Laut einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts Emnid könnten sich 18 Prozent der Deutschen vorstellen, eine von Thilo Sarrazin geführte Partei zu wählen. Diese Umfrage war im Winter 2010/11 und reflektierte das gesellschaftliche Echo auf das rassistische Buch »Deutschland schafft sich ab« des prominenten SPDlers Sarrazin. Der vermeintliche Ruf nach einer rechtspopulistischen Partei war laut genug, dass sich Teile des rechten Bundes Freier Bürger, sowie liberal-konservative Eurokritiker*innen mit CDU/FDP-Parteikarrieren Erfolgschancen ausrechneten, um die Regierung Merkel mit einem Bündnisprojekt von rechts unter Druck zu setzen. Sarrazin und die Gründungsmitglieder der AfD, die mit ihrer »Wahlalternative 2013« erstmalig antraten, sind vergessen, wie die Wirtschaftskrise von 2010 – die der eigentliche AfD-Gründungsmythos ist. Geblieben ist diese Partei, mit einer nunmehr extrem rechten Führung, und das Wähler*innenpotential, das nun auch realisierbar ist.
Wer sich über die Ursachen der Radikalisierung der Partei und die Auswirkungen auf uns alle Gedanken macht, sollte die absichtsvollen Bemühungen des sogenannten demokratischen Spektrums und die Rolle der zum Erfolg der AfD maßgeblichen Medien berücksichtigen. Mit Blick auf die deutsche Geschichte und die jüngeren Entwicklungen in vielen anderen Ländern, waren schon 2012 die Dynamiken vorhersehbar, die durch die Mobilisierung von Angst, Wut und Nationalismus entstehen. Trotzdem wurde und wird weiter verantwortungslos mit dem Feuer gespielt.
Nach zehn Jahren AfD hat sich einiges verändert, und wir müssen konstatieren, dass auch wir als Antifaschist*innen womöglich in die nächste Phase der Auseinandersetzung eintreten müssen: Was ist zu tun, wenn der Faschismus, ob nun als durchsetzungsfähige Minderheit oder im Bündnis mit Opportunist*innen aller Couleur, entscheidend das Miteinander hierzulande, die EU und die Außenpolitik prägt? Es macht sehr wohl einen Unterschied, ob die AfD in den Parlamenten, Rathäusern und Sicherheitsapparaten sitzt. Das wissen wir, nicht erst seit ein rechtes Parteienbündnis in Italien die Regierung übernommen hat. Da es darauf keine einfachen Antworten gibt, sollte der Dialog dazu, was von wem zu tun ist, bald starten, bevor es wieder zu spät ist. Weitere zehn Jahre können wir uns nicht leisten.
Inhalt der Ausgabe
Zeitgeschehen
Brandmauern, Zündler, Feuerwehr (Kerstin Köditz)
Niger: Der »richtige« Ort (Ina Sembdner)
Besondere Kombination: Fachkräfte und Asylrecht (Nils Becker)
Henstedt-Ulzburg: Der Täter war bereit zu töten (Sonja Petersen)
Zum Sommerinterview von Höcke: Inklusion ist keine Ideologie (Sigrid Falkenstein, Julia Gilfert, Gabriele Lübke)
Sächsische Schweiz: Antifa-Wanderseminar (Maxi Schneider)
Zum AfD-Parteitag: Sie wittern die Macht (Thomas Willms)
Militärische Planspiele in der Ukraine (IPPNW)
Meldungen
Interview: Kein CSD ohne Antifa (Kathrin Vogler)
»Rechtsrockland« Thüringen (Martina Renner)
Hubert Aiwanger unter Druck (Janka Kluge)
Archive der VVN: Neueröffnung des Hartmut-Meyer-Archivs in Köln
Leserbriefe: »Querfront« in der Weimarer Republik? zu Spezial Juli/August.
Leserbrief: Die Staatsnähe der französischen Medien zu „Demokratische Militarisierung“ (Juli/August)
Spezial
Rechte Medienprojekte und digitale Mobilisierungen (Maik Fielitz)
Neues rechtes Hetzmedium: Nius (Andreas Siegmund-Schultze)
Portrait: Marianne Wilke (Matthias Behring)
Geschichte
Die internationalistische Chile-Solidaritätsbewegung vor 50 Jahren (Ulrich Schneider)
Bildungsreise zum jüdischen Exodus 1947 in Österreich (Peps Gutsche)
Internationales
Türkische Kriegsverbrechen gegen Kurd:innen und Êzîd:innen mit EU-Hilfe (Civaka Azad)
Die FIR auf dem Weg zum XIX. Kongress in Barcelona (Ulrich Schneider)
Partisanen-Wanderung Region Emilia-Romagna (Johanna Jawinsky)
Kultur
Volkstheater. Der rechte Angriff auf die Kunstfreiheit (Janka Kluge)
Interview zur Podcastreihe: „Qabale“ (Juliet Schnabel)
Fritz-Bauer-Forum in Bochum (Ulrich Sander)
Verfassungsschutz. Wie der Geheimdienst Politik macht (Sebastian Schröder)
Lesebuch zu Harry und Martha Naujoks (Henning Fischer)
Föhrenwald, das vergessene Schtetl (Harry Friebel)
Faschismus, Antifaschismus und Epoche sozialer Revolution (Regina Girod)
Phantastische Gesellschaft. Falsche und imaginierte Familiengeschichten zur NS-Verfolgung (Nils Weigt)
Kroatische Exilgruppen in der Bundesrepublik (Peter Nowak)
Rücktitel: Ula Richter