Besessen und beflissen

geschrieben von Hans Canjé

5. September 2013

Wie Adenauer die juristische Flubereinigung einleitete

Sept.-Okt. 2009

Es muss ja nicht wieder eine Sondersitzung des Bundestages sein, aber eine Gedenkminute in einer Kabinettsitzung um den 26. September herum wäre im Jahr der vielen Jubelerinnerungen an die Gründung der Bundesrepublik im Hinblick auf die dort erfolgte Weichenstellung schon angebracht. Am 26. September 1949 beriet das nach den ersten Wahlen zum Deutschen Bundestag am 14. August 1949 und am 20. September vereidigte Bundeskabinett unter Vorsitz von Kanzler Adenauer zum ersten Mal über das »Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit«. Damit begann das, was der Politikwissenschaftler Joachim Perels als »die weitgehende Inkorporation des Staatsapparates der NS-Diktatur in den demokratischen Rechtsstaat« bezeichnet hat..

Die Hauptaufgabe dieses Gesetztes hatte Adenauer laut Kabinettsprotokoll mit den Worten umrissen: »Wir haben so verwirrte Zeitverhältnisse hinter uns, dass es sich empfiehlt, generell Tabula rasa zu machen.« Eine Woche später bereits legte Bundesjustizminister Dehler (FDP) einen entsprechenden Entwurf vor, der am 2. Dezember in erster und eine Woche später schon in zweiter und dritter Lesung im Parlament beraten und verabschiedet wurde. Am 20. Dezember stimmte auch der Bundesrat zu, so dass rechtzeitig zum Weihnachtsfest mit einem der ersten Gesetze der ersten Nachkriegsregierung die erste Hürde auf dem Weg zum »großen Frieden« mit den Tätern der Jahre der faschistischen Herrschaft genommen war.

Amnestiert wurden alle Straftaten, die mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bzw. bis zu einem Jahr auf Bewährung geahndet werden konnten. Nun konnten sich, vier Jahre nach der Zerschlagung des Faschismus, u. a. auch die unter falschem Namen untergetauchten SS-, Gestapo- und Wehrmachtshenker wieder »ehrlich« machen. Indizien sprechen dafür, schreibt der Historiker Norbert Frei, »dass Zehntausende von NS-Tätern davon profitierten«. Kaum zu überschätzen war, sagt Frei, die »politische Signalwirkung« des Gesetzes als »einem Akt von hochgradig politischer Symbolik«.

Damit war der Weg frei zur, wie Bundestagspräsident Ehlers formulierte »Flurbereinigung für die Zukunft«. Der nächste Schritt auf diesem Weg erfolgte mit dem am 1. April 1951 in Kraft getretenen »Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen.«

Mit der gleichen Geschwindigkeit, wie für die Paladine des Faschismus der Weg geebnet wurde, wieder die gesellschaftlichen Kommandohöhen zu besetzen, ging die Bundesregierung wenige Wochen später daran, das Erste Strafrechtsänderungsgesetz, das, wie der Staatsrechtler Alexander von Brünneck befand, »eindeutig und ausschließlich gegen die Kommunisten« gerichtet war, im Bundestag durchzupeitschen. Mit dem am 30. August 1951 in Kraft getretenen Gesetz wurde die Partei, die die meisten Opfer im Kampf gegen das NS-Regime gebracht hatte, mit dem Bann der Verfassungsfeindlichkeit belegt, ausgrenzt und am 17. August 1956 verboten. Die Justiz verurteilte Verstöße gegen das Verbot durch politische Sondergerichte. Der Heidelberger Historiker Edgar Wolfsrum bringt diese Politik auf den Nenner »Justizbesessenheit«, der er die »Justizbeflissenheit« im Umgang mit den Tätern des NS-Regimes gegenüberstellt. In der Statistik sieht das nach Berechnungen von Josef Foschepoth, ebenfalls Universität Heidelberg, so aus: Im Zeitraum 1951 bis 1968 gab es 125000 Ermittlungsverfahren gegen Kommunisten und 6688 Verurteilungen. Für die Jahre 1945 bis 2006 gibt er 106496 NS-Ermittlungsverfahren und 6498 NS-Verurteilte an.

Damit war in den Jahren zwischen 1951 und 1968 die Zahl der gegen Kommunisten gefällten Urteile siebenmal so hoch wie die gegen NS-Täter. (Anzumerken ist, dass die tatsächliche Zahl von Ermittlungsverfahren gegen die der »kommunistischen Umtriebe« Beschuldigten bis 1968 tatsächlich bei 250000 lag und die Zahl der Verurteilungen um die 10000 betrug.)

Eine Distanzierung in Form einer Rehabilitierung der Opfer der »Justizbesessenheit« in den Hochzeiten des Kalten Krieges, nicht wenige davon waren bereits Opfer faschistischer Verfolgung zwischen 1933 und 1945, hat die Mehrheit von CDU/CSU/SPD/FDP und Bündnis 90/Die Grünen auch in der zuende gegangenen 16. Legislaturperiode verweigert. Das Thema also bleibt eine Aufgabe für den am 27. September zu wählenden Bundestag.