahrene deutsche Offiziere wie Ludwig Renn forderten, bedeutete die Einführung hierarchischer Befehlsstrukturen, unterschiedliche materielle Ausstattung von Offizieren und Mannschaftsdienstgraden, vor allem aber die Abschaffung der für die Milizen typischen basisdemokratischen Willensbildung. Gerade das war für viele Ausländer, die in ihren Herkunftsländern gegen das Militär und die bürgerlichen Armeen aufgetreten waren, ein großes Problem. So verließen z.B. mit Egon Illfeldt und Kurt Hessenthaler zwei deutsche Kameraden die ohnehin kleine Thälmann-Gruppe und stellten sich in Barcelona der CNT zur Verfügung. Letztlich sahen sich dann aber auch die anarchistischen Milizen gezwungen, sich den militärischen Notwendigkeiten zu beugen und zu regulären Armeeeinheiten zu werden.
Während der Kämpfe erhielten die Angehörigen des Grupo Thaelmann die Nachricht, dass Ende August aus Frankreich angekommene KPD-Funktionäre unter der Leitung von Hans Beimler eine weitere bewaffnete Einheit mit dem Namen »Ernst Thälmann« gegründet hatten. Diese Einheit, die später mehr Aufmerksamkeit erfahren sollte als die Thälmann-Gruppe, nannte sich »Centuria Thälmann«, gehörte der von Ferrán Gancedo kommandierten Columna »19.Julio« an und wurde militärisch zunächst von Albert Schreiner, dann von Hermann Geisen, und politisch von Hubert von Ranke (»Moritz Bresser«) geleitet. Die Centuria war natürlich mit ca. 190 Kämpfern, unter ihnen über sechzig Deutsche, ungleich größer als die Thälmann-Gruppe. Als beide sich aber bei dem Sturm auf die nahe Tardienta liegende Anhöhe trafen, auf der sich die umkämpfte Eremitage de Santa Quiteria befand, kam es wegen militärischer Differenzen zu keiner Vereinigung. Die inzwischen kampfgeübten Genossen der kleinen Thälmann-Gruppe sahen ihre vornehmste Aufgabe darin, den spanischen Milizionären ihre Erfahrungen weiterzugeben und deren politische Haltung zu festigen. Albert Schindler hingegen, weltkriegserfahren, wollte diese Genossen hauptsächlich als Kämpfer für seine Centuria. Die Genossen stimmten darüber ab und blieben als Gruppe bestehen.
Allerdings zeigten nicht nur die oft chaotischen Kampfeinsätze der Milizen, sondern auch die genannten Differenzen die Grenzen auf, die das Milizsystem gegenüber einer regulären Armee besaß. Gerade der verlustreiche Kampf um die Eremitage, die einige Male eingenommen wurde, aber wegen Nachschubproblemen wieder aufgegeben werden musste, war dafür ein Beispiel. Auch verfügten die meisten der Kämpfer beider Einheiten über keinerlei militärische Erfahrungen, außerdem wurde der Mangel an Waffen in der ersten Zeit noch durch das völlige Fehlen von Kommunikationstechnik übertroffen. Max Friedemann gelang es, Feldtelefone zu organisieren, später sollte er in der Volksarmee eine Schule für Fernmeldetechnik leiten.
Die vielen Probleme der Anfangszeit verhinderten unter anderem auch, dass die strategisch wichtige Eisenbahnlinie Zaragoza-Huesca unterbrochen werden konnte. Die Kämpfer mussten aus der Ferne mit ohnmächtigem Zorn wahrnehmen, wie die Franquisten mit der Bahn Zug um Zug ungehindert ihre Leute an die Front bringen konnten. Die Verluste unter den Internationalen waren hoch, die Centuria Thälmann verlor fast die Hälfte ihrer Kämpfer durch Tod oder Verwundung. Als sie zur Reorganisation nach Barcelona zurückgeführt wurde, waren sie so wenige, dass Hans Beimler mit dem Ausruf »Ihr seid Helden« jeden einzelnen umarmen konnte.
Am 27. September 1936 rief das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale dazu auf, für die Verteidigung der Spanischen Republik internationale Freiwilligenverbände aufzustellen. Die Verantwortung dafür lag bei den jeweiligen kommunistischen Parteien, der Aufruf aber richtete sich an alle Antifaschisten, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit, ihrer Religion oder Nationalität. Nachdem am 22. Oktober die Komintern-Funktionäre Luigi Longo, Pierre Rebière und Stefan Wisniewski dem sozialistischen Ministerpräsidenten Largo Caballero die Zustimmung abgerungen hatten, internationale Freiwilligenverbände zu gründen, wurde in Albacete in der La Mancha sofort damit begonnen, die Internationalen Brigaden zu organisieren. Der Kasernenkomplex von Albacete, den zuvor das »5. Regiment«, die aus der Milicia Popular der KP Spaniens hervorgegangenen Armeeeinheit, den Putschisten abgenommen hatte, wurde nun den Internationalen als zukünftige Base zur Verfügung gestellt. Als erste Internationale Brigade wurde die XI. Brigade unter Mitwirkung der deutschen Offiziere Ludwig Renn und Hans Kahle aufgestellt, die seit dem 1. November Manfred Stern (Emilio Kléber), danach Hans Kahle kommandierte. Die Überlebenden der Centuria »Thälmann« marschierten nach Albacete und wurden in das erste Bataillon der XI. Internationalen Brigade eingegliedert. Während der Schlacht um Madrid schloss sich auch der Rest des »Grupo Thälmann« dieser Brigade an, die hier ihre Feuertaufe erhielt und trotz gewaltiger Verluste einen enormen Anteil der Rettung Madrids vor dem Ansturm der Franquisten hatte.
Zwischen den Deutschen, die in Spanien nunmehr die Chance sahen, dem Faschismus mit der Waffe in der Hand entgegenzutreten, herrschten oft schroffe ideologische Gegensätze. Obwohl sie sich im Antifaschismus und der Notwendigkeit der Verteidigung der Demokratie einig waren, konnten die Differenzen, die sich letztlich schädlich für den Kampf zur Erhaltung der Republik auswirken sollten, nicht überwunden werden. Aber bleiben wird: Etwa 4000 deutsche Männer und Frauen halfen bei der Verteidigung der Spanischen Republik und der Revolution in Spanien. Viele von ihnen opferten dafür ihr Leben. Alle diese Männer und Frauen verkörperten das bessere Deutschland gegenüber denen, die im deutschen Namen zwei Jahre später Europa mit Krieg, Konzentrationslagern, mit Mord, Not und Verderben überzogen.
Zu den Deutschen, die in Barcelona am Sturm auf die von den Putschisten gehaltenen Kasernen teilnahmen, gehörte auch Max Friedemann, Deutscher jüdischer Herkunft und Kommunist. Eine Waffe, sagte man ihm, müsse er sich selbst erobern, zumindest aber, erzählte er später, sollte ihm innerhalb einer Minute beigebracht werden, wie ein Gewehr funktioniert.
Zu den deutschen Freiwilligen, die im Juli/ August 1936 gegen die Putschisten an die Aragón-Front gingen, gehörten aber auch diejenigen, die in den CNT-nahen Milizen den Grupo Internacional »Erich Mühsam« der Columna Ascaso und den Grupo bzw. der Compania Internacional der Columna Durruti gebildet hatten. Andere wiederum kämpften in den Reihen des Bataillons Roviera, einer Einheit der von der kleinen Arbeiterpartei POUM organisierten Columna »Lenin«.