Ein Künstler, der eingriff

geschrieben von Ernst Antoni

5. September 2013

Erinnerung an den Maler, Grafiker und Dichter Jörg Scherkamp

Juli-Aug. 2011

Acht Bildtafeln hat Anfang der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts der Augsburger Maler, Grafiker und Dichter Jörg Scherkamp zu Peter Weiss‘ Romantrilogie »Die Ästhetik des Widerstands« geschaffen und ihnen diese Einzeltitel gegeben: Bedrohung, Angst, Verzweiflung, Resignation, Vernunft, Hoffnung, Überlegtes Handeln, Widerstand. Bildthemen, Motive, malerische und grafische Umsetzung, auch die vom Künstler selbst verfassten poetischen Texte, die er diesen Bildern beigegeben hat, haben durch die Katastrophen, Kriege und sozialen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre zunehmend wieder an Aktualität gewonnen. Auch dies ein Grund, an einen antifaschistischen Künstler und sein vielfältiges Werk zu erinnern, der, 1983, noch keine 50 Jahre alt, in seiner Heimatstadt Augsburg viel zu früh verstarb.

1935 in Ravensburg geboren, kam der gelernte Buchdrucker 1952 nach Augsburg, besuchte dort die Graphische Fachschule und begann ab 1962 als freischaffender Maler tätig zu werden. 1966 wurde ihm, der sich in seinem bildnerischen Schaffen früh an den Großen der klassischen Moderne orientierte, kubistische Elemente in seine Bildsprache übernahm, mit Formen und Farben experimentierte, der Kunstpreis des Bezirks Schwaben zuerkannt. Auseinandersetzungen mit Form und Farbe allein aber waren ihm damals schon zu wenig, früh nimmt Scherkamp Historisches und Politisches auf in seine Bilderfindungen, illustriert Prosa und Poesie engagierter Autorinnen und Autoren, arbeitet sich mit Feder, Schneidemesser und Pinsel ab an Geschichte und Gegenwart.

Der Fuggerstadt Augsburg mit ihren Widersprüchen, dem idyllisch-betulichen Rückwärtsgewandten und dem technisch-industriellen Weltstadtanspruch, bleibt er Zeit seines Lebens mit großer Hassliebe verbunden. Scherkamp gehört zu den Künstlerinnen und Künstlern – prägende Erfahrungen auch für seine eigenen schriftstellerischen Versuche – die gemeinsam mit politisch links Engagierten gegen die noch bis in die 70er-Jahre hinein stadtoffiziellen Boykotte der Würdigung von Werk und Leben des aus Augsburg stammenden Bertolt Brecht aufbegehren. Es sind solche konkreten Auseinandersetzungen, die Scherkamps politischen Lebensweg prägen, ihn auch immer wieder mit seinem Werk unmittelbar eingreifen lassen in die Tagesaktionen.

»Flugblätter, bemalte Stelltafeln, Linolschnitte gegen Berufsverbote und gegen Raketen«, schrieb sein Freund, Genosse und Redaktionskollege bei der linken Kunstzeitschrift »tendenzen«, der Kunsthistoriker Richard Hiepe, »das kam so nebenbei aus seinem Atelier, während der Termin für ein kollektiv bemaltes Wandbild drängt und ein neues Triptychon im Entstehen war. Scherkamp lebte doppelt und dreifach. Für ein langes Leben reichte das wohl nicht.« Noch dazu bei einem, der gerne tage- und nächtelang diskutierte, feierte, Freundschaften pflegte, stritt, ins kommunale und überregionale Geschehen eingriff auch als gewählter Vertreter seiner Kolleginnen und Kollegen in Vorständen von Künstlerverbänden und Gewerkschaften.

Ein »Politkünstler«, wie so etwas in manchen Medien gerne leicht verächtlich genannt wurde und wird? So hätten sie ihn gerne gehabt – aber so einfach ließen sich der Mann und sein Werk denn doch nicht einordnen. War Scherkamps Realismus zwar meist auf ganz konkrete gesellschaftliche Umstände bezogen, so wurden seine Bilder und Texte aber stets alles andere als platt naturalistische Widerspiegelungen widriger Wirklichkeiten, garniert mit Appellen. Obwohl er sich nie scheute, das eine oder andere Mal, wenn er es für notwendig hielt, auch knallharte Parolen in seine Bilderwelten hineinzuschreiben.

Das Kombinieren von Bild und Text, das Umsetzen von Wahrnehmungen in unterschiedlichsten Darstellungsweisen, liebte er. So scheute Scherkamp sich nicht, den literarischen Text eines anderen malerisch zu verarbeiten und die daraus entstandenen Bilder – wie bei der »Ästhetik des Widerstands« geschehen – selbst noch einmal zu betexten. Auf solche Art näherte er sich auch anderen Werken der Weltkunst an: Zu Max Beckmanns Bild »Die Abfahrt« etwa hat er ein langes wunderschönes Gedicht geschrieben.

Aber auch da, wo er ganz traditionell als Illustrator arbeitete – in den Linolschnitt-Blättern etwa zu einer zweisprachigen bibliophilen Ausgabe von Paul Eluards Poem »La Victoire de Guernica« – gelang ihm meist der große Sprung hinaus über das Zeitgebundene.

Weshalb sein Werk auch noch nach Jahrzehnten hilfreich sein kann in den Kämpfen der Zeit. Die Textpassage zu dem auf dieser Seite oben abgebildeten Linolschnitt von Jörg Scherkamp heißt in Paul Eluards Gedicht (in der Übersetzung von Stephan Hermlin):

Sie sagten sie wünschen Verständigung

Sie teilten die Starken ein richteten die Narren

Gaben Almosen halbierten einen Groschen

Sie grüßten die Kadaver

Sie überschütteten sich mit Höflichkeiten.