Antisemitismus

geschrieben von Regina Girod

5. September 2013

Hat er in der DDR fortgewirkt?

Jan.-Feb. 2011

Kurt Pätzold »Die Mär vom Antisemitismus« edition ost 2010. 5,95 Euro

Dieses Büchlein ist eine Streitschrift. Schon der Titel verrät, was sein Autor von den Thesen des Bandes hält, den er sich vorgenommen hat. Nämlich nichts. Eine Mär ist etwas Ausgedachtes, vielleicht sogar Erlogenes, einer Überprüfung hält sie jedenfalls nicht stand. Und genau das ist das Ziel der Schrift. Kurt Pätzold weist in ihr die Behauptung zurück, in der DDR sei mit dem Antisemitismus der Nazizeit nicht wirklich gebrochen worden. Eine »Aufarbeitung« dieses Teils der unheilvollen Vergangenheit hätte nicht stattgefunden, folglich hätte der Antisemitismus weiter existiert. »Das hat es bei uns nicht gegeben« lautete der Titel einer Ausstellung zum Thema Antisemitismus in der DDR, die seit drei Jahren durch die neuen Bundesländer tourt. Im Sommer letzten Jahres legten die Träger dieser Schau einen Begleitband nach, der die Ausstellung noch einmal dokumentiert, die Motive ihrer Macher nachvollzieht und außerdem versucht, öffentliche Reaktionen auf das Gezeigte zu resümieren. Dieser Begleitband ist Pätzolds Gegenstand.

Wer die DDR bewusst erlebt hat weiß, dass die Thesen der Ausstellungsmacher und Autoren des Begleitbandes äußerst zweifelhaft sind. Doch mehr als eine Generation heute Lebender hat schon keine Urteilsmöglichkeit mehr aus eigener Erfahrung. Letztlich ist die These vom Antisemitismus Teil einer seit zwanzig Jahren anhaltenden Propagandakampagne zur Verteufelung der DDR. Ihr politisches Credo lautet: Nie wieder Sozialismus! Für dieses Ziel haben sich die Ausstellungsmacher instrumentalisieren lassen. Interessanterweise ist »politische Instrumentalisierung« einer der Hauptvorwürfe, den sie der DDR-Führung in Bezug auf deren Haltung zum Holocaust, zum Antifaschismus usw. machen. Bewusst oder unbewusst?

Obwohl die Thesen des von Pätzold behandelten Bandes zum Teil so dünn sind, dass man sich fragt, ob eine Auseinandersetzung mit ihnen überhaupt lohnt, ist es ein Gewinn, das Büchlein zu lesen. Die Schärfe und Klarheit von Kurt Pätzolds Argumentation und seine sprachliche Eleganz bereiten beim Lesen und Nachvollziehen erhebliches intellektuelles Vergnügen. Eine Reihe seiner Einwände sind methodischer Art und damit auch auf andere Geschichtsumdeutungen anwendbar. Es urteilt (und vor allem verurteilt) sich zum Beispiel leichter, wenn man Erscheinungen aus ihrem historischen Kontext löst und mit heutigem Blickwinkel bewertet. Der Geschichte wird man damit jedoch nicht gerecht. Ein besonders markantes Beispiel solchen Herangehens liefern Anetta Kahane und Anette Leo in einem gemeinsamen Beitrag, in dem sie versuchen, die Motive ihrer Väter zu hinterfragen, die 1961 in Jerusalem als Berichterstatter beim Eichmann-Prozess akkreditiert waren. Pätzold widmet diesem Versuch sein Kapitel »Töchter und Väter«. Die Souveränität, mit der er hier die Haltungen der Antifaschisten Max Kahane und Gerhard Leo verteidigt, tut gut.

Ein besonderes Verdienst des Büchlein besteht in der Erinnerung an Bücher, Filme und wissenschaftliche Publikationen, die in der DDR zum Thema Judenverfolgung und Antisemitismus erschienen sind und zum Teil ein Millionenpublikum fanden. Vielleicht ein guter Vorsatz für das neue Jahr: Das eine oder andere wieder einmal in die Hand zu nehmen.