Abgründe und Untiefen

geschrieben von Friedrich Leidinger

5. September 2013

Die Geschichte von Deutschen und Polen im Deutschen Historischen
Museum

Juli-Aug. 2009

Unser Autor, der Psychiater Dr. Friedrich Leidinger, ist stellvertretender Vorsitzender der »Deutsch-Polnischen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland e.V.«

Wer die Sonderausstellung »Deutsche und Polen – 1.9.39 – Abgründe und Hoffnungen« im Berliner Deutschen Historischen Museum besuchen will, muss – um in den Ausstellungstrakt von I.M.Pei zu gelangen – nach der Eingangshalle zunächst den Hof des ehemaligen Zeughauses durchqueren. Der Betrachter wird den von einer Glaskuppel überwölbten Hof des frühbarocken Baumeisters Andreas Schlüter in der Ausstellung wieder entdecken – hier wurden nach dem Septemberfeldzug 1939 von der polnischen Armee erbeutete Waffen zum Zeichen des Sieges der deutschen Wehrmacht ausgestellt. Es ist – leider – einer der wenigen Momente, in denen diese Ausstellung dem Anspruch gerecht wird, der notwendigerweise an sie zu richten ist, nämlich, etwas Bedeutsames zu diesem Gedenkjahr 1939 zu sagen. Denn diese Ausstellung, die an außerordentlicher Stelle und in einer Zeit außerordentlicher Spannungen als Folge der nur mühsam verhüllten Gegensätze zwischen Polen und Deutschland mit großem Aufwand entstand, ist nach Form und Inhalt schwach und in mancher Hinsicht geradezu ärgerlich, als wolle sie sich selbst als eine Pflichtübung entlarven, die den beteiligten Autoren eher unangenehm und lästig gefallen ist.

Dabei war die Aufgabe dieser Ausstellung zum 70. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen für das Team des DHM und die aus beiden Ländern hinzugezogenen historischen Berater von Rang zweifellos eine reizvolle Herausforderung. Es wäre eine spannende Frage gewesen, den Ursprüngen jener Exzesse von Gewalt und Terror nachzuspüren, die historischen Pfade nachzuzeichnen, die von der »Polenfreundschaft« des Vormärz bis zu jenen Ereignissen führen, die wir mit Begriffen wie »Holocaust« und »Völkermord« nur unvollkommen zu fassen versuchen. Und es ist mit Sicherheit kein Mangel an Objekten, die einen analytischen Versuch über das schicksalhafte deutsch-polnische Verhältnis konkret belegen und verdeutlichen könnten.

So liefert der erste Teil des auf zwei Ebenen angelegten Ausstellungsparcours eine große Zahl von Zeugnissen über das Auseinanderdriften der Polen und der Deutschen in der Zeit der Herausbildung des Nationalstaates, der für Deutschland mit dem Scheitern der demokratischen Revolution und dem Entstehen eines antidemokratischen Militärregimes und einem Operettenkaiser an seiner Spitze seine Erfüllung fand. Der Architekt dieses Staates, Bismarck, war sich bewusst, dass für eine dauerhafte Sicherung dieses »Reiches« eine völlige Vernichtung Polens die Voraussetzung wäre. Für Erich Ludendorff, Stratege des deutschen Generalstabs im Ersten Weltkrieg, war die Verlegung der Reichsgrenzen um mehr als 200 km nach Osten und die Deportation der gesamten polnischen Bevölkerung wichtigstes Kriegsziel. Ludendorffs Plan findet unverdient in dieser Ausstellung keine Erwähnung, unverdient, weil dieser Plan nur 20 Jahre nach seiner Niederlage im September 39 mit der Teilung Polens seine erfolgreiche Wiederauferstehung feierte. Stattdessen nehmen die nationalistischen Propagandafeldzüge der Zwischenkriegszeit großen Raum ein, größer als z.B. die Beschreibung des Versailler Abkommens und die beharrlichen Aktivitäten der fast alle Parteien umfassenden großen Koalition der Revisionisten im Berliner Reichstag, die sich mit dem wiederentstandenen Polen und seinen Grenzen nicht abfinden wollten.

Fast zufällig aus einem Bildarchiv ausgewählt wirken die Exponate zum zentralen Teil der Ausstellung, dem Krieg und der Okkupation von 1939 bis 1945. Die meisten dieser Bilder – auch die eindrucksvollen Fotos aus dem Warschauer Ghetto – dürften die Besucher schon einmal gesehen haben. Aber welche Ziele verfolgte das nationalsozialistische Deutschland mit seiner Polenpolitik? Hier bleibt die Ausstellung wichtige Antworten schuldig. Dass der biologische Rassismus, der sich in der Vorkriegszeit vor allem gegen Juden und »Zigeuner« sowie gegen »Erbkranke« richtete, innerhalb weniger Wochen auf die Slawen allgemein, und die Polen insbesondere ausgedehnt werden konnte, dass zwischen beiden – Polen und Juden – nur noch ein quantitativer, aber bezüglich ihres »Untermenschentums« kein qualitativer Unterschied mehr gemacht wurde, das verschweigt die Ausstellung zwar nicht, aber erschließt es nur fragmentarisch mit dem Hinweis auf den »Rassenwahn«, der sich »auch gegen die slawische Bevölkerung« richtete, und eher kursorischen Hinweisen zu Heinrich Himmlers »Generalplan Ost« oder zur »Polendenkschrift« Theodor Schieders. Doch hier ging es um die systematische Vernichtung eines Volkes als ethnokulturelle Gruppe durch Ermordung seiner Intelligenz, durch Deportation und Zwangsarbeit, durch anthropologische Selektion und Vernichtung der nicht brauchbaren, durch systematische Versuche, mit Ziel, die biologische Fortpflanzung des ganzen Volkes zu kontrollieren und zu begrenzen. In Zamosz, während der Okkupation umbenannt in »Himmlerstadt«, lautete die Aufgabe des »SS-Sonderlaboratoriums« nicht allein die polnische Bevölkerung zu vertreiben, um Platz für volksdeutsche Umsiedler aus Bessarabien zu schaffen, sondern auch, die für eine »Arisierung« geeigneten Kinder unter zwei Jahren zu identifizieren und über die Aktion »Lebensborn« an ideologisch zuverlässige deutsche Familien zu adoptieren. Mehrere tausend Kleinkinder sind auf diese Weise eingedeutscht worden, die meisten wissen bis heute nichts davon.

Das Kriegsende mit den für die aktuellen Kontroversen so wichtigen Themen »Flucht«, »Umsiedlung« und »Vertreibung« wird eher gestreift, denn wirklich behandelt. Dabei gäbe es ausreichende Gründe, dem Thema andere Aspekte abzugewinnen, als die vor eineinhalb Jahren gezeigte Ausstellung »Erzwungene Wege«, zumal die Experten auf beiden Seiten einen großen Konsens über das Verständnis dieser bis in die Gegenwart wirkenden Vorgänge hergestellt haben. Die nun folgende Nachkriegsepisode scheint in der Sichtweise der Ausstellung im wesentlichen von Aufmärschen der Landsmannschaften in der BRD, von Willy Brandts Ostpolitik , von »verordneter Freundschaft« in der DDR und von »Päckchen für die Solidarnosz« und dem polnischen »Ja zur Wiedervereinigung« gestaltet zu sein. Man mag noch so viel Verständnis für die Notwendigkeit zu reduzieren aufbringen, die Einseitigkeit der Darstellung bleibt ein Ärgernis. Sie ignoriert die große politische Leistung der DDR-Regierung mit der Anerkennung der polnischen Westgrenze an Oder und Neiße im Juli 1950 genauso wie die Komplexität der gesellschaftlichen Kontakte zwischen beiden benachbarten Ländern. Das in der Ausstellung gezeigte Plakat für Frieden und Völkerfreundschaft mag den heutigen Betrachter in seiner Sprache und Stilistik befremden, es formuliert jedoch den starken Wunsch vieler Menschen in dieser Zeit, auch in der Bundesrepublik übrigens.

Kaum verständlich bleibt der Hinweis auf die Affäre um den Film »Der Aufenthalt« nach Hermann Kants Roman auf der Berlinale 1983. Das klägliche Versagen der polnischen Kulturfunktionäre vor einem Film, der die zentralen Fragen von Schuld und Verantwortung thematisierte, wurde nicht weiter erklärt. Es fehlte auch jeder Hinweis auf den historischen Ursprung dieses Themas, die Bemühungen polnischer und deutscher Antifaschisten um junge deutsche Soldaten in den Ruinen des befreiten Warschau, denen sie eine demokratische, am klassischen bürgerlichen Wertekanon orientierte Erziehung zum Frieden zuteil werden ließen.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass es auch in der BRD einen (außerparlamentarischen) Widerstand gegen den Mief der Restauration und des Revisionismus der staatstragenden Parteien Union, SPD und FDP gab, der sich zwar bis Ende der 1960er nicht durchsetzen konnte, ohne den aber die politische Klasse der BRD den von den westlichen Verbündeten dringend geforderten Politikwandel gegenüber den sozialistischen Ländern noch später vollzogen hätte. So endet die Ausstellung letztlich mit der Verneinung ihrer eigenen, allerdings kaum ausgeführten Anfänge, indem sie das Fortdauern des deutsch-polnischen Gegensatzes nach Kriegsende nicht etwa mit seinen nicht beseitigten Ursachen, dem fortwährenden Festhalten am »Reich«, sondern mit dem Kalten Krieg und der kommunistischen Politik in Osteuropa zu erklären versucht. Etwas ratlos stehen wir schließlich vor Miroslaw Kloses Fußballschuhen: Welche Hoffnung soll mit dieser ihrer historischen Zusammenhänge weitgehend entkleideten Ausstellung eigentlich ausgedrückt werden? Am 6. September wird die Ausstellung geschlossen.