Gewachsener Widerstand

geschrieben von Axel Holz

5. September 2013

Wahlkampf-Erfahrungen aus Mecklenburg-Vorpommern

Sept.-Okt. 2011

Gegenüber der Landtagswahl von 2006 (59.845 NPD-Stimmen) hat die NPD ein Drittel ihrer Wähler verloren. NPD-Stimmen diesmal: 40.075.

Immer noch zuviel. Die Aktivitäten gegen die Neonazis waren dennoch nicht folgenlos. Grund und Hoffnung, den Kampf fortzusetzen.

Dr. Axel Holz ist Vorsitzender des Landesverbandes der VVN-BdA in Mecklenburg-Vorpommern

Am 4. September wurde in Mecklenburg-Vorpommern ein neuer Landtag gewählt. Mit 6,0 Prozent gelang den Nazis der Wiedereinzug in den Landtag. Gewachsen ist aber zugleich der Widerstand gegen die geschickt agierenden extremen Rechten.

Am Wahlsonntag wurde auch darüber abgestimmt, welche Zukunft die NPD in der politischen Landschaft bundesweit haben wird und welche Rolle dabei der derzeitige NPD-Fraktionschef Udo Pastörs spielen wird. Die NPD befindet sich in einer Krise – finanziell durch ein riesiges Finanzloch und offene Rückforderungen der Bundestagsverwaltung, organisatorisch durch die vermasselte kalte Fusion mit der DVU und politisch durch die klare Abgrenzung aller demokratischen Parteien von der NPD in und außerhalb des Landtages. Im Vorfeld der Wahl sanken die Prognosen für die NPD auf drei Prozent. Doch eine geschickte Medienstrategie hatte ihre Werte wieder steigen lassen.

Geschadet hat der NPD auf jeden Fall ihre Gewaltbereitschaft. Im Zeitraum von 2010 bis kurz vor der Wahl wurden über 100 Mal Parteibüros demokratischer Parteien von Nazis überfallen. Auch die Zahl der Übergriffe auf Andersdenkende, Migranten und Ausländer nahm nicht ab. Pünktlich zur Eröffnung des Wahlkampfes wurde, wie schon bei vorherigen Wahlen, das Land komplett mit NPD-Plakaten zugepflastert. Dagegen beschädigten und zerstörten rechte Aktivisten massenhaft Plakate ihrer politischen Gegner und versuchten gleichfalls, sie einzuschüchtern. So gab es einen Überfall auf das Auto eines SPD-Wahlhelfers. Nach dem Muster der Wahlstrategie in Sachsen-Anhalt ging die NPD diesmal aber doch geschickter vor. Die NPD-Aktivisten wurden umfassend geschult, traten als Zuhörer auf und gingen auf die Bevölkerung zu. Das kam besonders in den Plattenbaugebieten gut an. Nicht selten agierte die NPD aber auf leeren Plätzen, wie im Schweriner Plattenbaugebiet Neu-Zippendorf. Hier zeigte sich das Sendungsbewusstsein von NPD-Fraktionschef Pastörs, der 45 Minuten einen nahezu leeren Platz beschallte und nicht müde wurde, die verbliebenen drei Gemüsehändler von der Güte des eigenen Konzeptes und der vermeintlichen Unfähigkeit der »Blockparteien« zu überzeugen. Auch die Wahlmaterialien der NPD waren anders als üblich gestaltet worden. Landesthemen wie die niedrigsten Löhne bundesweit, Schulschließung und Lehrermangel im ländlichen Raum, Ärztemangel und Infrastrukturdefizite dominierten. Doch selbst im Wahlkampf verzichtet die NPD nicht auf die Propagierung ihrer rassistischen Werte, zum Beispiel forderte sie die Trennung von Deutschen und Migranten in der Schule und propagierte eine Volksgesundheitskasse, die Ausländer und deren Kinder ausschließen solle – eine Art Apartheid-Staat. Mit dem Plakat »Kriminelle Ausländer raus« begab sich die NPD auf bekanntes rechtspopulistisches Pflaster. Die Initiative »Endstation Rechts« konterte mit dem Slogan »Kriminelle Inländer einschließen« und meinte damit die vielen vorbestraften Nazis, von denen sich einige auch auf der NPD-Landtagsliste wiederfanden. Plakate gegen die Nazis gab es bei den Linken, Grünen und Piraten. Star dieser Gegenaktionen aber blieb die Kreation »Storch Heinar« von »Endstation Rechts«. Die virtuelle Storchenfigur mit Hitlerscheitel ist eine Persiflage auf die in Nazi-Kreisen beliebte Marke »Thor Steinar«. NPD-Aktivisten hatten erfolglos gegen die Marke und das SPD-Plakatgeklagt. Die Satirefigur hing unter 5.000 Nazi-Plakaten im Land und wurde auch schon von einigen Hoteliers angefordert, die vom Ruf ihres Bundeslandes als Refugium der Nazis die Nase voll hatten.

Da die NPD in den Medien keinen Platz bekam, versuchte sie, durch Skandale Aufmerksamkeit zu erzeugen. In einer kleinen Ostseestadt kreuzte sie beim traditionellen Hafenfest mit einem eigenem Boot auf. Gleiches geschah auf der Rostocker Hansesail und brachte der NPD mit empörten Artikeln in den Medien landesweite Aufmerksamkeit. In Torgelow nutzte die NPD die Schließung einer traditionsreichen Eisengießerei für eine Protestkundgebung gegen Arbeitsplatzverluste. Dennoch agierte die Partei, anders als vor fünf Jahren, nicht mehr unwidersprochen. In Torgelow solidarisierten sich die Landtagskandidaten aller demokratischen Parteien über Parteidifferenzen hinweg mit den betroffenen Arbeitern. In Schwerin wurden fünf NPD-Stände innerhalb von drei Tagen durch Proteste eines Netzwerkes gegen Nazis mit Transparenten und Trillerpfeifen gestört und ein NPD-Stand verhindert. In Stralsund führte der Protest von Antifaschisten zum Abbruch eines NPD-Standes mit Holger Apfel, dessen Abzug samt NPD-Tross auf YouTube eingestellt wurde. Unzählige Initiativen haben im Land zu einer Stabilisierung demokratischer Strukturen geführt. In Stralsund, wo Nazis noch vor wenigen Jahren das Sagen hatten, entwickelt sich erfolgreich eine alternative Gegenkultur. Zum fünften Mal fand in diesem Jahr dort ein Konzert gegen Nazis statt, das von einem breiten Bündnis getragen wurde. Eingebettet war »Rock gegen rechts« diesmal in eine Woche gegen Rechtsextremismus, in der auch die VVN-BdA-Ausstellung »Neofaschismus in Deutschland« in der Stralsunder Volkshochschule gezeigt wurde. Landesweit wurde die Wahlzeitung der VVN-BdA , die zur Wahl demokratischer Kandidaten aufrief und über die NPD aufklärte. 200 000 mal verteilt.Aus dem Landesbüro der VVN-BdA in Schwerin wurde die Verteilung der Zeitung mit Hilfe zahlreicher Antifaschisten aus der VVN-BdA, den Gewerkschaften, den Linken und verschiedenen regionalen Initiativen im Lande organisiert. Helfer aus drei Bundesländern unterstützten die Schweriner VVN-Gruppe bei der Verteilung der Wahlzeitung in den Landkreisen. Der Landesvorstand der VVN-BdA bedankt sich hiermit noch einmal für die erwiesene Solidarität.

Noch vor dem Wahlabend wurde jeder Haushalt in Mecklenburg-Vorpommern mit einer der insgesamt 800.000 Exemplare einer Zeitung der Landesinitiative »Wir. Erfolg braucht Vielfalt« versorgt, die flächendeckend zur Wahl aufrief und sich zu Vielfalt und Toleranz im Land bekannte. Über 1.000 Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Unternehmen, Verbänden und Kommunen bekannten sich öffentlich als Unterstützer der Kampagne und sicherten ihre Finanzierung ohne Rückgriff auf öffentliche Gelder. Damit warben auch regionale Unternehmen und der Supermarkt vor der Tür der Nazis in Vorpommern für eine offene und tolerante Gesellschaft. Dafür gesorgt haben auch die Gewerkschaften, die den Unternehmerverband, sonst Gegenpart im Tarifstreit, im öffentlichen Eintreten für Demokratie und Toleranz mit in ihr Boot genommen haben. Zum Konzert »Laut gegen rechts« der Wir-Initiative des Landes waren in Schwerin zwei Tage vor der Wahl erneut zehntausend Besucher gekommen. Wenige Tage vor der Landtagwahl wurde am 1. September der der mit 2.500 Euro dotierte Courage-Preis der Linksfraktion im Landtag zum dritten Mal vergeben. Die fünf nominierten Kandidaten spiegelten die wachsende Zahl von Initiativen wieder, die sich aktiv und mit Courage gegen Nazis engagieren. Dafür stand der ausgezeichnete Bürgermeister von Gnoien, Hans-Georg Schörner, dem Nazis die abmontierte Gedenktafel für die Opfer des Nazi-Regimes vor die Tür warfen und der nach Nazi-Tätlichkeiten zeitweise unter Polizeischutz gestellt werden musste. Steine flogen auch in die Fenster von Kultureinrichtungen und in das Rathaus. Der Bürgermeister hielt stand und sammelte die Bevölkerung hinter sich. Inzwischen verschwinden Nazischmierereien, Plakate und Aufkleber umgehend aus dem Stadtbild. Der Thor-Steinar-Laden hat geschlossen und die örtliche Nazi-Webseite wurde abgeschaltet. Der zweite Teil des Courage-Preises ging an das Ensemble der Theater & Orchester GmbH Neubrandenburg/Neustrelitz. Gegen den kommerziellen Druck der Gefälligkeit setzten sich die Theaterleute mit hohem Engagement gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ein. Dafür stehen Stücke wie »Biedermann und die Brandstifter«, »Mein Kampf« und »Jedem das Seine«. Der Widerstand gegen Nazis in Mecklenburg-Vorpommern wächst. Wir machen weiter.