Ein »Frecher Zeichenstift«

geschrieben von Andre Eckardt

5. September 2013

Zum 100. Geburtstag von Herbert Sandberg (1908-1991)

Mai-Juni 2008

Auf seine Weise hat Herbert Sandberg seine Hafterlebnisse in zahlreichen Grafiken und Grafikzyklen verarbeitet, so in »Eine Freundschaft« (1949), »Mein Weg« (1958-1965) und »Erinnerungen an Buchenwald« aus dem Jahr 1980.

Vielen Menschen aus der DDR ist Herbert Sandberg noch durch seine Kolumnen »Der freche Zeichenstift« (Das Magazin) und »Mit spitzer Feder« (Neues Deutschland) bekannt. Doch nur wenige kennen seine Biografie, geprägt von Konzentrationslager und der Begegnung mit Brecht.

Aufgewachsen als Sohn eines strengen jüdischen Lederhändlers wusste Herbert Sandberg sehr schnell, dass er eine künstlerische Laufbahn einschlagen wollte. Also brach er gegen den Willen seines Vaters 1925 seine Banklehre ab und studierte an der Kunstgewerbeschule und der Kunstakademie seiner Heimatstadt Breslau. Da er von seinem Vater auf keine finanzielle Unterstützung hoffen konnte, begann er in dieser Zeit seine Arbeit als Pressezeichner bei verschiedenen Breslauer Zeitungen. Bereits damals übte Berlin auf kreative junge Leute eine enorme Magnetwirkung aus. Nach seinem Umzug im Herbst 1928 setzte Herbert Sandberg seine Tätigkeit als Pressezeichner in Berlin fort, unter anderem für die »Rote Post«, den »Wahren Jakob« und den »Roten Pfeffer«. Bereits 1928 trat er den KPD-nahen Organisationen »Rote Hilfe« und der »Internationalen Arbeiterhilfe« (IAH) bei, 1929 der Assoziation revolutionärer bildender Künstler Deutschland (ASSO) und 1930 schließlich der KPD. In seiner aktiven Arbeit für die Partei entwarf er zahlreiche Flugblätter und Plakate, illustrierte Pionierzeitungen und arbeitete als Agitpropleiter in Friedenau und Steglitz. Auch nach der Machtübernahme durch die Nazis führte er seine nunmehr illegale Arbeit fort. Er druckte und verteilte Flugblätter »Hitler ist Krieg« und warf sie unter anderem aus der obersten Etage des KaDeWe in die Massen. In den Arbeiterbezirken im Norden Berlins arbeitete er illegal für die KPD unter dem Namen Max Wallach. Erst nach einer Warnung floh er nach Prag. Mit einem Parteiauftrag kehrte er 1934 nach Berlin zurück und wurde bei einer Hausdurchsuchung verhaftet. Das Kammergericht Berlin verurteilte ihn zu 3 Jahren Zuchthaus wegen »Vorbereitung zum Hochverrat«. und sperrte ihn im Zuchthaus Brandenburg-Görden ein.

Nach seiner Zuchthausstrafe wurde Herbert Sandberg nicht entlassen, sondern in die Gestapo-Zellen in der Prinz-Albrecht-Straße und später in das Polizeipräsidium am Alexanderplatz überstellt. 1937 erfolgte die Einlieferung in das damals noch nicht fertig gestellte KZ Buchenwald. Wenn man bedenkt, dass er durch einen roten Winkel und einen gelben Stern als Kommunist und Jude gekennzeichnet war, hätte ihm sicher niemand eine Überlebenschance gegeben. In seinem autobiografischen Buch »Spiegel eines Lebens« schilderte Herbert Sandberg sein Leben im KZ, den täglichen Überlebenskampf und die Brutalität der SS-Aufseher. Der tägliche Überlebenskampf ließ ihn zunächst nicht ans Zeichnen denken. Erst 1944, während einer Krankheit, hielt er mit Ruß und Schlämmkreide 18 Szenen aus dem KZ-Leben fest. Die Blätter wurden illegal aus dem Lager nach Erfurt geschmuggelt und dort versteckt. 1946 vervollständigte er die Arbeiten, die 1949 als Holzschnittskizzen im Aufbau-Verlag in Buchform als Zyklus »Eine Freundschaft« veröffentlicht wurden. Angehörige und Wegbegleiter von Herbert Sandberg wissen zu berichten, dass er auch in späteren Jahren wenig über seine Zeit im KZ gesprochen hat.

Nach der Befreiung des KZ Buchenwald ging Herbert Sandberg nach Berlin zurück und gründete zusammen mit Günther Weisenborn die satirische Zeitschrift »Ulenspiegel«, für die er namhafte Zeichner und Karikaturisten zur Mitarbeit gewinnen konnte. Als Kolumnist stellte er von 1954 bis 1990 in der Zeitschrift »Das Magazin« unter dem Namen »Der freche Zeichenstift« Karikaturisten aus dem In- und Ausland vor und in der Sonntagsausgabe des ND erschien seine Reihe »Mit spitzer Feder«. Seine weltweit am häufigsten veröffentlichen Porträts haben aber noch einen weiteren Hintergrund. 1955 forderte Brecht Sandberg auf, am Berliner Ensemble die lange Tradition der Theaterzeichnung fortzuführen. So entstanden unter anderem Szenenbilder zu »Mutter Courage«, »Herr Puntila und sein Knecht Matti« und »Der gute Mensch von Sezuan«, auch die Lithografie »Das Berliner Ensemble«, bei der Brecht lesend mittels Handantrieb die Leuchtreklame des Hauses oder wenn man es genauer sieht das gesamte Haus in Bewegung versetzt. Ein weiterer sehr bekannter Steindruck »Brechts Verhör« geht auf den moralisch überlegenen Umgang Brechts gegenüber dem »Ausschuss für Unamerikanische Aktivitäten« zurück. Zahlreiche Theaterzeichnungen, Brecht-Porträts und -karikaturen lassen keinen Zweifel, welche Vorbildfunktion Brecht für Herbert Sandberg hatte. In einer Buchwidmung für Brecht vermerkte Sandberg: »Für Bertolt Brecht, der im Wort das erreichte, was mir im Bild vorschwebt. »

Nach seinem 80. Geburtstag 1988 gab es leider nur vereinzelt kleine Sandberg-Ausstellungen und »der freche Zeichenstift« Herbert Sandberg ist etwas in Vergessenheit geraten. Hoffen wir, dass nach den diesjährigen Ausstellungen anlässlich seines 100. Geburtstages nicht wieder 20 Jahre vergehen!